«Ich bin gesund und gut zurecht, da kann ich durchaus weiterarbeiten»: Was Sie wissen müssen, wenn Sie im AHV-Alter berufstätig bleiben Manch einer bessert gern die Pension auf. Zudem herrscht Fachkräftemangel. Drei Berufsleute berichten, warum sie im AHV-Alter weiterarbeiten.
Manch einer bessert gern die Pension auf. Zudem herrscht Fachkräftemangel. Drei Berufsleute berichten, warum sie im AHV-Alter weiterarbeiten.
Arbeiten im Rentenalter: Für Maurizio Fedi ist das seit fast vier Jahren Realität. 25 Jahre hat er bei Burckhardt Compression in Winterthur als Monteur gearbeitet, 20 Jahre davon als Teamleiter. Grosse Kompressoren baute sein Team, solche, die für die Ölförderung oder den Gastransport beispielsweise auf grossen Tankern eingesetzt werden. Dann näherte sich langsam der 65. Geburtstag. «Obwohl ich immer gerne gearbeitet habe, habe ich mich gefreut», erzählt der heute 68-Jährige.
Einsatz nur bei Engpässen
Unerwartet habe dann jedoch sein Chef gefragt, ob er nicht weitermachen wolle – mit einem Pensionierten-Vertrag. «Ich habe zunächst gestutzt und dachte, ‹dann muss› ich ja wieder, das will ich eigentlich nicht.» Dennoch reizte ihn das Angebot. Maximal zwei Tage pro Woche wolle und könne er arbeiten, habe er dem Chef nach kurzer Überlegungszeit mitgeteilt, aber nur dann, wenn es wirklich Arbeit habe. Stunden absitzen will er nicht, dafür aber die Möglichkeit, auch einmal nein zu sagen, wenn es zeitlich einmal nicht passt.
Der Chef war mit den Bedingungen einverstanden; Fedi und Burckhardt Compression fanden sich. Seither springt der Pensionär bei Bedarf ein.
Das ist für beide Seiten ein Gewinn. Burckhardt Compression hat einen Pool von pensionierten Angestellten, mit denen das Unternehmen Auftragsspitzen flexibel auffangen kann, und zwar mit Mitarbeitenden, die den Betrieb gut kennen. Die Pensionierten wiederum verdienen sich einen Zustupf, ohne den früheren Zwängen unterworfen zu sein.
«Es ist eine schöne, kollegiale Atmosphäre», sagt Fedi. Er freue sich jeweils, die alten Kollegen wiederzusehen. Sein Nachfolger, der neue Chef, gibt ihm Arbeit, die er trotz seinen Knieproblemen gut erledigen kann. Häufig führt er neue Mitarbeitende in den Betrieb ein. Dabei kann er sein langjähriges Wissen weitergeben.
Im Jahr 2022 arbeitete Fedi fast jeden Monat vier Tage, 2023 war es weniger. Der Betrieb habe inzwischen das Personal aufgestockt, und es habe weniger Engpässe gegeben. Für Fedi stimmt es. «Mir ist zu Hause nicht langweilig, und allzu viel verdienen darf ich ohnehin nicht, sonst komme ich in eine höhere Steuerklasse.»
Beide Seiten müssen gewinnen
Noch sind es nicht viele Unternehmen, die solche Modelle anbieten, doch es werden mehr. Neben Pensionierten-Pools experimentieren Firmen mit Altersteilzeit beziehungsweise Teilpensionierungen. Zudem gibt es auf Plattformen wie www.seniorsatwork.ch, www.arbeitsrentner.ch, www.rentarentner.ch und www. rentnerpower.ch Jobangebote speziell für Seniorinnen und Senioren. Wer nicht beim alten Arbeitgeber bleiben möchte oder kann und eher an limitierten Einsätzen interessiert ist, kann sich zudem bei Vermittlern von Temporärarbeit anmelden.
Mit der Reform AHV 21, die 2022 angenommen wurde und ab 2024 gilt, wird die Pensionierung flexibler. Individuelle Wünsche und Bedürfnisse können leichter berücksichtigt werden. Der Nachteil: Es wird komplizierter. Wer vom Mainstream abweicht, muss besser überlegen, was die Folgen sind.
