Das Startup WeNurse macht aus Pflegekräften Unternehmer – und will so den Fachkräftemangel bekämpfen Bei dem Zürcher Personalverleih können die Mitarbeiter selbst über ihre Arbeitsbedingungen entscheiden. Die Gründer sagen: Nur so bleiben engagierte Pflegekräfte im Beruf.
Bei dem Zürcher Personalverleih können die Mitarbeiter selbst über ihre Arbeitsbedingungen entscheiden. Die Gründer sagen: Nur so bleiben engagierte Pflegekräfte im Beruf.
«Mir war schon recht bald nach dem Berufseinstieg klar, dass ich diese Arbeit nicht bis zur Pensionierung machen kann», erzählt Alana Heiduschke. Sie ist zwar erst 25 Jahre alt, steht aber schon seit zehn Jahren im Berufsleben, als Pflegekraft. «Ich mag den Beruf, weil er vielseitig und herausfordernd ist. Aber er ist in eine Art Abwärtsspirale geraten: Schlechte Löhne bei zunehmender Komplexität und abnehmenden Ressourcen führen zu viel Frust.»
Aus dieser Abwärtsspirale wollte Alana Heiduschke ausbrechen – aber sie wusste nicht, wie. Sollte sie eine Weiterbildung machen oder sogar ganz den Beruf wechseln? Sie war gerade dabei, ihre Möglichkeiten auszuloten, als sie eine Nachricht über Instagram erhielt, die ihr Interesse weckte.
Alessia Schrepfer, Pflegefachkraft und Unternehmerin, suchte engagierte Pflegerinnen, die sich an ihrem neuen Startup beteiligen wollten. Die Konditionen klangen attraktiv: ein solides Gehalt, flexible Arbeitszeiten – vor allem aber die Möglichkeit, als Miteigentümerin selbst vom Erfolg des Unternehmens zu profitieren und an allen grösseren Entscheidungen beteiligt zu sein.
Alle Mitarbeiter entscheiden mit
WeNurse heisst das Startup, das Alessia Schrepfer und Simon Hodel vor gut einem Jahr gegründet haben. Was mit einer Handvoll motivierter Kolleginnen begann, ist inzwischen ein Unternehmen mit knapp dreissig Pflegekräften. Die Idee ist simpel: Pflegefachkräfte werden selbst zu Unternehmern und bekommen so mehr Kontrolle über ihre Arbeitsbedingungen. Nur so, glauben Schrepfer und Hodel, lasse sich der Trend stoppen, dass immer mehr Pflegekräfte den Beruf verliessen – und sich dadurch die Situation für die verbliebenen Kräfte noch verschlechtere.
Auf den ersten Blick funktioniert WeNurse wie jeder andere Personalverleih in der Branche. Spitäler, bei denen es längere Personalausfälle gibt oder die aus anderen Gründen vorübergehend mehr Pflegekräfte brauchen, können das Startup buchen. WeNurse schliesst mit ihnen einen Vertrag auf Zeit ab und entsendet Pflegekräfte und anderes Fachpersonal aus seinem Pool.
Das Besondere: Alle Mitarbeiter können als Aktionäre über die Geschicke des Unternehmens mitentscheiden und auch mitprofitieren. Die Governance-Struktur sei ähnlich wie bei einer partnerschaftlich geführten Anwaltskanzlei, sagt Alessia Schrepfer. Die Mitarbeiter entschieden gemeinsam über Lohnbänder, Unternehmensziele und interne Regelungen. Zudem lege man besonderen Wert auf den «Community-Aspekt»: In regelmässigen Treffen sollen Austausch und Zusammenhalt gefördert werden, in Coachings lernen die Mitarbeiter mehr über Unternehmertum oder können sich beruflich weiterbilden.
Wechsel können auch motivieren
Alana Heiduschke sagt, sie sei zunächst skeptisch gewesen. «Ich hatte eigentlich nie geplant, temporär zu arbeiten.» Sie habe sich immer als Gewohnheitsmensch bezeichnet und sei froh darüber gewesen, einen festen Arbeitgeber zu haben. «Gerade am Anfang war ich bei jedem Wechsel ziemlich nervös.»
Aber die Aussicht, mit einem jungen Team zu arbeiten, und die Möglichkeit zur Mitbestimmung überzeugten sie. Inzwischen macht es ihr nichts mehr aus, immer andere Arbeitgeber zu haben: «Ich habe durch diese Erfahrung total viel Selbstvertrauen dazugewonnen.» Das regelmässige Wechseln sei sogar motivierend: «Ich will jede Station besser hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe. Ich habe gemerkt, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, sich im Kleinen positiv einzubringen.»
Das sieht auch Lhadoen Würth so. «Bei WeNurse merke ich, dass man auch als Einzelperson etwas bewirken kann. Das fehlte mir bei meiner Arbeit im Spital», erzählt sie. Seit 17 Jahren ist die 34-Jährige in der Pflege tätig. «Im Spitalalltag fehlt oft die Zeit, sich einzubringen. Die strengen Hierarchien machen es schwer, etwas zu verändern.»
