Volksabstimmung zur Verrechnungssteuer: Wer profitiert von dieser Reform? Laut den Gegnern nützt die Abstimmungsvorlage zur Verrechnungssteuer nur Grosskonzernen und reichen ausländischen Investoren. Der Bundesrat sieht dies ganz anders.
Laut den Gegnern nützt die Abstimmungsvorlage zur Verrechnungssteuer nur Grosskonzernen und reichen ausländischen Investoren. Der Bundesrat sieht dies ganz anders.
Ueli Maurer hat es wieder schwer. Der Finanzminister hat am Montag vor den Medien in Bern die Abstimmungskampagne zur Reform der Verrechnungssteuer eröffnet. Die Ausgangslage erinnert in gewissem Sinn an den Urnengang vom vergangenen Februar zur Abschaffung der Sondersteuer auf neuem Eigenkapital von Firmen: Die Befürworter versprechen eine wirtschaftliche Belebung, aus Sicht des breiten Publikums ist das Thema relativ weit entfernt, das linke Referendumskomitee greift auf bewährte Klassenkampf-Rhetorik gegen «das Kapital» und die bösen Grosskonzerne, die Gegner warnen auch vor Steuerausfällen für den Fiskus, die Bedeutung der Vorlage hält sich in Grenzen, und erste Tendenzen deuten auf erhebliche Grundskepsis im Volk.
Es geht nicht um eine Schicksalsvorlage. Weder für den Wirtschaftsstandort noch für den Fiskus. Dies räumte am Montag auch Ueli Maurer ein. Eigentlich müsste man laut dem Finanzminister hier nicht über eine Reform reden, sondern über ein «Reförmchen». Denn vorgesehen ist nicht etwa die volle Beseitigung der Verrechnungssteuer, sondern, gemessen an den Fiskalerträgen aus dieser Steuer, nur die Abschaffung von etwa 5 Prozent – und dies schrittweise. Doch die Grösse eines Reformschritts ist für sich allein kein wesentliches Argument für oder gegen eine Vorlage; entscheidend ist vielmehr, ob eine Reform in eine «gute» oder eine «schlechte» Richtung geht.
Überschaubare Zahlen
Die Reform enthält die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Zinsen von neuen Schweizer Obligationen; bis jetzt sind nur die Zinsen von Auslandobligationen verrechnungssteuerfrei. Betroffen von der Abschaffung der Verrechnungssteuer sind auch Obligationenfonds, kompliziertere Finanzprodukte, die steuerlich als Obligationen gelten, sowie Zinsen auf Bankkonti von ausländischen Anlegern und inländischen juristischen Personen. Vorgesehen ist zudem die Abschaffung der Sonderabgabe auf Börsenumsätzen mit Schweizer Obligationen.
Die Reform soll unter anderem Geschäfte mit Anleihen und Arbeitsplätze in die Schweiz holen, da viele grosse Schweizer Firmen derzeit ihre Obligationen zwecks Vermeidung der Verrechnungssteuer im Ausland herausgeben.
Die politische Linke möchte möglichst viele Staatsausgaben und damit auch möglichst hohe Steuereinnahmen. Jede Steuersenkung erscheint aus dieser Optik als Ärgernis. Das Ausmass ist hier allerdings bescheiden. Der Bundesrat rechnet ohne Berücksichtigung der möglichen Wirtschaftsbelebung als Folge der Reform mit Einbussen von unter 100 Millionen Franken für das erste Jahr und von 215 bis 275 Millionen Franken pro Jahr langfristig. Zum Vergleich: Die gesamten Bundeseinnahmen pro Jahr betragen 75 bis 80 Milliarden Franken. Die Schätzungen zu den Einbussen gelten für ein Zinsniveau der Anleihen von 1 Prozent. Bei höheren Zinsen wären die Einbussen ohne Verhaltensänderungen entsprechend höher; doch im Gegenzug wäre laut den Befürwortern auch der wirtschaftliche Nutzen der Reform grösser.
Bei einer relativ kleinen Reform ist in der Regel auch kein massiver wirtschaftlicher Schub zu erwarten. Laut den Befürwortern ist aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Vorlage sehr günstig. Gemäss den Gegnern nützt die Reform nur den Grosskonzernen und reichen ausländischen Investoren – einschliesslich «Oligarchen». Anders sieht dies der Bundesrat, der unter anderem auch den Werkplatz Schweiz und den Fiskus zu den Gewinnern zählt.