Wann lohnt sich das Arbeiten im Pensionsalter, und worauf sollte man achten?
Motivation: Der Beruf ist für viele Menschen ein wichtiger Teil der Identität. Man kann seine Kompetenzen einsetzen und die eigene Erfahrung an jüngere Kollegen weitergeben. Viele Menschen mögen den sozialen Austausch und eine Aufgabe, die neben der Anstrengung häufig auch Freude bereitet.
Lohn: Neben der Freude an der Tätigkeit spielt auch der Lohn eine wichtige Rolle. Wer eine kleine Rente hat, mag auf einen Zusatzverdienst angewiesen sein oder diesen zumindest gut brauchen können. Gerade bei geschiedenen Frauen ist das Budget häufig knapp, doch auch bei Männern kann durch eine Scheidung und die Aufteilung der Pensionskasse viel Altersguthaben verlorengehen.
Teilzeit: Wer das Pensionsalter erreicht hat, möchte häufig nicht mehr voll in den Erwerbsprozess eingebunden sein. Die grosse Mehrheit bevorzugt eine Teilzeittätigkeit. Die Leistungsfähigkeit nimmt mit dem Alter ab, zudem wird das Thema Gesundheit wichtiger. Bei vielen Menschen wächst das Bewusstsein, dass das Leben nicht auf Ewigkeit angelegt ist. Die Möglichkeiten, mehr für die eigene Gesundheit zu tun, nehmen zu, wenn man nicht mehr täglich arbeiten muss. Diese Freiheit möchten viele Ältere nutzen.
Interesse vom Arbeitgeber berücksichtigen: Wer im Alter weiterarbeiten will oder muss, sollte nicht nur die eigenen Bedürfnisse im Blick haben, sondern auch überlegen, was der Firma nützt. Schliesslich ist ein Arbeitsverhältnis nur dann nachhaltig, wenn beide Seiten profitieren. Wer – wie etwa Maurizio Fedi – mit einer gewissen Unregelmässigkeit leben kann beziehungsweise diese sogar schätzt, kann im Vorteil sein gegenüber jüngeren Arbeitnehmenden, die auf ein regelmässiges Einkommen angewiesen sind.
Massgeschneidertes Modell bei der Migros
Auch Ulrich Brunner hat den Ruhestand aufgeschoben – aber anders. Eigentlich wäre er bei der Migros Luzern per Ende November mit 64 Jahren pensioniert worden. Seit Dezember arbeitet Brunner nun stattdessen in einem 80-Prozent-Pensum («habe einen Gang heruntergeschaltet»). «Meine Frau wird erst im kommenden Sommer pensioniert, ich bin gesund und komme gut zurecht», sagt Brunner.
Brunner fand, er könne durchaus noch weiterarbeiten, schliesslich gefalle ihm die Arbeit, er fühle sich wohl im Team, und allein zu Hause sitzen wolle er nicht. «Und so, wie sie gesagt haben, brauchen sie mich auch gern noch», fügt er mit etwas Stolz und Freude hinzu. Den «Schlusspunkt» von Ende Februar 2025 wählte er, weil es wegen der Steuerprogression unvorteilhaft sei, wenn er und seine Frau sich im selben Jahr pensionieren lassen würden.
Grundsätzlich geht der Detailhändler bei der Pensionierung stark auf die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeitenden ein. Es gilt ein flexibles Rentenalter von 58 bis 70 Jahren. Nähert sich ein Mitarbeiter dem derzeit geltenden regulären Migros-Pensionsalter von 64 Jahren, bespricht der Vorgesetzte mit dem Mitarbeitenden, ob dieser an einer Spätpensionierung interessiert ist.
Folgen für Steuern und Altersvorsorge beachten
Das Arrangement von Brunner zeigt, wie wichtig die steuerlichen Überlegungen und Folgen sind, wenn man nicht mehr fest ins Erwerbsleben eingebunden ist, sondern freier über seinen Arbeitseinsatz entscheiden kann. Das Gleiche gilt für die Altersvorsorge.
Steuern: Wer Rente und Lohn bezieht, muss beides versteuern. Je nach Situation kann man dadurch in eine höhere Steuerprogression rutschen. Hier empfiehlt sich eine individuelle Berechnung.
