Die grösste AHV-Reform seit Jahrzehnten tritt 2024 in Kraft: Das sind die fünf wichtigsten Änderungen Früher in Rente gehen oder später – ab dem neuen Jahr wird der Renteneintritt flexibler. Zudem gleicht sich das Rentenalter der Frauen an dasjenige der Männer an. Doch was bedeutet dies jeweils finanziell?
Früher in Rente gehen oder später – ab dem neuen Jahr wird der Renteneintritt flexibler. Zudem gleicht sich das Rentenalter der Frauen an dasjenige der Männer an. Doch was bedeutet dies jeweils finanziell?
Am 25. September 2022 wurde die AHV-Reform vom Schweizer Stimmvolk knapp gutgeheissen. Dies war nach langem Stillstand die erste grosse Reform des Rentensystems. Die Änderungen treten schrittweise ab dem 1. Januar 2024 in Kraft. Die fünf wichtigsten Änderungen.
1. Flexiblerer Rentenbezug
Mit der Reform AHV 21 wird der Rentenbezug flexibler. Frauen und Männer können den Zeitpunkt ihres Rentenbeginns im Zeitfenster zwischen 63 und 70 Jahren selbst bestimmen, Frauen der sogenannten Übergangsgeneration bereits ab 62 Jahren.
Wie bisher wird die AHV-Rente bei einem Vorbezug gekürzt. Wer hingegen nach 65 noch weiterarbeitet, erhält einen Zuschlag. Die Kürzungssätze bzw. die Zuschläge bei einem Rentenbezug nach 65 werden an die steigende Lebenserwartung angepasst. Die AHV-Beitrags-Pflicht bleibt bis zum Erreichen des Referenzalters (bzw. zur Beendigung der Erwerbstätigkeit nach 65) bestehen, auch wenn ein Vorbezug der Rente gewählt wird.
Ein Vorbezug bedeutet zurzeit eine lebenslange Kürzung der Rente um 6,8 Prozent pro Jahr. Beim zweijährigen Vorbezug gibt es somit einen Abschlag von 13,6 Prozent. Ein Rentenaufschub wird hingegen mit einem Zuschlag von 5,2 Prozent jährlich belohnt. Bei fünf Jahren sind es sogar 31,5 Prozent. Vorerst ändert sich die Höhe der Kürzungssätze und Zuschläge noch nicht, per 2027 werden sie jedoch der gestiegenen Lebenserwartung angepasst. Die Zuschläge werden dannzumal geringer, die Abschläge somit grösser ausfallen. Der Bundesrat wird die neuen Sätze kurz vor der Einführung festlegen.
Ob sich ein Rentenaufschub lohnt, hängt vom Einzelfall ab. Bezieht man zusätzlich zum Lohn noch Rente, verfügt man über ein höheres Einkommen, zahlt darauf aber auch mehr Steuern.
2. Teilpensionierungen
Neu besteht in der AHV die Möglichkeit für Teilpensionierungen. Man kann die Rente schrittweise zwischen 20 und 80 Prozent beziehen und den Rest zurückstellen. Neu kann der Beginn des Ruhestandes nun auch in monatlichen statt in jährlichen Schritten erfolgen. So wird ein schrittweiser Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand einfacher.
Die AHV-Reform strahlt auf die berufliche Vorsorge aus. So müssen auch die Pensionskassen neu zwingend Teilpensionierungen anbieten. Viele Vorsorgeeinrichtungen ermöglichen dies auf freiwilliger Basis ohnehin schon.
3. Weiterarbeiten im AHV-Alter
Das Rentenalter wird neu als Referenzalter bezeichnet. Es bezeichnet das Alter, in dem die AHV-Rente ohne Abzüge oder Zuschläge bezogen werden kann.
Arbeitet man über das Referenzalter hinaus und verdient dabei mehr als 1400 Franken pro Monat, muss man weiterhin AHV-Beiträge einzahlen. Dies war bisher ein vollständiger Solidaritätsbeitrag, denn diese Beiträge führten für den Einzelnen nicht zu einer höheren Rente. Dementsprechend verringerten diese Beitragszahlungen den Anreiz für das Weiterarbeiten nach 65.
Mit dem Inkrafttreten der Reform AHV 21 ändert sich dies. Neu ist es möglich, sich zusätzliche AHV-Beiträge anrechnen zu lassen. Frühere Beitragslücken können so geschlossen werden. Wird aufgrund eines geringen Einkommens nicht die Maximalrente erreicht, kann auch hier nachgebessert werden. Ist die Maximalrente jedoch erreicht, wird diese nicht weiter erhöht.
