Fast die ganze Textilindustrie hat die Schweiz verlassen, aber ein Weltmarktführer sagt: «Abwandern zahlt sich für uns nicht aus» Uster Technologies widersetzt sich dem Naturgesetz der Branche: dem sicheren Abschwung, der auf jedes Hoch folgt. Am Standort Schweiz wird nicht gerüttelt.
Uster Technologies widersetzt sich dem Naturgesetz der Branche: dem sicheren Abschwung, der auf jedes Hoch folgt. Am Standort Schweiz wird nicht gerüttelt.
Vielleicht wäre Uster bekannter, wenn Uster nicht Uster hiesse. Ausländische Geschäftsreisende finden es zwar hilfreich und amüsant, wenn sie das Unternehmen Uster Technologies besuchen wollen und dafür am Bahnhof Uster aussteigen können – schliesslich ist die Firma nach ihrem Standort im Zürcher Oberland benannt. Doch in der Stadt Uster ist Uster kaum ein Begriff. «Man kennt uns besser in einer Spinnerei in Pakistan als in unserer Heimat», sagt Firmenchef Davide Maccabruni.
Uster ist einer der letzten Überlebenden der einst so stolzen Schweizer Textilindustrie. Doch eine Firma kann aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden, wenn es ihre Produkte tun. So erklärt es sich Maccabruni. Bis zum Zweiten Weltkrieg war das Zürcher Oberland ein Zentrum der Textilherstellung. Wo die Spinnereimaschinen surrten, kamen Bauteile von Uster zum Einsatz. Inzwischen ist die Textilproduktion weitergezogen. Die Maschinen surren vor allem in Asien. Dort ist Uster Technologies ein Begriff. Daheim nicht mehr.
Toyota glaubt an den Mittelständler
Ganz sicher wäre Uster bekannter, wenn es noch Zellweger hiesse. In Uster gibt es einen Zellweger-Weiher und einen Zellweger-Park, und das in direkter Nähe zum Firmensitz. Kein Wunder: Uster Technologies ist aus der Zellweger AG hervorgegangen, die seit 1875 bestand. Der Elektroingenieur Alfred Zellweger baute die Firma zu einer Telefon- und Elektromotorenfabrik aus und trieb die Elektrifizierung der Stadt voran. Später expandierte das Unternehmen in die Textilindustrie. Nach einigen Eigentümerwechseln und Namensänderungen gehört Uster seit 2012 vollständig zum japanischen Konzern Toyota Industries.
Uster ist Weltmarktführer in einer wichtigen Nische für die Textilmaschinen-Industrie: der Qualitätskontrolle. Die Firma produziert Mess- und Prüfsysteme, welche unter anderem die Qualität von Baumwollfasern und die Regelmässigkeit von Garnen analysieren. Manche Uster-Geräte sehen aus wie Labormaschinen, andere sind kleine Bauteile, die in grosse Spinnmaschinen integriert werden.
Auch in Maschinen von Rieter aus dem nahe gelegenen Winterthur. Doch während Rieter derzeit mit dem Abschwung der Textilindustrie zu kämpfen hat und global bis zu 900 von 5500 Stellen streicht, kann sich Uster Technologies nicht beklagen: «Wir erzielen Gewinne und haben keinerlei Absichten, Arbeitsplätze zu reduzieren. Im Gegenteil», sagt Maccabruni. Rund die Hälfte der 680 Mitarbeiter des Unternehmens sind am Stammsitz beschäftigt. Uster ist in Uster der grösste private Arbeitgeber und erwirtschaftet einen Umsatz im niedrigen dreistelligen Millionenbereich.
Bei der Garnqualität darf nicht gesponnen werden
Zellweger war erst spät in die Produktion von Hilfsmaschinen für die Textilindustrie eingestiegen, nämlich zwischen den Weltkriegen. Im Jahr 1948 gelang der Firma der erste grosse Wurf: die Entwicklung des Garn-Gleichmässigkeits-Prüfgeräts, kurz GGP. 1957 folgte der zweite Meilenstein: die Lancierung der Uster-Statistik. In ihr wird die Qualität von Baumwollfasern und Garnen aus der ganzen Welt erfasst. Diese Kombination aus «Hardware» und «Software» erwies sich als unschlagbar.
Es war das richtige Angebot zur richtigen Zeit. Als die Textilmärkte noch regional geprägt waren, gab es wenig zu erfassen und zu vergleichen. Das änderte sich grundlegend, als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts internationale Produktions- und Handelsketten aufgebaut wurden. Nun galt es zum Beispiel, in Europa auch Baumwolle aus Amerika und Asien zu bewerten. Textilhersteller und Einkäufer mussten wissen, woran sie waren. Mit der Statistik lieferte Uster auch die Masseinheit: Die Qualität von Fasern und Garnen wird heute weltweit in «Uster» gemessen.
Doch auch Uster kann nicht der Achterbahnfahrt entkommen, die das Textilgeschäft prägt: dem Wirtschaftszyklus. Wie viel die Menschen für Kleidung ausgeben, hängt direkt mit der Konjunktur zusammen. Geht es mit Volkswirtschaft und Einkommen aufwärts, werden schnell neue Hosen, Kleider oder Pullover gekauft. Geht es abwärts, wird zuerst bei der Kleidung gespart. Entsprechend stark schwankt die Nachfrage nach neuen Textilmaschinen und damit nach Maschinenteilen.
