Lohnerhöhungen bleiben hinter Inflation zurück Die UBS-Lohnumfrage zeigt einen starken Lohnanstieg für 2023. Doch die Teuerung wird nicht kompensiert. Die UBS-Ökonomen Alessandro Bee und Florian Germanier erklären wieso.
Die UBS-Lohnumfrage zeigt einen starken Lohnanstieg für 2023. Doch die Teuerung wird nicht kompensiert. Die UBS-Ökonomen Alessandro Bee und Florian Germanier erklären wieso.
Alessandro Bee, Florian Germanier, kürzlich ist die UBS-Lohnumfrage 2023 erschienen. Welches sind die wichtigsten Erkenntnisse daraus?
Florian Germanier: Auffallend ist sicherlich der deutliche Lohnanstieg um 2,2 Prozent. Dies ist die höchste Zunahme seit 15 Jahren. Zurückzuführen ist der überdurchschnittliche Lohnanstieg auf die momentan hohe Inflation. Allerdings konnte damit die hohe Teuerung im laufenden Jahr nicht kompensiert werden. Derzeit liegt diese bei 3 Prozent, noch im August notierte sie bei 3,5 Prozent – so hoch wie letztmals Anfang der 1990er-Jahre. Die Arbeitnehmenden müssen folglich eine Reallohneinbusse verkraften.
Alessandro Bee: Tatsächlich werden überdurchschnittliche Lohnerhöhungen in Aussicht gestellt. Die Unternehmen geben an, dass sie die aktuelle Inflation berücksichtigen. Zudem klagen viele Firmen über einen verschärften Fachkräftemangel. Dennoch reichen die höheren Löhne nicht aus, um die Inflation auszugleichen. Das mag auf den ersten Blick überraschen, doch fliessen in die Lohnverhandlungen auch die Konjunkturaussichten der Unternehmen ein – und diese werden derzeit recht negativ beurteilt. Ein Drittel der befragten Betriebe rechnet mit einer Rezession. Im Vorjahr waren es noch weniger als 3 Prozent.
Auf der anderen Seite sinkt dadurch die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale.
Bee: Wären die Löhne deutlich über 3 Prozent gestiegen, dann hätte diese Gefahr tatsächlich bestanden. Mit den aktuellen Zahlen ist dies nicht zu befürchten. Für die Arbeitnehmenden ist Reallohnverlust ärgerlich. Auf der anderen Seite muss nun die Nationalbank nicht noch stärker auf die Bremse treten, um die Inflation zu senken. Insgesamt ist dies sicherlich die bessere Art, um die Preisstabilität wieder zu erlangen, als durch eine Rezession mit einem starken Beschäftigungsverlust.
UBS Outlook Schweiz November 2022
Einblicke in die diesjährige Lohnrunde und Informationen dazu, wo Schweizer Unternehmen derzeit am Arbeitsmarkt die grössten Herausforderungen sehen.
Müssen die Arbeitnehmenden in dem Fall langfristig einen Reallohnverlust hinnehmen?
Germanier: Kurzfristig schon, mittel- und langfristig dürften die Arbeitnehmenden vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels mit höheren Löhnen rechnen. Das Kräfteverhältnis am Arbeitsmarkt dürfte sich künftig zu den Arbeitnehmenden verschieben. Erfreulich ist zudem, dass die Hälfte der Firmen angegeben hat, dass sie bei den tieferen Einkommen eine stärkere Erhöhung vorsehen, damit diese nicht zu stark unter der Inflation leiden. Dadurch wird der Effekt etwas gedämpft.
Noch wirkt sich der Reallohnverlust nicht auf den Konsum aus. Wird der Wind drehen?
Germanier: Der robuste Arbeitsmarkt sowie die privaten Ersparnisse sind unterstützende Faktoren für den Konsum. Das Geld, welches in der Pandemie nicht ausgegeben wurde, fliesst jetzt teilweise in die höheren Gasrechnungen oder die Tanksäule. Eine Rezession, ausgelöst durch den fehlenden Konsum, ist nicht zu erwarten. Trotzdem könnte dieses Jahr die Weihnachtsbescherung etwas kleiner ausfallen als in den Vorjahren.
Die erwarteten Lohnerhöhungen 2023 fallen sehr unterschiedlich aus. Worauf führen Sie dies zurück?
Germanier: Es ist kein Zufall, dass jene Branchen die grössten Lohnerhöhungen angekündigt haben, deren konjunkturelle Situation derzeit erfreulich ist. Zu denken ist dabei an die Uhren- und Schmuckindustrie, aber auch den Grosshandel oder IT und Telecom. Auffallend ist die Entwicklung in der Hotellerie und der Gastronomie. Dort ist der markante Anstieg auf den massiven Personalmangel zurückzuführen, der durch die Pandemie entstanden ist.
Für 2023 erwarten Sie eine Inflation in der Höhe von 2,1 Prozent. Worauf stützen Sie diese Annahme?
Bee: Dieses Jahr waren die hohen Energiepreise, die Lieferketten-Engpässe sowie die dadurch befeuerten Rohstoffpreise die klaren Treiber der Inflation. Besonders bei den Lieferengpässen gibt es mehrere Indikatoren – wie beispielsweise die Transportkosten für Container –, die auf eine Normalisierung in den kommenden Quartalen hindeuten. Gleichzeitig erwarten wir eine Stabilisierung der Energie- und Rohstoffpreise. Somit dürfte die Inflation im kommenden Jahr ebenfalls zurückgehen.