Wem also nützt die Sache? Wie meistens gibt es auch hier unmittelbare Wirkungen (Primärwirkungen), die einigermassen klar erscheinen, sowie Folgewirkungen, die im Voraus naturgemäss nicht schlüssig belegbar sind. Einige Gruppen können positive Primärwirkungen der Reform erwarten:
- Herausgeber neuer Obligationen (1). Die Verrechnungssteuer auf Schweizer Obligationen wird nicht von den betroffenen Konzernen bezahlt, sondern von den Anlegern. Grosse Schweizer Unternehmensverbände wie SwissHoldings und Economiesuisse kämpfen aber seit vielen Jahren für die (Teil-)Abschaffung der Verrechnungssteuer. Das lässt mutmassen, dass sich die Unternehmen einen erheblichen Nutzen versprechen. Viele internationale Schweizer Firmen geben ihre Anleihen zurzeit im Ausland heraus (zum Beispiel in Luxemburg), um sie vor allem für ausländische Investoren attraktiver zu machen. Mit der vorgeschlagenen Reform sparen die betroffenen Firmen keine Steuern, aber sie könnten sich die Umgehungsmanöver via ausländische Konstrukte sparen und ihre Anleihen künftig in der Schweiz herausgeben.
- Herausgeber neuer Obligationen (2). Gemäss Angaben der Bankiervereinigung betrug 2021 der Bestand ausstehender Obligationen von Schweizer Unternehmen etwa 800 Milliarden Franken, wovon rund 60 Prozent im Ausland ausgegeben wurden. Mit der Reform würden auch jene Schuldner profitieren, die bisher ihre Anleihen im Inland herausgaben: Ohne Verrechnungssteuer würden die Finanzierungskosten wohl etwas sinken. Denn Anleger können die Verrechnungssteuer zwar voll oder teilweise zurückfordern, doch die Rückforderung ist vor allem für ausländische Investoren mühsam. Laut einer genannten Schätzung könnte der Wegfall der Verrechnungssteuer beim jetzigen Zinsniveau die Finanzierungskosten um vielleicht etwa 0,05 Prozentpunkte senken. Das erscheint bescheiden, wäre aber nicht ganz zu verachten. Gemäss Daten des Bundesrats kam es in den letzten fünf Jahren in der Schweiz ohne Einbezug von Bundesobligationen im Durchschnitt pro Jahr zu knapp 300 neuen Emissionen von Frankenanleihen durch Inländer in der Schweiz. Der Gesamtbetrag dieser neuen Obligationen belief sich im Mittel auf gut 45 Milliarden Franken pro Jahr. Denkbar ist überdies, dass mit der Reform künftig auch vermehrt mittelgrosse Unternehmen eine Anleihenfinanzierung ins Auge fassen.
- Der Staat. Auch Bund, Kantone und Gemeinden geben Obligationen in der Schweiz heraus. Ohne Verrechnungssteuer könnten sie sich wohl ebenfalls etwas günstiger finanzieren. Bei einer Zinskostensenkung um 0,05 Prozentpunkte pro Jahr könnte dies laut Bundesangaben 65 Millionen Franken pro Jahr ausmachen.
- Die Banken. Die Banken können auf eine Belebung der hiesigen Aktivitäten im Anleihengeschäft hoffen. Von der Reform betroffen sind auch von Banken herausgegebene Finanzprodukte (strukturierte Produkte), die steuerlich als Obligationen gelten. Solche Produkte geben die Schweizer Banken derzeit laut Branchenangaben meist im Ausland heraus. Ähnliches gilt für Treuhandanlagen (kurzfristige Geldanlagen im Namen der Bank, aber auf Rechnung von Kunden), die Schweizer Banken zwecks Vermeidung der Verrechnungssteuer heute für ausländische Kunden oft via ausländische Banken führen. Die vorgeschlagene Reform würde den Banken keine Steuern sparen, aber Kosten für die Umgehungsmanöver. Hinzu kommt die Aussicht auf zusätzliche Geschäftsvolumen.
- Die Arbeitnehmer. Ginge es bei der Verlagerung von Geschäften in die Schweiz nur um die Verschiebung von Briefkästen, würde dies den betroffenen Anleihenschuldnern und Banken kaum etwas bringen. Beteiligte versichern, dass auch zusätzliche Arbeitsplätze in die Schweiz kämen – zum Beispiel für Fachleute in den Finanzabteilungen der am Anleihenmarkt aktiven Unternehmen, für Bankspezialisten und weitere Berater. Diese Arbeitsplätze wären gut bezahlt, aber in der Zahl wahrscheinlich überschaubar.
- Die Anleger. Vor allem für ausländische Anleger verbreitert sich das Spektrum interessanter Anlagen. Für Schweizer Anleger kann mit der Reform der Anreiz zur Steuerhinterziehung etwas steigen, weil nebst Auslandsobligationen auch Schweizer Anleihen verrechnungssteuerfrei sind.
Die Kehrseite der Medaille