«Oh Yeah»! Jetzt übernehmen die Kinder die Familiengeschäfte: Wie viel Dieter Meier steckt in ihnen? Der exzentrische Unternehmer geht in den Ruhestand. Eleonore, Sophie und Anna Meier führen sein Vermächtnis weiter – und wollen sich vom Vater emanzipieren.

Der exzentrische Unternehmer geht in den Ruhestand. Eleonore, Sophie und Anna Meier führen sein Vermächtnis weiter – und wollen sich vom Vater emanzipieren.

Die Erben des Exzentrikers: Anna, Sophie, Eleonore und Francis Meier im familieneigenen Restaurant Ojo de Agua an der Oetenbachgasse in Zürich. (Bild: Annick Ramp/NZZ)

Als Eleonore Meier ein Kind war, ging es bei ihr zu Hause etwas anders zu als bei ihren Freundinnen. Ihre Familie war viel unterwegs, unternahm Reisen in die USA und nach Indien. Ihr Vater war häufig weg. Dann wieder war das Haus voller Gäste. Es waren Künstler aus aller Welt, die zu Besuch kamen.

Warum war es bei ihnen anders? Davon hatte Meier lange keine Ahnung. «Ich hatte das Gefühl, meine Realität sei normal», sagt sie. Erst mit der Zeit habe sie angefangen zu verstehen: Den Unterschied machte ihr Vater, der Künstler, Unternehmer und Lebemann Dieter Meier. Er verfolgte seine Leidenschaften, war im In- und Ausland tätig.

Nun ist Dieter Meier 79 Jahre alt und hat sich aus seinen Geschäften zurückgezogen. Der NZZ schreibt er: «Ich habe vor, mich in den nächsten Jahren wieder vermehrt um meine artistischen Aktivitäten zu kümmern.» Unter anderem arbeite er an einem Roman mit dem Titel «Die Maske des Erzählers». Und er brüte über der Fortsetzung des Kinderbuchs «Oskar Tiger», das 2011 erschienen war.

Höchste Zeit also, Dieter Meiers Kinder kennenzulernen.

An einem Nachmittag im Frühsommer sitzen Eleonore, 40, Sophie, 38, Anna, 34, Francis, 28, an zwei zusammengeschobenen Tischchen im Restaurant Ojo de Agua beim Zürcher Rennweg. Für das Lokal tragen die Geschwister nun die Verantwortung – wobei sie mit demselben Herzblut am Werk sind wie ihre Eltern, wie Eleonore Meier versichert.

Als Dreijährige im Yello-Musikvideo

Der erste Moment in ihrem öffentlichen Leben, an den sich Eleonore erinnern kann, sind ihre Auftritte in den Musikvideos von Yello. Das Elektropop-Gespann Dieter Meier und Boris Blank hatte sich in den siebziger Jahren formiert. 1987 funkelt Eleonore als Dreijährige im Glitzerkleid vor der Kamera, sie hält einen spiegelnden Pappmond in den Händen. Im Zentrum steht ihr Vater, der schelmisch in die Kamera schaut und mit tiefer Stimme brummt: «Oh Yeah».

Als die Elektrotrommeln im Film «Ferris Bueller’s Day Off» in einer Szene zusammen mit einem Ferrari grollen, wird das Lied weltbekannt. «Oh Yeah» ging als Chiffre für Begierde und Exzess in die Pop-Geschichte ein. Auch Filme mit Titeln wie «The Secret of Success» schmückten sich mit dem Gewinner-Sound. Aber was war Dieter Meiers «Secret of Success»?

Über die Jahre hat er sich immer wieder neu erfunden. Er hat nie ein Wagnis gescheut, sondern sich von seiner Unternehmungslust leiten lassen. Einen Teil seines Erfolgs verdankte er aber auch seiner Persönlichkeit, um die sich eine Vielzahl von ausgefallenen Anekdoten rankt.

Dieter Meiers Wanderjahre

Dieter Meier ist Jura-Student, Pokerspieler, Golfer, bevor er 1971 erstmals als Künstler in Erscheinung tritt: In New York stellt er einen Stand auf die Strasse und kauft Passanten ein «Yes» oder «No» ab. Wer eines der Worte in sein Mikrofon spricht, erhält einen Dollar und eine Quittung. Für Meier, den Sohn eines Privatbankiers, ist das eine Kunstaktion.

