Das «Rundum-sorglos-Paket» wird in der beruflichen Vorsorge zur Ausnahme Kleinere Unternehmen lagern ihre zweite Säule häufig an die Sammelstiftungen von Versicherungen aus. Dabei sind viele gezwungen, grössere Risiken einzugehen als früher.
Kleinere Unternehmen lagern ihre zweite Säule häufig an die Sammelstiftungen von Versicherungen aus. Dabei sind viele gezwungen, grössere Risiken einzugehen als früher.
Die Zahl der Pensionskassen in der Schweiz sinkt seit Jahren. Laut der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) ist die Zahl der Vorsorgeeinrichtungen zwischen 2014 und 2021 um rund einen Viertel auf 1500 zurückgegangen – die gesamte Bilanzsumme ist im selben Zeitraum allerdings von 800 auf rund 1200 Milliarden Franken gestiegen.
Davon profitieren vor allem Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen (SGE). Laut der OAK BV machen diese lediglich 18 Prozent der Vorsorgeeinrichtungen aus, 72 Prozent der aktiven Versicherten sind aber mittlerweile bei ihnen versichert. Vor allem KMU schliessen sich oftmals Sammeleinrichtungen an – sie sind zu klein, um eine eigene Pensionskasse zu betreiben. In Gemeinschaftseinrichtungen organisieren hingegen Berufsverbände die berufliche Vorsorge.
Konzentrationsprozess in der zweiten Säule
Der Konzentrationsprozess in der beruflichen Vorsorge spiegelt sich auch in den jüngst präsentierten Betriebsrechnungen mehrerer Versicherungen zum BVG-Geschäft. Die Anzahl der Versicherten in ihren entsprechenden Sammelstiftungen ist beispielsweise bei Axa im vergangenen Jahr um 1,4 Prozent auf rund 532 000 gestiegen, bei Swiss Life um 1,5 Prozent auf rund 512 500.
«Für kleine Unternehmen und Verbände wird es zunehmend attraktiv, ihre eigenen Stiftungen aufzugeben und sich einer Sammelstiftung anzuschliessen», sagte Thomas Gerber, Leiter Vorsorge bei Axa, bei einem Medienanlass. Verschiedene Herausforderungen in der beruflichen Vorsorge begünstigten diesen Prozess. Dazu zählt Gerber unter anderem die zunehmende Komplexität und die höheren Anforderungen an Stiftungsräte, die Herausforderungen bei der Vermögensanlage sowie die höhere Sensibilität für Nachhaltigkeitsthemen.
Vollversicherung auf dem Rückzug
Das von vielen KMU lange sehr geschätzte Modell der Vollversicherung ist allerdings seit Jahren auf dem Rückzug. Wie die jüngsten Zahlen der Versicherungen zeigen, setzt sich dieser weiter fort. Bei der Vollversicherung handelt es sich um eine Art «Rundum-sorglos-Paket» für KMU, sie delegieren die berufliche Vorsorge inklusive der Anlagerisiken an eine Sammeleinrichtung. Zum Start des BVG im Jahr 1985 boten noch zwanzig Versicherer solche Lösungen an, mittlerweile sind es mit Swiss Life, Helvetia, Bâloise, Allianz Suisse und Pax nur noch fünf. Für einen Knall sorgte 2018 der Ausstieg der Axa aus der Vollversicherung.
Für die Versicherungen ist es in den vergangenen Jahren zunehmend unattraktiv geworden, Vollversicherungen anzubieten. Dafür sorgen der politische Reformstau, die schwierige Situation bei der Vermögensanlage sowie die demografische Entwicklung.
Teilautonome Lösungen legen zu
Die Versicherer drängen die KMU immer stärker in sogenannte teilautonome Lösungen. Hier übernimmt die Versicherung das Risiko bei der Vermögensanlage nicht mehr wie bei der Vollversicherung, die Unternehmen müssen dieses selbst tragen. «Teilautonome Sammelstiftungen haben in den letzten Jahren zweistellige Wachstumsraten verbucht», sagt Hedwig Ulmer, Leiterin Vorsorge und Mitglied der Geschäftsführung Schweiz bei Helvetia. «Es gibt einen anhaltenden Trend zur Teilautonomie.»
