Der letzte unabhängige Seilbahnbauer der Schweiz gibt die Eigenständigkeit auf – jetzt ist die Dominanz der Riesen perfekt Bartholet, der Schweizer Einzelkämpfer unter den Herstellern von Gondel- und Sesselbahnen, schlüpft bei der Konkurrenz unter – und sieht es als Glücksfall. Doch Bergbahnbetreiber fürchten um den Wettbewerb und die Innovationskraft.
Bartholet, der Schweizer Einzelkämpfer unter den Herstellern von Gondel- und Sesselbahnen, schlüpft bei der Konkurrenz unter – und sieht es als Glücksfall. Doch Bergbahnbetreiber fürchten um den Wettbewerb und die Innovationskraft.
Roland Bartholet hat, was man ein Büro mit Aussicht nennt. Durch die bodentiefen Fenster kann der Chef von Bartholet Maschinenbau in Flums (SG) den Blick schweifen lassen – über die Churfirsten und das Seeztal bis zu den untersten Seilbahnstützen des Skigebiets Flumserberg. Bis vor kurzem stach dort ein Konkurrent ins Auge: An jenen Masten, die sich von Bartholets Büro erspähen lassen, dreht eine Kabinenbahn der französischen Firma Poma ihre Runden.
Die Seilbahn ist weiterhin da, aber die Konkurrenz ist weg. Wenn Roland Bartholet jetzt über Poma redet, bezeichnet er die Firma als Partner. Bartholet gehört seit wenigen Wochen unter dasselbe Firmendach. Es ist eine Zäsur in der 60-jährigen Unternehmensgeschichte – und für die ganze Branche. Bartholet, der letzte eigenständige Seilbahnbauer der Schweiz, ist nicht mehr eigenständig. Einen «Riesenglücksfall» nennt das der Chef und Verwaltungsratspräsident im Doppelmandat, der Bartholet in zweiter Generation führt.
Der Einzelkämpfer will nicht mehr
Wer in eine Seilbahn steigt, dem können in der Kabine oder am Sessel viele Namen begegnen: Poma, Leitner, Doppelmayr, Garaventa, CWA – und manchmal auch Bartholet. Doch hinter all den Namen stehen nur wenige Eigentümer. Es gibt zwei Imperien. Das erste ist das österreichische Doppelmayr-Imperium, zu dem auch die Schweizer Firma Garaventa gehört. Das zweite ist die Firmengruppe High Technology Industries (HTI) aus Südtirol, unter deren Dach das Schwergewicht Leitner sowie unter anderem Poma versammelt sind (vgl. Grafik).
Und dann gibt es noch Bartholet, für lange Zeit der Schweizer Einzelkämpfer, der Kleine, der Dritte im Markt. Diese Sonderrolle ist vorbei. Seit Mitte März ist Bartholet ein Teil von HTI. Die Firmengruppe der Familie Seeber hat die Bartholet-Mehrheitsanteile von der Private-Equity-Gesellschaft Cedarlake Capital übernommen – mit vollem Einverständnis des Flumser Unternehmens. Damit sind HTI und Doppelmayr/Garaventa endgültig die weltweit dominierenden Gruppen in der Seilbahnfertigung.
Das sorgt für Unruhe bei den Bergbahnbetreibern. «Bartholet war sehr stark in Entwicklung und Forschung. Das hat das Oligopol aufgemischt. Diese Dynamik geht jetzt verloren», befürchtet Berno Stoffel, Direktor von Seilbahnen Schweiz. «Im Grunde hat man nur noch ein Duopol. Jetzt wird der Wettbewerb unter den Herstellern eingeschränkt», kommentiert auch Roland Zegg, Gründer der Agentur Grischconsulta, die Tourismusgebiete und Bergbahnen berät.
Den Markt aufmischen, das war tatsächlich das Ziel von Bartholet. Im Jahr 1996 übernahm Sohn Roland das Unternehmen von Vater Anton, der es 1962 als Reparaturwerkstatt für Landmaschinen in Flums gegründet hatte. Zuvor hatte Anton Bartholet neun Jahre bei dem Seilbahnbauer Städeli in Oetwil am See (ZH) gearbeitet. Als der Skitourismus nach dem Zweiten Weltkrieg Fahrt aufnahm, beflügelte die wachsende Nachfrage nach Aufstiegshilfen auch Schweizer Unternehmer. Namen wie Walter Städeli, Willy Bühler aus Bern oder Willy Habegger aus Thun prägten den Bahnbau jener Zeit.
