«Die AHV steht in Flammen, und jetzt sollen wir Öl reingiessen?» Die Debatte um die 13. AHV-Rente verschärft den Verteilkampf zwischen Jung und Alt. Können junge Menschen noch den gleichen Wohlstand erreichen wie ihre Eltern?
Die Debatte um die 13. AHV-Rente verschärft den Verteilkampf zwischen Jung und Alt. Können junge Menschen noch den gleichen Wohlstand erreichen wie ihre Eltern?
Jo Dietrich hat auf dem Netzwerk Linkedin ein spektakuläres Foto geteilt: Mit dem kleinen Sohn steht er vor einem meterhohen Feuerball, aufgenommen bei der letzten «Böögg-Verbrennung» am Zürcher Sechseläuten. «Die AHV steht in Flammen, und jetzt sollen wir Öl reingiessen?», schreibt er zum Bild und kritisiert: «Armut im Alter soll bekämpft werden, aber nicht auf dem Rücken von zukünftigen Generationen.»
Die Diskussion um die 13. AHV-Rente lief bisher völlig an den Jungen vorbei. Doch das scheint sich gerade zu ändern. Der 27-jährige Jo Dietrich gilt über die Schweiz hinaus als «Erklärer der Generation Z». Mit seiner Partnerin Yaël Meier hat er die Agentur Zeam mit 30 Leuten aufgebaut, die Konzernen wie Migros oder Postfinance die Tür zu den Jungen öffnet. Dietrich und Meier sind mit Hunderttausenden Followern in den sozialen Netzwerken Promis – auch deshalb, weil sie schon sehr jung zweifache Eltern wurden.
Weshalb engagiert sich Dietrich, der sonst nicht politisch aktiv ist, gegen die 13. AHV-Rente? Ihm gehe es um die Generationengerechtigkeit. «Können wir als junge Menschen noch den gleichen Wohlstand erreichen wie unsere Eltern? Ich befürchte, das wird nicht der Fall sein», sagt er.
Es war das grosse Versprechen der Nachkriegszeit: Jede neue Generation kann sich ein besseres Leben leisten als die vorherige. Doch inzwischen schwindet die Überzeugung, dass dieser Boom so weitergeht. Laut einer Analyse des Pew Research Center in 19 westlichen Ländern vertreten 70 Prozent die Meinung, den Kindern stehe im Vergleich zu den Eltern ein finanzieller Abstieg bevor. In Frankreich und Italien haben drei von vier Personen eine pessimistische Zukunftserwartung, während in Deutschland «nur» 53 Prozent negativ eingestellt sind. Zur Schweiz liegen keine Daten vor.
Ältere Jahrgänge dominieren
Ist diese Sorge um die Generationengerechtigkeit begründet? Jan-Egbert Sturm, Wirtschaftsprofessor an der ETH Zürich und Leiter der Konjunkturforschungsstelle (KOF), beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema. Die Alterung der Gesellschaft stelle den Generationenvertrag tatsächlich auf die Probe, sagt er: «Für die Politiker wächst der Anreiz, sich stärker um die Bedürfnisse der immer dominanter werdenden älteren Jahrgänge zu sorgen und die jüngeren ausser acht zu lassen.»
Paradoxerweise sei die sinkende Geburtenrate auch eine Folge des sozialen Fortschritts, so Sturm. Denn in früheren Zeiten habe ein grosser Druck bestanden, Kinder zu bekommen, um für den eigenen Lebensabend vorzusorgen. Diese Aufgabe übernehme nun der Staat, der allerdings eine Antwort auf die kommende Pensionierungswelle finden müsse: «Eine Politik, die sich auf die Älteren fokussiert, neigt zum Auszahlen bisheriger Ersparnisse. Dafür aber vernachlässigt sie die Investitionen in die Zukunft, was eine Gesellschaft auf lange Frist schwächt.» Das Dilemma zeigt sich in verschiedenen Bereichen:
1. Gebremstes Wachstum
Seit dem Jahr 2020 schrumpft die einheimische Erwerbsbevölkerung. Während jedes Jahr über 100 000 Personen das Pensionsalter erreichen, rücken deutlich weniger Junge nach. Ohne Kompensation bremse dieser Effekt das Wachstum der Schweizer Wirtschaft um etwa ein halbes Prozent jährlich, schätzt der Konjunkturforscher Sturm. Die Zahl mag klein erscheinen, doch hochgerechnet auf das Bruttoinlandprodukt heisst das: Die Wirtschaftsleistung – wovon zwei Drittel in die Lohntüten der Beschäftigten fliessen – wird jedes Jahr um fast 4 Milliarden Franken geschmälert.
Entsprechend verdient auch der Staat weniger an Steuern. Zudem reduziert die Alterung die Arbeitsproduktivität. Laut der ökonomischen Forschung sind es vor allem die jüngeren Erwerbstätigen, welche Unternehmen gründen oder für technologische Innovationen sorgen.
2. Eine Million zusätzliche Rentner
Heute leben in der Schweiz 1,7 Millionen Menschen über 65. Bis 2050 steigt ihre Zahl auf 2,7 Millionen. Dannzumal kommen auf einen Rentner gerade noch 2,2 Personen im erwerbsfähigen Alter. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 lag dieses Verhältnis bei eins zu vier. Somit müssen immer weniger Berufstätige eine immer höhere Rentenlast schultern.
