JP Morgan: Die wahre «Megabank» blickt nach Europa – und auf Schweizer KMU Die wertvollste Bank der Welt versucht seit 2019, den europäischen Mittelstand zu gewinnen. In der Schweiz passt das Timing der Amerikaner nach dem CS-Aus besonders gut. Die offene Konfrontation mit der UBS sucht JP Morgan aber nicht – aus guten Gründen.
Die wertvollste Bank der Welt versucht seit 2019, den europäischen Mittelstand zu gewinnen. In der Schweiz passt das Timing der Amerikaner nach dem CS-Aus besonders gut. Die offene Konfrontation mit der UBS sucht JP Morgan aber nicht – aus guten Gründen.
Die UBS gewinnt, langsam, aber sicher, die Oberhand im Ringen um die Ordnung am Schweizer Bankenplatz nach dem Verschwinden der Credit Suisse. Die lauten politischen Forderungen nach mehr Eigenkapital werden leiser. Und die Sorge um fehlenden Wettbewerb nimmt ab, obwohl die UBS auch die CS Schweiz unter ihrem Dach behalten wird.
Noch im Frühling befürchteten vor allem mittelgrosse Unternehmen, für gewisse Bankdienstleistungen künftig allein auf die UBS angewiesen zu sein. Diese Sorge wird kleiner. Einerseits hat die UBS zumindest bisher die neue Wettbewerbssituation noch nicht zuungunsten der Firmen ausgenutzt. Andererseits führen KMU mehr Gespräche mit anderen Banken, die auch «Corporate Banking» können.
Die grösste Bank will noch grösser werden
Ganz vorne mit dabei: JP Morgan, die eigentliche «Megabank» der westlichen Welt. Mit einer Marktkapitalisierung von über 400 Milliarden Dollar ist sie etwa fünfmal wertvoller als die UBS. Der Jahresgewinn von zuletzt 37,7 Milliarden Dollar übersteigt denjenigen der Schweizer Nummer eins im selben Verhältnis. Die Belegschaft von knapp 300’000 Personen übertrifft diejenige der UBS – die zusammen mit der Credit Suisse rund 120’000 Personen beschäftigte, nun aber Personal einspart – bald um das Dreifache.
Dass sich der amerikanische Branchenprimus an Schweizer KMU richtet, ist keine Folge des CS-Niedergangs. JP Morgan hat sich die Eroberung der mittelgrossen europäischen (und asiatischen) Unternehmen bereits 2019 auf die Fahne geschrieben. In den USA hat JP Morgan viel Erfahrung mit Unternehmen, die einen Umsatz von einigen hundert Millionen bis einigen Milliarden Dollar erzielen; dieses Wissen will die Bank auch im Ausland anwenden. JP Morgan will zudem das Geschäft mit wachstumsstarken Startups forcieren. Diese beiden Bereiche fasst die Bank im sogenannten Corporate Client Banking zusammen.
Die Schweiz ist seit zwei Jahren auch einer der inzwischen 27 Zielmärkte dieser Einheit. JP Morgan hat ein kleines, mit dem Land vertrautes Team aufgebaut, das derzeit bei mittelgrossen Unternehmen Klinken putzt. «Sie kennen uns als Investmentbank und wissen, dass wir mit allen grossen multinationalen Unternehmen dieser Welt arbeiten», sagt Andrew Kresse, der das internationale Corporate Client Banking bei JP Morgan leitet und dessen Expansion verantwortet.
«Diese Unternehmen haben den Weltmarkt im Blick», sagt er. «Sie sorgen sich um die Inflation, die US-Wahlen, Geopolitik und die Energiepreise». Häufig hätten sie ähnliche Bedürfnisse wie Grossunternehmen: Sie wollten Zahlungen abwickeln, Währungs- und Zinsrisiken absichern, Kredite aufnehmen oder ihre Investitionen anderweitig finanzieren.
Die amerikanischen Grossbanken profitieren auch im Ausland von der Profitabilität ihres Heimmarktes. Mit dem Kreditkartengeschäft oder, im Falle etwa von Morgan Stanley, mit der Vermögensverwaltung für Amerikaner machen sie bereits derart viel Umsatz und Gewinn, dass sie als stabil und sicher gelten. (Die im Frühling kollabierten amerikanischen Regionalbanken unterstanden im Unterschied zu den Grossen einer erleichterten Bankenaufsicht, was sie zu einer gefährlichen Risiko- und Liquiditätsplanung verleitete.)