Erfindungen zahlen sich aus
Um 1970 beschäftigte sich rund ein Dutzend Schweizer Unternehmen mit der Herstellung von Seilbahnen. Auch Anton Bartholet mischte mit. 1981 stellte Bartholet die erste Sesselbahn auf, notabene vor der Haustür am Flumserberg. Dann drehte der Wind in der Branche. Die Grösseren schluckten die Kleineren. Die Firma Bartholet blieb klein, aber selbständig – dann schaltete Roland Bartholet in den Vorwärtsgang. «Angesichts der Konsolidierung sahen wir 1996 die Chance, den Seilbahnbau in der Schweiz wieder aufleben zu lassen», berichtet er im Gespräch.
Heute hat Bartholet fast alle Arten von Seilbahnen im Programm. Statt 12 Mitarbeitern wie im Jahr 1996 zählt man weltweit 450, davon 350 in Flums. Ein Meilenstein war die Entwicklung einer eigenen Klemme – jenes immens wichtige Verbindungsstück, das eine Gondel oder einen Sessel bei einer Umlaufbahn während der Fahrt am Seil hält. In der Station wird sie vom Seil gelöst. Gondel oder Sessel können dann für den Ein- und Ausstieg der Passagiere langsam weiterfahren, während das Hauptseil unverändert schnell weiterläuft.
Mit der eigenen Klemme konnte Bartholet ab dem Jahr 2005 auch kuppelbare Anlagen bauen. Diese Anlagen sollten immer etwas Besonderes sein – sei es aus Tugend oder aus Not. «Bartholet hat immer Innovationen geliefert, weil das ein Mittel zum Überleben war», sagt Roland Zegg von Grischconsulta. «Die Firma musste innovativ sein, um sich bei Ausschreibungen gegen Kampfpreise der grossen Mitbewerber behaupten zu können.» So entwickelte Bartholet einen Schwenksessel, der sich während der Fahrt in die Richtung mit der besten Aussicht für die Fahrgäste dreht. Auch spannte man mit dem Porsche-Design-Studio zusammen, um hochwertige Gondeln mit Panoramasicht zu bauen.
Ein Taxi als Seilbahn
Doch die grösste Innovation der Firmengeschichte ist noch nicht in Betrieb. «Wir wollen die Zukunft der Bergbahnindustrie umkrempeln», sagt Roland Bartholet, und er sagt es mit jener Gelassenheit, die aus fester Überzeugung erwächst. Diese Zukunft hat Bartholet «Ropetaxi» genannt. Es ist eine Umlaufgondelbahn, bei der die Gondeln nicht ständig ihre Runden drehen. Sie werden erst dann automatisch auf die Strecke geschickt, wenn ein Fahrgast eingestiegen ist. Ausserdem müssen die Gondeln nicht mehr einer fixen Seillinie folgen, sondern können an Gabelpunkten auf andere Trassen geführt werden und so direkt verschiedene Ziele ansteuern – je nach Wunsch des Fahrgastes. Wie ein Taxi.
Die Pionieranlage soll in Laax entstehen. Die Gondelbahn namens «Flem XPress» führt von Flims über zwei Zwischenstationen zu einem Gabelpunkt, wo sie sich Y-förmig aufspaltet: nach rechts ins Gebiet Cassons auf einer gänzlich neuen Trasse, was ein vor allem für Sommergäste reizvolles Areal erschliesst. Und nach links ins Laaxer Skigebiet. Alte Anlagen werden ersetzt, und die neue Anlage bedient aus einer Hand unterschiedliche Strecken für unterschiedliche Gäste mit unterschiedlichen Frequenzen zu unterschiedlichen Jahreszeiten. Ende 2023 soll das erste Teilstück eröffnet werden.
Das Besondere am Ropetaxi ist die Effizienz. Statistisch führen 90 Prozent aller Kabinen ohne Gäste, argumentiert Roland Bartholet. Bleiben die Kabinen in der Station, bis wirklich ein Gast kommt, senkt das die Betriebskosten. Bartholet verspricht den Bergbahnen eine Energieeinsparung um die Hälfte sowie durch den hohen Automatisierungsgrad eine Reduktion der Personalkosten. Vor allem in der Nebensaison seien die Einsparungen gravierend. Jede Skidestination könne das Ropetaxi einsetzen, sagt der Firmenchef überzeugt.