Zu Hause am Zürichberg wechselt Meier zur Musik. Im Keller seines Elternhauses richtet er ein Tonstudio ein. Er scheint zu spüren, dass mit einer Gitarre nicht mehr viel zu erreichen ist. Die Zukunft sieht er in der elektronischen Musik, doch die ist teuer. Um Synthesizer und anderes Gerät anzuschaffen, leiht sich Meier 100 000 Franken von seinem Vater.

«Herr Boris, wie stellen Sie sich das vor?», soll Papa Meier Boris Blank angesichts des hohen Betrags gefragt haben. Doch das Investment zahlt sich aus: Yello wird insgesamt 14 Millionen Platten verkaufen.

Zu Ruhm gekommen, lebt er in den neunziger Jahren in Los Angeles, wo er die Villa des Stummfilmstars Antonio Moreno kauft. In Argentinien erwirbt er Weideland, das mittlerweile 70 000 Hektaren von Patagonien bis Salta mit 10 000 Black-Angus- und Hereford-Rindern umfasst. Hier produziert er Rindfleisch, Wein, Honig, Soja, Mais in Bio-Qualität und lässt sich von gutbetuchten Schweizer Kunden dafür bezahlen.

Mit seiner Rendite erschliesst Meier wieder neue Geschäftsfelder: Gründet mit Partnern das Restaurant Bärengasse, eröffnet Steakhäuser in Zürich, Frankfurt und im argentinischen Mendoza. Zuletzt gelingt ihm der Coup, im Schoggi-Land Schweiz ein neues Verfahren zur Herstellung von Schokolade patentieren zu lassen.

Die Zeitschrift «Bilanz» schätzte sein Vermögen im vergangenen Jahr auf 150 bis 200 Millionen Franken.

Noble Schlichtheit

Heute sind die Rollen vertauscht: Eleonore Meier ist keine Statistin in Papas Musikvideo mehr. Im Gegenteil: Sie ist die Chefin des Familienunternehmens geworden, das Dieter Meier aufgebaut hat.

Wie die Mitglieder der Familie Meier auf der Lederbank in ihrem eigenen Restaurant sitzen, wirken sie wie die braven Vertreter einer klassischen Unternehmerdynastie. Es fehlt Meiers Exzentrik. Meier, der sich gern als Rebell gibt, trägt einen breiten Schnurrbart, das wellige graue Haar nach hinten gekämmt, Hals- und Einstecktuch, getönte Brillengläser.

Die Garderobe seiner Nachkommen ist unscheinbarer. Die Töchter tragen Jeans und Blusen. Es sind Outfits, wie man sie in der Stadt häufig sieht – aber die Kleider der Meiers sind aus feineren Stoffen als die Massenware auf der Strasse.

Möglicherweise haben die Kinder die schlichte Noblesse ihrer Mutter geerbt: Als Monique Meier in den siebziger Jahren ihren späteren Gatten kennenlernt, arbeitet sie im Seidengeschäft Rudolf Brauchbar AG. Als Vertreterin der Firma beliefert sie bedeutende Pariser Modehäuser wie Chanel, Dior, Balenciaga. Ende der siebziger Jahre kaufen die Eltern von Dieter Meier die Seidenfirma für einen symbolischen Franken, Monique Meier übernimmt die Leitung und macht daraus das Modelabel EnSoie. In diesem Jahr feiert EnSoie sein 130-jähriges Bestehen.

Im Laden an der Strehlgasse beim Lindenhof gibt es Foulards und Seidenröcke zu kaufen. Goldkettchen liegen in der Vitrine, handgemalte Keramikvasen stehen auf den Theken. Deren rotes oder blaues Vichy-Muster war schon zu Kaiser Napoleons Zeiten beliebt und erinnert an Picknickdecken in ländlichem Idyll. Alles ist in Einzelstücken ausgestellt. Das banale Motto «Love Rules Forever» ist allgegenwärtig – ersonnen hat es Dieter Meier.

Die Ware ist unauffällig, aber kostspielig. Für Stoffbeutel legt man 70 Franken hin. In Zürich, der Hauptstadt des Understatements, macht das aber nichts. Die reduzierte Eleganz kommt bestens an.

Wie auf einem Bauernhof

Der Laden ist Familiensache. Sophie arbeitete bereits als 14-Jährige im Verkauf von EnSoie, Anna absolvierte nach der Matura ein Praktikum im Meierschen Designatelier. «Unsere Mutter sagte immer: Wir sind wie ein Bauernhof. Alle Kinder helfen mit, wo es gerade Hilfe braucht. Wir kennen den Betrieb und die Mitarbeiter seit je», sagt Anna Meier.