Axa meldet hier Erfolge. Die Zahl der Anschlusskunden sei im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent, diejenige der aktiv Versicherten um 7,8 Prozent auf mehr als 300 000 gestiegen, teilte der Versicherer an dem Medienanlass mit. Swiss Life erklärte, das Volumen der im Geschäft mit teilautonomen Lösungen verwalteten Vermögen sei im vergangenen Jahr um 0,8 Milliarden Franken auf 5,6 Milliarden Franken gestiegen. Der Anteil am Neugeschäft habe auf 67 Prozent zugelegt.
Grössere Renditechancen
Als Vorteil von teilautonomen Lösungen gegenüber der Vollversicherung gelten die grösseren Renditechancen. Laut Jürgen Scharfetter, Leiter Berufliche Vorsorge bei Axa Schweiz, zahlten die teilautonomen Sammelstiftungen der Axa im vergangenen Jahr insgesamt mehr als 800 Millionen Franken Mehrertrag an die Versicherten aus, «als im engen regulatorischen Korsett der Vollversicherung möglich gewesen wäre».
Teilautonome Pensionskassen haben mehr Freiheiten in der Anlagestrategie und können mehr Ertragschancen wahrnehmen. «Bei der Vollversicherung muss man konservativ anlegen», sagt Ulmer. «Langfristig wirft eine teilautonome Lösung höhere Renditen ab als die Vollversicherung, selbst wenn es einmal ein schlechtes Anlagejahr gibt.»
Die Kosten für Garantien, wie sie die Vollversicherung gewährt, seien im Niedrigzinsumfeld sehr hoch, sagt Ulmer. Für Unternehmen, die in der beruflichen Vorsorge keine Risiken eingehen wollten, sei die Vollversicherung aber «eine valable Sache». KMU fragten diese Lösung für die berufliche Vorsorge weiterhin nach – «und mit einer disziplinierten Annahmepolitik kann man die Vollversicherung auch weiter anbieten», sagt sie.
Allerdings erhalte nicht jedes KMU für seine berufliche Vorsorge eine Vollversicherungslösung. Jeder Anschluss werde genau geprüft. Wichtig sei in diesem Zusammenhang die Altersstruktur eines Anschlusses. Zudem werde die Zahl der Invaliditätsfälle geprüft.
Wichtig ist unterdessen auch der Anteil an überobligatorischen Geldern innerhalb eines Anschlusses – ist er hoch, so lässt sich der Umwandlungssatz entsprechend senken. Bei BVG-nahen Gefässen müsse indessen der BVG-Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent bezahlt werden. «Die Aufnahme von BVG-nahen Anschlüssen können wir unseren Versicherten nicht zumuten», sagt Ulmer. Swiss Life schreibt diesbezüglich, das Unternehmen verfolge eine «umsichtige Zeichnungspolitik».
«Deshalb ist es unheimlich wichtig, dass die BVG-Reform, die eine Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent vorsieht, umgesetzt wird», sagt Ulmer.
KMU tragen mehr Risiken
Allerdings führt der Rückzug der Vollversicherung dazu, dass viele KMU nun Risiken tragen müssen, die sie ursprünglich nicht eingehen wollten. So tragen sie das Anlagerisiko, nicht mehr der Versicherer. Das heisst, dass sie bei schlechten Anlagejahren und einer daraus resultierenden Unterdeckung der beruflichen Vorsorge für die Sanierung zuständig wären.
Aufgrund mehrerer sehr guter Anlagejahre hatten die meisten Vorsorgeeinrichtungen Ende 2021 hohe Deckungsgrade, so dass sie auch die Kursverluste an den Börsen in diesem Jahr gut verkraftet haben. «Es ist noch einiges an Puffer da», sagt Ulmer. Wie das Anlagejahr 2008 gezeigt hat, kann es nach einem Crash an den Börsen aber bei Pensionskassen durchaus zu Unterdeckungen und anschliessenden Sanierungen kommen.