Neu kann der Versicherte wählen, ob er AHV-Beiträge bei einer Spätpensionierung entweder auf dem Lohnanteil über dem jährlichen Freibetrag von 16 800 Franken zahlt oder auf dem ganzen Lohn – ohne Abzug des Freibetrages. Dies kann sich lohnen, sofern kein Anspruch auf die Maximalrente besteht.
Zu beachten ist allerdings, dass der Aufschub der AHV-Rente (auch bisher schon bis zu fünf Jahre möglich) künftig weniger grosszügig belohnt wird. Ein Aufschub mag darum finanziell weniger attraktiv sein. Der Grund dafür ist, dass die Rentenberechnung an die stark gestiegene Lebenserwartung angepasst wird. Im Jahr 2001 betrug die mit 65 Jahren verbleibende durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen in der Schweiz laut dem Bundesamt für Statistik noch 20,1 Jahre, im Jahr 2021 war sie bereits auf 22,7 Jahre gestiegen. Bei den Männern ist ein Anstieg von 17,3 auf 19,9 Jahre zu beobachten.
4. Höheres Rentenalter für Frauen
Mit der Reform AHV 21 wird das Renten- bzw. Referenzalter für Frauen und Männer auf 65 Jahre vereinheitlicht. Dafür wird es für Frauen schrittweise von 64 auf 65 Jahre angehoben. Die Erhöhung erfolgt ab dem 1. Januar 2025 jährlich um drei Monate. Ab 2028 gilt für Frauen und Männer somit ein einheitliches Referenzalter von 65 Jahren.
Für Frauen in der Übergangsgeneration mit den Jahrgängen 1961 bis 1969 sieht die Reform Ausgleichsmassnahmen vor. Sollten Frauen dieser Jahrgänge früher in Rente gehen, fallen ihre AHV-Renten-Kürzungen geringer aus. Sollten sich diese Frauen im Referenzalter oder später pensionieren lassen, erhalten sie einen lebenslangen Zuschlag auf die AHV-Rente.
Option 1: Entscheiden sich Frauen der Übergangsgeneration, bis zum Erreichen des neuen Referenzalters zu arbeiten, profitieren sie von einem lebenslangen Zuschlag zur AHV-Rente. Dabei erhalten Frauen mit tieferem Einkommen höhere Zuschläge. Der maximale Monatszuschlag zur Rente beträgt: 160 Franken bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von weniger als 57 360 Franken, 100 Franken für Einkommen von 57 361 Franken bis 71 700 Franken sowie 50 Franken für Einkommen ab 71 701 Franken. Frauen der Jahrgänge 1964 und 1965 erhalten den vollen Zuschlag. Bis zum Jahrgang 1970 sinkt der Zuschuss auf null.
Option 2: Alternativ können sich die Frauen der Übergangsgeneration auch gegen das höhere Rentenalter entscheiden. In diesem Fall treten sie mit 64 Jahren (oder früher) in den Ruhestand. Dies hat zur Folge, dass ihre Renten gekürzt werden, allerdings um weniger als bei Frauen, die jünger sind und nicht mehr zur Übergangsgeneration gezählt werden. Frauen mit geringerem Einkommen erfahren geringere Kürzungen als jene mit höherem Einkommen.
5. Zusatzfinanzierung über Mehrwertsteuererhöhung
Der AHV fliesst eine Zusatzfinanzierung über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu. Der Normalsatz wird von 7,7 Prozent auf 8,1 Prozent erhöht. Diese Zusatzfinanzierung bringt der AHV jährliche Mehreinnahmen von rund 1,4 Milliarden Franken und trägt somit zur Stabilisierung der Finanzen bei.
Weitere Reformen sind nötig
Aufgrund der demografischen Alterung und des gleichzeitigen Geburtenrückgangs finanzieren heute nur noch drei Erwerbstätige die Rente eines Bezügers, während es vor 70 Jahren noch sechs waren. Das finanzielle Gleichgewicht der umlagefinanzierten AHV ist damit ins Wanken geraten. Die Ausgaben steigen schneller als die Einnahmen. Mit der AHV-Reform wird hier gegengesteuert. Sie sichert die Finanzierung der AHV und garantiert die Rentenbeiträge – allerdings nur bis ins Jahr 2030. Weitere Reformen sind nötig, um die Finanzierung langfristig zu sichern.
Christin Severin, «Neue Zürcher Zeitung»