Die Arbeitskosten sind kein Problem
«Die Schwankungen sind riesig und können 50 Prozent oder mehr betragen», sagt Maccabruni. Aber sie kommen regelmässig, und Uster kann damit umgehen: Erstens sind die Zyklen rund um den Globus meist verschoben. Geht die Nachfrage in einer Region zurück, zieht sie in einer anderen an. Zweitens modernisiert und wartet Uster auch bestehende Anlagen. Das liefert einen wichtigen Zustupf. Usters Geschäft ist kleiner, flexibler und schneller als das von Rieter, wo im Rahmen grosser und lang andauernder Projekte ganze Spinnereien ausrüstet werden.
Ausserdem sind die Arbeitskosten bei Uster kein grosses Problem – ein Argument, das im Hochlohnland Schweiz selten zu hören ist. Uster forscht und produziert weltweit noch an drei weiteren Standorten, nämlich in den USA, im Norden Israels und China. Doch in der Heimatstadt läuft eines der wichtigsten Produkte vom Band: der Garnreiniger.
Der Garnreiniger ähnelt einem kleinen Kasten, etwas grösser als eine Faust. Er wird in eine Spinnereimaschine eingebaut und überwacht das Garn, während es auf eine grosse Spule gerollt wird. Ist ein Fehler im Garn, hält der Reiniger die Maschine an und schneidet das Stück heraus. Das ist wichtig: Wenig ist für einen Textilhersteller unangenehmer, als wenn die Qualität des Garns unbemerkt während der Produktion schwankt. Der Reiniger ist der letzte Kontrollpunkt.
Der Textilnachwuchs wird knapp
Es ist ein Stück Hochtechnologie. Hergestellt wird der Reiniger ausschliesslich in Uster. Die Sensorik und der Algorithmus zur Erkennung von Fehlern sind aufwendig, das macht das Gerät teuer. «Der Kostenanteil für die Arbeit bei der Montage ist wirklich klein, vor allem im Vergleich mit den üblichen Arbeitskosten bei Textilmaschinenproduzenten», sagt Maccabruni. Deshalb würde sich auch eine Verschiebung in Billiglohnländer nicht auszahlen. Die Entfernung brächte Nachteile bei der Qualitätskontrolle und durch den Reiseaufwand, so der CEO. Sie wögen schwerer als die Vorteile auf der Kostenseite.
Dennoch sorgt sich der 49-jährige Firmenchef um den Textilstandort Schweiz. Der Mangel an Nachwuchs treibt ihn um: jene kritische Masse an Fachleuten, die es braucht, um eine Branche im Land zu halten. Uster baut Personal auf, aber es müssen Spezialisten sein: für die Produktion, wo keine Montagearbeiter mehr verlangt werden, sondern Maschinenprogrammierer. Und eben Textilfachleute für Forschung und Entwicklung. Zum Beispiel, um die Messtechnologie auf noch mehr Arbeitsschritte in den Spinnereien auszuweiten.
Diese Fachleute sind rar. Mindestens drei Dutzend der etwa 340 Uster-Mitarbeiter in der Schweiz würde Maccabruni als Textilexperten bezeichnen wollen. Aber längst sind es nicht mehr alles Schweizer. Fachkräfte aus Italien, Griechenland, Deutschland, der Türkei, Indien und China hat Uster bereits «importiert». Noch ist die kritische Masse vorhanden: Usters weltweit grösster Konkurrent für Garnreiniger ist ausgerechnet das Unternehmen Gebrüder Loepfe aus dem weniger als zehn Kilometer entfernten Wetzikon. Und Rieter in Winterthur ist auch noch da. Bei genauem Hinsehen schimmert er durch, der Glanz der Textiltradition.
Benjamin Triebe, Uster, «Neue Zürcher Zeitung»
Fast Fashion hilft nicht weiter
bet. · Es wird so viel Kleidung produziert wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Ein Grund ist Fast Fashion: die Herstellung schnell wechselnder und billiger Trendkollektionen, die nur kurz oder gar nicht getragen werden, bis sie wieder aus den Regalen fliegen. Das hat zu einer globalen Überkapazität der Textilproduzenten geführt – und Uster Technologies verdient gut daran. «Wir liefern, was gefragt wird, und können uns finanziell nicht beklagen», sagt Firmenchef Davide Maccabruni. Aber für ihn ist auch klar: «Es wäre wünschenswert, wenn sich bald Nachhaltigkeit in unserer Branche durchsetzte.»
Der Trend zu nachhaltig produzierten Textilien bietet Uster mehr strukturelle Chancen als Fast Fashion, denn er erfordert eine neue Generation von Geräten. Etwa beim Recycling von Kleidung. Auch hier müssen die Textilien und Fasern geprüft und analysiert werden. Die Testanforderungen sind jedoch andere als bei der ursprünglichen Produktion, zum Beispiel weil geschredderte Fasern kürzer sind als erstmals gewobene. Noch hat sich beim Recycling kein führender Anbieter von Analysegeräten etabliert. Uster hofft, diesen Platz einzunehmen.