Grösse als Verkaufsargument
Die Bilanz von JP Morgan beläuft sich auf 3700 Milliarden Dollar. Andrew Kresse sagt, die Bilanz sei eine «Festung» und einer der grössten Vorteile der Bank. «Wir sind so gross und diversifiziert, dass uns ein einzelner Kunde nicht in Bedrängnis bringen kann.» Man sei der grösste Zahlungsdienstleister der Welt, habe viel Erfahrung mit Absicherungs- und Kreditgeschäften. Die Amerikaner setzen zudem darauf, die Schweizer Unternehmer parallel auch als Kunden ihrer Privat- und ihrer Investmentbank zu gewinnen.
Wegen des profitablen Heimmarkts zögerten die amerikanischen Grossbanken aber oft, ihre Dienstleistungen auch im Rest der Welt gleich energisch zu verkaufen. «Never change a winning game», sagte die amerikanische Tennislegende Bill Tilden einst. JP Morgan tat es dennoch; und bezogen auf die Schweiz wohl zum richtigen Zeitpunkt.
Die Bank ist zwar seit fast 60 Jahren in der Schweiz, aber bis jetzt erst mit dem halben Bauchladen, den sie anzubieten hat. Sie betreut superreiche Privatkunden; sie baut und verkauft Finanzprodukte für Versicherer und andere Banken; und sie gibt den Schweizer Firmen Zugang zu ihrem globalen Investment Banking. Wenn diese einen internationalen Börsengang planen oder einen Konkurrenten übernehmen, ist JP Morgan oft mit von der Partie.
Nun will die Bank nebst den SMI-Konzernen auch den mittelgrossen hiesigen Firmen mehr anbieten; aus Sicht der Amerikaner eine vielversprechende Kundschaft. «Viele Schweizer KMU sind sehr konservativ, was den Verschuldungsgrad anbelangt», sagt Kresse, daher könnten sie besser mit den Zinserhöhungen umgehen als andere. «In Tat und Wahrheit sind sie ideal positioniert, um von den jetzigen Verhältnissen zu profitieren, während ihre Konkurrenten in anderen Märkten bisweilen unter Druck stehen.»
Den Kunden UBS nicht zu sehr ärgern
Das Ende der CS mag nicht Ursache gewesen sein für den Einstieg von JP Morgan ins Geschäft mit mittelgrossen Schweizer Unternehmen, aber natürlich sieht das Spielfeld heute anders aus als noch vor zwei Jahren. Die Bank hält sich aber damit zurück, zu hohe Ambitionen kundzutun.
Die Firmen wechselten infolge der Übernahme nicht Hals über Kopf, sagt Kresse. «Aber mit der Zeit wird eine andere starke Bank die Lücke füllen müssen.» Die UBS habe selbst klargemacht, dass sie mit einigen Firmenkunden, die auch mit der CS geschäftet haben, künftig ein zu grosses Kreditrisiko aufweise und die Bankbeziehung einschränken werde. Man stehe bestehenden und neuen Kunden zur Seite, sagt Kresse.
Die UBS selbst hat öffentlich derweil betont, ihr Engagement auch gegenüber den Firmenkunden nicht herunterzufahren. In Bezug auf das Kreditgeschäft sagte UBS-Chef Sergio Ermotti bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen Ende August: Es sei das Ziel der Bank, dank der gestärkten Kapitalbasis, das kombinierte Kreditvolumen von CS und UBS beizubehalten – unter Wahrung der Risikodisziplin («our intention is to keep the combined exposure unchanged while maintaining our risk discipline»).
Kreditvolumen der Konkurrenz hin oder her, JP Morgan ist jedenfalls «open for business». Kresse äussert sich, wie andere Vertreter der Bank zuvor, indes nuanciert gegenüber der UBS. «Wir kämpfen nicht gegen die Banken vor Ort, sondern ergänzen sie», sagt er. JP Morgan vermeidet es, ähnlich wie andere mögliche CS-Nachfolger wie Citibank, die Schweizer Nummer eins offen und öffentlich anzugreifen, ist diese doch nicht bloss Konkurrentin, sondern vor allem auch eine sehr gute Kundin.
Zum Beispiel mit ihrer Vermögensverwaltung: Die UBS ist ausserhalb der USA die wichtigste Adresse für die Millionäre und Milliardäre dieser Welt. Wenn sie aufhören würde, diesen Kunden Anlageprodukte von JP Morgan zu offerieren, wäre dies spürbar. Es liegt auf der Hand, dass die Amerikaner diese Beziehung nicht unnötig stören wollen.
Manche Auslandbanken hatten hierzulande früher Goodwill verspielt, indem sie vorschnell Geschäftszweige aufgebaut und wieder fallen liessen, wenn zu Hause im Hauptquartier das Führungspersonal und die Strategie wechselten. Damit kommt man bei langfristig denkenden KMU-Patrons, aber auch bei Tech-Unternehmern auf keinen grünen Zweig. JP Morgan scheint im Firmenkundengeschäft jedoch in die Schweiz gekommen zu sein, um zu bleiben.