Pflegekräfte werden Berater
Auch Lhadoen Würth sagt, sie habe den Beruf immer gerne ausgeübt. Aber sie wollte sich weiterentwickeln, was im Spital nur bedingt möglich war. Nach ihrer Schwangerschaft kündigte sie ihren Job und fing bei Alessia Schrepfer und Simon Hodel an. Heute ist sie bei WeNurse nicht nur als Pflegekraft, sondern auch als Beraterin tätig.
Das Startup verleiht neben Pflegefachpersonen auch Expertinnen für Übergangslösungen im Management sowie für Consulting oder Projektarbeit. Lhaoden Würth ist zurzeit bei einer Medizintechnik-Firma als Beraterin tätig, zuvor half sie während sechs Monaten bei der Spitex aus. Diese Abwechslung ist für sie ideal: «Ich wollte den Beruf ja nie komplett verlassen, ich bin gerne Pflegekraft. Aber hin und wieder auch Coachings anbieten zu können, ist eine tolle Möglichkeit.»
Die Arbeit im Personalverleih sei nicht für jeden das Richtige, sagt Alessia Schrepfer. Man müsse bereit sein, oft den Arbeitgeber zu wechseln, sich jedes Mal auf neue Herausforderungen einzustellen und zum Teil längere Anfahrtswege auf sich zu nehmen. «Man muss flexibel sein, mutig und einen Sinn für Gemeinschaft haben», findet auch Alana Heiduschke.
Wer von aussen kommt, hat mehr Freiheiten
Doch für junge Fachkräfte wie sie und Lhadoen Würth hat diese Arbeitsform einige entscheidende Vorteile: zum einen die Möglichkeit, viele verschiedene Bereiche kennenzulernen und mehr Erfahrung zu sammeln. Zum anderen die Tatsache, dass man als objektive, von aussen kommende Person gewisse Dinge nicht an sich heranlassen muss. «Wenn man von extern kommt, kann man sich besser gegen unfaire Arbeitsbedingungen oder schlecht gemachte Dienstpläne wehren», sagt Alana Heiduschke. «Und man traut sich eher, seine Meinung zu sagen.»
Wenn man mit Alessia Schrepfer darüber spricht, warum sie WeNurse gegründet hat, merkt man schnell, wie wichtig ihr das Thema ist. «Zu viele Pflegefachkräfte kehren dem Beruf den Rücken und verlassen das System. Ihnen ist die Freude am Beruf abhandengekommen. Darum muss sich etwas ändern.»
Schrepfer hat den Beruf im Laufe ihrer Karriere aus verschiedenen Perspektiven kennengelernt. Nach der Ausbildung zur Pflegefachkraft hängte sie ein berufsbegleitendes Studium an und arbeitete sich bis zur Stationsleitung hoch. Anschliessend arbeitete sie als Projektmanagerin bei der Emeda AG, einem Unternehmen, das mobile Hausarztleistungen anbietet. Dort lernte sie Simon Hodel können, der das Unternehmen zu dieser Zeit leitete.
Gemeinsam mit Hodel gründete sie im Jahr 2020 das Unternehmen AS-20, eine Art Projektschmiede für zukunftsträchtige Geschäftsmodelle in der Gesundheitsbranche. «Aus diesem Projekt heraus ist dann WeNurse entstanden», erklärt Schrepfer. Sie legt wert darauf, wie stolz sie auf ihren Beruf ist. «Der Pflegeberuf ist einer der schönsten Berufe und für die Gesellschaft unabdingbar.»
Raus aus der Opferrolle
«Viele Pflegekräfte haben sich aufgrund der Umstände in unserem Beruf in eine Art Opferrolle begeben. Das wollte ich für mich nicht», sagt Alana Heiduschke. Und Lhadoen Würth findet: «Ich war immer eine Verfechterin des Leistungsprinzips: Wenn man gute Arbeit macht, sollte man etwas davon haben. Wenn es WeNurse gutgeht, geht es auch uns gut.»
Und auch für die Spitäler lohne sich der Deal mit WeNurse, davon sind Schrepfer und Hodel überzeugt. Schliesslich sei es wegen des Fachkräftemangels inzwischen sehr schwierig geworden, gutes Leihpersonal zu finden. Bei WeNurse hingegen würden alle Mitarbeiter in einem umfassenden Prozess persönlich rekrutiert und würde viel Wert auf Weiterbildung gelegt.
Schrepfer und Hodel machen sich keine Illusionen: Den Fachkräftemangel in der Pflege werden sie allein nicht beheben können. Da Temporärkräfte dazu da sind, die Spitzen in den Spitälern zu überbrücken, werden Projekte wie WeNurse Nischenangebote bleiben.
«Wir können nicht endlos wachsen», sagt Simon Hodel. «Schliesslich wollen wir den Community-Aspekt bewahren, unsere Mitarbeiter sollen sich kennen und als Team verstehen.» Dennoch wollen sie dazu beitragen, dass wenigstens ein paar hundert Pflegende im Beruf bleiben. «Ich bin Realistin», sagt auch Lhadoen Würth. «Ich weiss, dass man nicht auf einen Schlag alles umwälzen kann. Aber kleine Schritte sind auch wichtig.»