Damit trifft Bartholet einen Nerv in der Branche. «Kapazitäten managen statt Kapazitäten erhöhen wird ein Thema», sagt Berno Stoffel von Seilbahnen Schweiz. Energieverbrauch sei ein wichtiger Aspekt, und Bartholet habe auf dem Gebiet viel mehr gemacht als die anderen Anbieter. Auch müssten die Seilbahnen im Betrieb schlanker werden. Nicht zuletzt werden demnächst viele Erneuerungen fällig. «Wir stehen vor einem Investitionsschub», so Stoffel.
HTI kann ein Hebel sein
Die fällige Erneuerung einer Anlage bietet oft Gelegenheit, das ganze Anlagenkonzept zu überdenken – so wie in Laax geschehen. Das ist eine Chance für Bartholet und das Ropetaxi. Und für ihn als Teil der HTI-Gruppe könnte sie grösser sein denn als Einzelkämpfer. «Weil Bartholet deutlich die kleinste Firma von den drei Grossen war, hatte sie im Alpenraum keinen leichten Stand», sagt Roland Zegg von Grischconsulta. «Im Verbund mit HTI könnte Bartholet sich nun besser im ganzen Alpenraum durchsetzen.»
Oft war Bartholet gezwungen, den Erfolg in der Ferne zu suchen. Roland Bartholet verkaufte früh Anlagen nach Südamerika. Auch in Russland, sogar mitten in Moskau, stellte er Seilbahnen auf. Der Private-Equity-Investor Cedarlake, der jetzt von HTI abgelöst wurde, hatte gute Kontakte in Asien – das machte ihn für Bartholet interessant. Nicht immer war es in den fernen Märkten einfach. «Die grösste Aufgabe war, als Kleinunternehmen aus der Schweiz anerkannt zu werden», berichtet der Firmenchef.
Der Wunsch, sich zu behaupten, brachte die externen Geldgeber an Bord. «Statt uns mit Banken herumzuschlagen, haben wir uns im Jahr 2010 entschlossen, Investoren zu finden, um unser Wachstum zu finanzieren», sagt Bartholet. Der Beteiligungsfonds Argos Soditic kaufte die Mehrheit der Anteile an Bartholet von der Familie und gab sie 2017 an Cedarlake weiter.
Nun hat Roland Bartholet genug von den Staffelübergaben: «Finanzpartner wechseln alle fünf Jahre. Ich wollte dieses Prozedere nicht noch einmal machen», sagt er – auch mit Blick auf die eigene Nachfolgeregelung. Der Chef ist 57 Jahre alt, zwei Junioren sind schon im Betrieb. Stattdessen sollte ein langfristiger, strategischer Partner her. «Da ist die Auswahl sehr dünn», sagt Bartholet. HTI sei die beste Lösung.
Verliert Bartholet sein Profil?
Dass die Finanzinvestoren immer die Mehrheit an Bartholet hielten, machte laut dem CEO nie einen Unterschied für die Unternehmensführung. Das soll unter HTI so bleiben. «Die Unabhängigkeit ist eindeutig weiterhin gegeben», sagt Roland Bartholet. «Die Zusage von Anton Seeber, der die HTI-Gruppe präsidiert und auch Mehrheitsaktionär ist, lautet, dass die Firma Bartholet genau gleich geführt wird wie eine Firma Leitner oder Poma.»
Wird das gelingen? Als Vergleich drängt sich Garaventa auf, und das stimmt skeptisch: Nachdem Doppelmayr aus Vorarlberg und die Schweizer Garaventa im Jahr 2002 fusioniert hatten, wurden Produkte verschoben und gebündelt. Garaventa konzentriert sich auf Standseilbahnen und Pendelbahnen, Doppelmayr auf Umlaufbahnen. «Eine Entwicklung wie bei Garaventa, wo Teile des Geschäfts verlagert wurden, ist nicht vorgesehen», bekräftigt Roland Bartholet. Zwar wolle man bei HTI in der Lieferkette Synergien nutzen. «Aber was wir als Bartholet aus dem Input machen, bleibt uns überlassen.»