AHV: Die Reform AHV 21 erlaubt einen individuelleren Übergang in die Pensionierung. So ist es neu möglich, lediglich eine Teilrente zu beziehen und dafür später mehr Geld zu erhalten. Ein früherer beziehungsweise späterer Bezug führt zu Ab- oder Zuschlägen bei der Rentenhöhe.
Berufliche Vorsorge: Die Pensionskassen in der beruflichen Vorsorge (zweite Säule) haben einen grossen Spielraum dabei, ein individuell gewähltes Pensionsalter zu ermöglichen. Mit der Reform AHV 21 wird dies noch mehr zum Standard als bisher. Alle Pensionskassen müssen neu einen Rentenvorbezug ab 63 Jahren und einen Aufschub bis zum Alter von 70 Jahren anbieten. Zudem sind sie verpflichtet, Teilpensionierungen zu ermöglichen. Je früher man die Rente bezieht, desto tiefer fällt diese in der Regel aus.
Bezieht man mit dem Erreichen des Referenzalters die gesamten Altersleistungen, ist man nicht mehr aktiv versichert und kann nicht mehr weiter in die Pensionskasse des Arbeitgebers einzahlen. Tritt man im AHV-Alter jedoch eine neue Stelle an, ist ein Beitritt zur Pensionskasse nicht mehr nötig, aber auf Wunsch des Arbeitnehmers grundsätzlich möglich.
Dritte Säule – private Altersvorsorge: Wer weiterarbeitet, kann den Bezug der Säule 3a aufschieben und weiter einzahlen – längstens bis zum 70. Lebensjahr. Ohne Pensionskassenbeiträge können Erwerbstätige bis zu einem Maximalbetrag von 35 280 Franken 20 Prozent ihres Einkommens in die Säule 3a einzahlen.
Jeder muss seine eigene Rechnung machen
So wichtig die Mathematik beziehungsweise die Logik des Geldes beim Arbeiten im AHV-Alter ist, so muss am Ende doch jeder seine eigene Rechnung machen, und die kann je nach den Wünschen und Bedürfnissen für jeden Einzelnen anders aussehen.
«Die Arbeit macht mir Freude, ich mag den Austausch mit anderen Menschen und kann mein Wissen weitergeben», sagt Silvia Müller, die trotz AHV-Alter bei Novartis Vollzeit im Bereich People & Organisation arbeitet. Für die HR-Fachfrau heisst das, dass sie neben ihrem Lohn zusätzlich die AHV-Rente bezieht. «Verschieben und aufsparen wollte ich nicht, ich habe mein Leben lang eingezahlt, nun möchte ich auch etwas bekommen.»
Ob es sich lohnt, auch im Pensionsalter noch erwerbstätig zu bleiben, hängt von vielen Faktoren ab. Dazu zählen die Gesundheit, wie viel Freude man am Beruf beziehungsweise an einer Arbeit hat und die eigene finanzielle Situation.
Mit der Auszahlung der zweiten Säule wartet Müller hingegen zu. Dass sie weiterhin AHV-Beiträge zahlt, ohne damit zusätzliche Ansprüche zu erwerben, stört sie nicht. «Das ist ein Solidaritätsbeitrag, ich habe auch schon von Solidarität profitiert.» Die Steuerprogression war für Müller kein Thema. «Ich habe nie ausgerechnet, ob ich nun in eine höhere Progressionsstufe rutsche oder nicht. Das war für meine Entscheidung kein relevanter Faktor.»
Bessere Finanzierung der Altersvorsorge
Der Fachkräftemangel führt dazu, dass Unternehmen zunehmend froh sind, wenn sie erfahrene Mitarbeitende weiter einsetzen können, sei es sporadisch oder regulär. Zudem fühlen sich viele Menschen mit 65 oder 70 Jahren heute sehr viel jünger und fitter als vor dreissig Jahren. Die Lebensphase des gesunden Alters hat sich verlängert.
Kommt hinzu, dass die Altersvorsorge mit der steigenden Lebenserwartung immer stärker unter Druck gerät. Um sie nachhaltig zu finanzieren, ist es gesellschaftlich dringend angezeigt, künftig viel mehr auf Spät- statt auf Frühpensionierungen zu setzen.
Christin Severin, «Neue Zürcher Zeitung»