Gemischtes Bild der aktuellen Lohnrunde Die Gehälter von Arbeitnehmenden steigen 2022 in der Schweiz angesichts des starken Wirtschaftsaufschwung und der steigenden Teuerung zu wenig, so die erste Bilanz des Gewerkschaftsdachverbands Travail.Suisse.
Die Gehälter von Arbeitnehmenden steigen 2022 in der Schweiz angesichts des starken Wirtschaftsaufschwung und der steigenden Teuerung zu wenig, so die erste Bilanz des Gewerkschaftsdachverbands Travail.Suisse.
Die Schweizer Wirtschaft habe nach dem ersten Pandemie-Jahr 2020 einen beispiellosen Aufschwung erlebt, erklärte Thomas Bauer, Leiter Wirtschaftspolitik bei Travail.Suisse, am Montag vor den Medien in Bern. 2021 rechnet der Gewerkschaftsdachverband mit einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von über 3 Prozent.
Mit Ausnahme weniger Branchen sei der Aufschwung zudem breit abgestützt gewesen. Gleichzeitig habe aber die Teuerung zugenommen. Für das ganze Jahr wird 0,6 Prozent erwartet. In vielen Branchen bestünden «bedeutende Spielräume für Lohnerhöhungen», betonte Bauer. Für viele Arbeitnehmende würden die Löhne 2022 zwar steigen, aber nicht in ausreichendem Masse.
Harte Verhandlungen
Die Lohnverhandlungen mit den Arbeitgebern seien hart gewesen. Bestimmte Arbeitgebende hätten die Corona-Krise genutzt, um ihre Gewinne auf Kosten ihrer Mitarbeitenden zu steigern, so Bauer. Gerade vor dem Hintergrund des überdurchschnittlichen Einsatzes der Arbeitnehmenden während der Corona-Pandemie sei dies ein Affront ihnen gegenüber.
Die bisher bekannten Ergebnisse der Lohnverhandlungen für das kommende Jahr sind laut Travail.Suisse zwar deutlich besser als noch vor einem Jahr, das Fazit falle aber dennoch gemischt aus. Die Tendenz zu individuellen statt generellen Lohnerhöhungen sei allerdings ungebrochen. In Zeiten steigender Preise brauche es generelle Lohnerhöhungen.
Syna-Zentralsekretär Marco Geu beklagte, dass es im Schweizer Gesundheitswesen generell wenig Sozialpartnerschaft gebe. Praktisch keine Gesamtarbeitsverträge (GAV) gebe es bei Alters- und Pflegeheimen oder auch in der Spitex. Dort, wo überhaupt Löhne hätten verhandelt werden könnten, seien die Resultate weit unter dem, was nötig wäre, um den wachsenden Personalexodus zu stoppen. Mit wenigen Ausnahmen seien die Lohnabschlüsse deutlich unter 1 Prozent geblieben.
Grosses Gefälle
Erfreuliches gibt es hingegen aus dem Detailhandel: Bei den Grossverteilern Migros (mit Ausnahme Tessin) und Coop sei neu ein Mindestlohn von 4100 Franken pro Monat vereinbart worden. Lidl und Aldi würden allerdings schon seit Jahren einen Mindestlohn von über 4300 Franken zahlen. Aldi werde im neuen Jahr den Mindestlohn sogar auf 4600 Franken erhöhen, erklärte Geu.
Katastrophal sei es hingegen, dass es im Bauhauptgewerbe 2022 zum zweiten Mal hintereinander keine generelle Lohnentwicklung geben werde. Das sei unverständlich, weil die Branche boome und unter akutem Fachkräftemangel leide.
Knapp genügend seien die Resultate in den kleineren Gewerbebranchen. Generelle Lohnerhöhungen gibt es im kommenden Jahr etwa im Carrosseriegewerbe, bei Marmor/Granit, Orgelbau und Ziegelindustrie, im Gerüstbau, im Elektrogewerbe und im Holzbau.
Als «am unteren Rand des Akzeptablen» bezeichnete Geu die bisher vorliegenden wenigen Lohnergebnisse in der Industrie. Die Uhrenindustrie gewähre beispielsweise 0,9 Prozent Teuerungsausgleich. Keine Lohnabschlüsse gebe es bis dato aus Chemie und Pharma.
Die Arbeitnehmenden gerade auch im Service Public hätten in den letzten Monaten unter teilweise widrigen Umständen und trotz Gesundheitsrisiken hervorragende Arbeit geleistet, erklärte Greta Gysin, Co-Präsidentin von Transfair. Eine endgültige Analyse der Resultate sei aber schwierig, das einige Verhandlungen noch nicht abgeschlossen seien.
Offener Ausgang
Die Lohngespräche mit der Swisscom haben erst im November begonnen. Und bei der Post werden sie laut Gysin noch diese Woche starten. Bei beiden Verhandlungen fordert Transfair eine Erhöhung der Lohnsumme um 1,5 Prozent.
Gastrosuisse blocke die GAV-Verhandlungen im Gastgewerbe, erklärte Urs Masshardt, Geschäftsführer der Hotel & Gastro Union. Er stellte fest, dass es in der Branche einige Betriebe in der Stadt und auf dem Land gebe, die noch nie so viele Gewinne gemacht hätten wie derzeit. Betriebe, die ihre Beschäftigten entsprechend bezahlten und wertschätzten, würden auch nicht unter Personalmangel leiden.