Bartholet sollte die operative Unabhängigkeit bewahren, wünscht sich Berno Stoffel von Seilbahnen Schweiz. Leitner und Doppelmayr/Garaventa setzten verstärkt auf Systembau, also das Zusammensetzen von vorgefertigten Modulen je nach Kundenwunsch. Bei Bartholet stünden das Engineering und die Innovation im Vordergrund, sagt Stoffel. Für den Vertreter der Bergbahnen lautet die Gretchenfrage: «Produziert man in Flums noch ein oder zwei Jahre weiter und verlagert dann, oder werden der Standort und die Innovationskultur erhalten?»
Tieferer Wettbewerb – höhere Preise
Roland Bartholet beruhigt mit dem Argument, die Produkte der Unternehmen unter dem HTI-Dach unterschieden sich klar. Bartholets Gondeln mit dem Porsche-Design seien ein Premiumprodukt, das Kunden nur von Bartholet kaufen wollten. Ebenso das Ropetaxi. «Für die Arbeit daran sind die prädestiniert, die die Technik entwickelt haben», sagt er. «Es ist auch nicht das Bedürfnis der HTI-Firmen, unsere Projekte zu übernehmen.»
Bei einem Punkt herrschen allerdings wenig Zweifel. Bartholet habe konkurrenzfähig angeboten, ist zu hören. Doch wenn zwei grosse Gruppen den Markt dominieren, werden die Preise für Seilbahnen wahrscheinlich steigen. «Ich habe sehr viele Verhandlungen miterlebt, und es war einfach wichtig, dass ein dritter Player dabei war», berichtet Roland Zegg von Grischconsulta. Die Bergbahnen zerbrechen sich ohnehin den Kopf über hohe Kosten und die Inflation. Eine Preiserhöhung aufgrund der Konsolidierung wäre «doppelt ungünstig», sagt Berno Stoffel.
Benjamin Triebe (Flums), «Neue Zürcher Zeitung»
Doppelmayr gegen HTI – Duell in einer grossen Nische
Roland Bartholet wollte für sein Unternehmen statt neuer Finanzinvestoren einen strategischen, langfristigen Partner, der sich in der Seilbahnbranche auskennt. Mit diesem Profil wäre Doppelmayr/Garaventa wohl die einzige Alternative zu HTI gewesen. Doch Bartholet sagt, daran habe er nie gedacht. «Das wäre sicher nicht sinnvoll gewesen. Wenn, dann wäre Doppelmayr nur am Markt von Bartholet interessiert, aber sicher nicht an der Firma. Bei HTI ist es umgekehrt», so der Bartholet-Chef.
Da trifft es sich gut, dass Doppelmayr/Garaventa selbst jedes Interesse an Bartholet zurückweist: «Diese Übernahme hätte uns keine Vorteile gebracht», teilt das Unternehmen mit. Die eigene Präsenz und technische Kompetenz in der Schweiz sei durch die Standorte von Garaventa, der Frey AG und von CWA ausreichend gesichert (vgl. Grafik). Die Übernahme durch HTI stelle für Doppelmayr «keine wesentliche Veränderung» in der Branche dar.
Nun sind die Riesen auf Augenhöhe
Allerdings hat sie Gewichte verschoben. Laut Roland Zegg von Grischconsulta decken alle drei Hersteller beim Bahnbau einen Markt von im Jahr schätzungsweise 1,5 bis 2 Milliarden Euro ab. Die Branche ist klein und abgeschottet, aber die Unternehmensgruppen unterscheiden sich deutlich. Doppelmayr/Garaventa konzentriert sich auf den Seilbahnbau und ist der weltweite Branchenprimus. HTI hat neben den Seilbahnherstellern auch Produzenten von Pistenraupen (Prinoth) und von Beschneiungsanlagen (Demaclenko) unter ihrem Dach – die Gruppe will alle Bedürfnisse in einem Skigebiet abdecken. Hinzu kommt die Fertigung von Windkraftanlagen.
Der Umsatz der ganzen HTI-Gruppe belief sich im Jahr 2020 auf 887 Millionen Euro. Bartholet publiziert selbst keinen Umsatz, aber baut nach eigenen Angaben zwischen 20 und 25 Seilbahnanlagen pro Jahr. Die kosten jeweils zwischen 5 und 10 Millionen Franken. Roland Bartholet formuliert es so: «Mit der Addition unseres Portfolios ist die HTI-Gruppe beim Seilbahnumsatz nun auf Augenhöhe mit Doppelmayr/Garaventa.» Die Österreicher wiesen für das Geschäftsjahr 2020/21 einen Umsatz von 763 Millionen Euro aus.