Als sich die Frage stellte, ob sie den mütterlichen «Bauernhof» übernehmen wollten, musste Anna Meier nicht lange überlegen: «Wir sind organisch hineingewachsen, deshalb fühlt es sich richtig an».

Der Mutter scheint das Loslassen leichter zu fallen als dem Vater. Deshalb steigen die Töchter zuerst bei EnSoie ein. 2013 übernimmt Anna die künstlerische Leitung des Labels.

Ihre Eltern seien grosse Vorbilder, sagen die Geschwister. Inspiriert von den beiden hätten sie in den vergangenen Jahren ihren eigenen Führungsstil entwickelt. Der sei «viel strukturierter».

«Struktur», «organisch», «Stabilität» und «Ordnung» sind Wörter aus der Business-Sprache, die im Gespräch mit den Töchtern wieder und wieder fallen. Die Geschwister sind freundlich, aber sie bleiben distanziert. Es ist schwierig, ihnen näherzukommen, ihre Medienschulungen machen sich bemerkbar.

Das Geheimnis ihres Erfolgs? Die Antworten klingen lapidar: Sophie spricht von Disziplin und Strebsamkeit. Das seien wichtige Werte gewesen in ihrem Elternhaus. «Von nichts kommt nichts.» Anna und sie seien morgens die Ersten im EnSoie und abends die Letzten, die wieder gingen. Sie seien stets in direktem Kontakt mit ihren Mitarbeiterinnen und der Kundschaft.

Das mit dem Kontakt sehen indes nicht alle Kundinnen und Kunden so. Bei Google wird die Bedienung mal als unaufdringlich und freundlich bewertet. Mal aber auch als desinteressiert und gelangweilt.

Die Kinder üben sich in Bescheidenheit

2008 sagte Dieter Meier im Interview mit der NZZ, die Offenheit seines Elternhauses habe ihn in all den Erscheinungsformen seines Tuns geprägt: «Sagen wir es so: In einer anderen Zeit wäre ich sicher nicht ein völlig anderer Kerl geworden – mit anderen Eltern aber schon.»

Nach diesem Vorbild hat er wohl auch seine eigenen Kinder erzogen. Druck habe es nie gegeben, sagt Eleonore Meier. «Es hat nie geheissen, du musst etwas Rechtes werden. Du musst Wirtschaft studieren. Auch wenn ich mir manchmal gewünscht hätte, ich hätte das.» Stattdessen studierte sie Film und gründete eine Produktionsfirma.

Dennoch bestimmte das Elternhaus gewissermassen ihren Werdegang. In der neuen Firmenstruktur haben alle ihren Platz. Eleonore ist seit vergangenem Jahr CEO des Family-Office und beaufsichtigt die Finanzbeteiligungen des Familienunternehmens in Europa, Südamerika und Asien. Anna und Sophie führen EnSoie. Francis Meier ist Filmemacher und Künstler, hat aber Sitze in den Verwaltungsräten mehreren Firmen der Meier-Unternehmungen. Seine Aufgaben sind «strategischer» Natur.

Während die Zurückhaltung seiner Eltern Dieter Meier zu aussergewöhnlichen Leistungen anstachelte, üben sich seine Nachkommen in Bescheidenheit. Es wird mit dem gearbeitet, was schon da ist. Der Fokus liege zurzeit auf dem Weinanbau in Ibiza und Argentinien, sagt Eleonore Meier.

Er stehe seinen Kindern bei Bedarf immer zur Seite, betont Dieter Meier. «Ich freue mich aber, zu sehen, wie sie sich mit grossem Engagement um die verschiedenen Unternehmungen kümmern und ihre eigenen Ideen einbringen.»

Sie wollen etwas Neues erschaffen – aber was?

Das «Ojo de Agua» ist nur ein kleiner Teil im unternehmerischen Gesamtkunstwerk von Dieter Meier, aber es trägt eindeutig seine Handschrift: Auf der Abendkarte stehen ausser den Vorspeisen nur zwei Gerichte. Tatar aus Beefsteak und Entrecôte double – simple Klassiker mit Fleisch aus den eigenen Betrieben. Erstklassig zubereitet.

Was gibt es in dieser perfekten Welt für die Geschwister Meier noch zu tun?

Das Erbe bringe auch Verantwortung mit sich, da sind sich die Geschwister einig. Aber nur das zu verwalten, was schon da sei, das reiche ihnen nicht. Sie wollen sich emanzipieren, die Unternehmen weiterentwickeln, eigene Ziele verfolgen. Was das konkret bedeutet, verraten sie nicht.

Stephanie Caminada und Oliver Camenzind, «Neue Zürcher Zeitung»

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