Das bedeutet eine immense Bürde für die AHV: Auch ohne 13. Rente wird das Sozialwerk bis 2050 ein kumuliertes Defizit von 140 Milliarden Franken anhäufen. Um diese Lücke zu schliessen, braucht es höhere Lohnabzüge und Steuern – was eine junge Familie mit mehreren zehntausend Franken belasten dürfte.
3. Wohneigentum wird unerschwinglich
Drei von vier Jugendlichen bezeichnen es als Lebensziel, dereinst Wohneigentum zu besitzen. Das hat eine Analyse der Credit Suisse ergeben. Doch ein mittleres Objekt kostet inzwischen über 900 000 Franken – doppelt so viel wie im Jahr 2000. Einen solchen Betrag kann eine junge Familie aus eigener Kraft kaum finanzieren.
Die ZKB hat vorgerechnet, dass sich im Kanton Zürich nur noch 10 Prozent der Mieterhaushalte ein gleichwertiges Eigenheim leisten können. Somit erstaunt es nicht, dass über die Hälfte der Wohnimmobilien im Besitz der über 60-Jährigen sind. Die Rentner beanspruchen auch mit Abstand am meisten Wohnfläche, nämlich 72 Quadratmeter pro Person. Die übrige Bevölkerung kommt mit 47 Quadratmetern aus.
4. Sparen lohnt sich nicht mehr
Wer heute mit seinem Ersparten eine zehnjährige Bundesobligation kauft, erhält einen mageren Zins von 0,8 Prozent. Das ist weniger als die Teuerung. Ein Babyboomer dagegen, der im Jahr 1990 eine solche Staatsanleihe erwarb, verdiente noch 6 Prozent Zins. Mit Zinseszins erzielte er innert zehn Jahren einen schönen risikolosen Gewinn von 80 Prozent.
Neben dem Sparen kann zudem eine Erbschaft zu Vermögen verhelfen. Jedes Jahr werden 90 Milliarden Franken weitervererbt. Auch hier sind aber die Nutzniesser meist schon im Seniorenalter: Sechs von zehn Erben haben das 60. Altersjahr überschritten.
5. Solidarität im Gesundheitswesen
«In der Corona-Pandemie war es für die Jungen völlig selbstverständlich, auf unsere Eltern und Grosseltern Rücksicht zu nehmen», sagt Jo Dietrich. Umgekehrt aber beobachte er, dass immer mehr Junge an psychischen Erkrankungen leiden: «Das ist eine Folge des zunehmenden Drucks und der Zukunftsängste, die auf unserer Generation lasten. Doch bei diesen Leiden fehlt es oft am gesellschaftlichen Verständnis.» Zum Beispiel mangle es an Anlaufstellen für suizidgefährdete Jugendliche.
Zwar sind die Krankheitskosten der Jüngeren zuletzt überproportional gestiegen. Trotzdem erreicht die Quersubventionierung zugunsten der Älteren weiterhin rund 7 Milliarden Franken pro Jahr. 44 Prozent aller Ausgaben im Gesundheitswesen gehen an Personen über 65.
6. Junge geniessen eine gute Bildung
Während sich die Generationenbilanz für die Jungen in vielen Bereichen verschlechtert, stehen sie in einem Punkt sehr gut da: bei der Bildung. Das Niveau ist ständig gestiegen, und der Anteil der Tertiärabschlüsse hat sich seit den 1990er Jahren auf über 40 Prozent verdoppelt. Dies äussert sich ebenso in den höheren Bildungsausgaben. Auch die geringen Staatsschulden in der Schweiz verhelfen der jungen Generation zu guten Startbedingungen – im Gegensatz zu anderen Ländern. Denn die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.
Die AHV-Abstimmung verdeutlicht es: Der Verteilkampf zwischen den Generationen wird künftig an Schärfe gewinnen. Und die politische Macht der Senioren nimmt zu. Schon jetzt steht ein Drittel der Urnengänger im Rentenalter, und zwei Drittel sind über 50. Das liegt aber nicht nur an der Alterspyramide, sondern ebenso an der tiefen Stimmbeteiligung der Jungen. Gemäss SRG-Umfrage vom Januar sagen nur gerade 24 Prozent der 18- bis 39-Jährigen, dass sie mit Bestimmtheit am Urnengang teilnehmen werden. Bei den über 65-Jährigen dagegen haben 68 Prozent diese Absicht.
Jo Dietrich muss in seiner Generation noch einige Überzeugungsarbeit leisten. Trotzdem verstehe er, dass Leute in seinem Alter nur schwer für das Thema zu mobilisieren seien. «Während der Vorteil für die Rentner sofort eintritt, sind die Nachteile für die Jungen viel abstrakter.»
Zudem, so Dietrich, wirke die Initiative ja eigentlich sympathisch: «Ich liebe meine Grossmutter. Warum sollte ich ihr dann mehr Rente verwehren?» Das höre er oft von seinen Kollegen. «Trotzdem ist es eine schlechte Lösung, wenn wir uns dazu bei der Zukunft bedienen. Auch meine eigenen Kinder sollen sich dereinst auf eine stabile AHV verlassen können.»