Die SBB fordern von ihren Kunden massiv höhere Preise – für manche grenzt das an Erpressung SBB Cargo schreibt Defizite. Die Güterbahn baut Stellen ab und verlangt auch von den Verladern einen Beitrag. Bei einem Treffen mit Gerhard Pfister kam es zum Eklat.
SBB Cargo schreibt Defizite. Die Güterbahn baut Stellen ab und verlangt auch von den Verladern einen Beitrag. Bei einem Treffen mit Gerhard Pfister kam es zum Eklat.

Das Treffen war als Aussprache gedacht. Vor zwei Monaten kam die Spitze der SBB mit grossen Güterkunden, darunter Holcim und Nestlé, sowie Verbänden der Wirtschaft und der Verlader zusammen. Diese hatten sich wegen der massiven Preiserhöhungen, die SBB Cargo plant, besorgt an Verkehrsminister Albert Rösti gewandt. Sie mahnten, das Vorgehen schade dem Bahngüterverkehr in der Schweiz. Seitens der SBB nahmen der Direktor Vincent Ducrot, die Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar und der Güterverkehrs-Chef Alexander Muhm teil.
Doch es kam nicht zur Annäherung, im Gegenteil. Mehrere Teilnehmer nahmen Muhms Auftritt als forsch wahr. Mit einem Kunden wollte dieser nicht über Konditionen reden, weil das Volumen zu klein sei. Einem anderen Kunden machte SBB Cargo klar, die Fahrten würden eingestellt, wenn man sich bis Ende März nicht über die Preise einige. Ducrot sagte wenig und ass einen Salat. Da platzte Gerhard Pfister der Kragen: Er warf den SBB eine unglaubliche Arroganz vor. Der Mitte-Präsident nahm als Vertreter der Zementindustrie am Treffen teil, deren Branchenverband er präsidiert.
Frank Furrer leitete jahrelang den Verband der verladenden Wirtschaft (VAP). Er sagt: «Ich habe nie so einen Auftritt gegenüber Kunden erlebt.» Pfister gibt sich auf Anfrage diplomatischer. «Es ist bemerkenswert, wie die Spitze eines Unternehmens des Service public mit Kunden umgeht», sagt er. In der Privatwirtschaft könnte man sich so eine Tonalität nie erlauben, im Gegensatz zur Quasi-Monopolistin. Die SBB würden so die klimapolitischen Ziele ihres Eigners, des Bundes, unterlaufen. Die Kunden würden auf die Strasse gezwungen.
Zu hohe Verluste, zu tiefe Preise
Der Eklat zeigt, wie hart SBB Cargo und die grossen Kunden hinter den Kulissen ringen. Die Güterbahn ist seit Jahren defizitär. Das kumulierte Minus der letzten zehn Jahre beläuft sich auf knapp 490 Millionen Franken. Der frühere Immobilienchef Muhm hat die schwierige Aufgabe gefasst, an der zahlreiche seiner Vorgänger gescheitert sind: Er muss den Verkehr mit einzelnen Wagen und Wagengruppen (WLV) sanieren und neu ausrichten.
Gemäss den SBB sind die Preise im WLV-Verkehr nicht kostendeckend, wie es der Bundesrat erwartet. Sie haben für jeden Grosskunden berechnet, wie hoch die Preise sein müssten. Der WLV ist aufwendig, weil es im Gegensatz zu Ganzzügen mit Öl oder Kies viele Rangiermanöver und viel Personal braucht. Gemäss mehreren Quellen reichen die Preiserhöhungen von 20 Prozent bis zu 300 Prozent. Parallel will SBB Cargo die Produktion anpassen und in neues Rollmaterial und die Automatisierung investieren.
Die SBB bestätigen, dass sie für die Mehrheit der Kunden im WLV-Verkehr die Preise erhöhen, im Durchschnitt um 20 Prozent. In Einzelfällen, wo die Preise wegen der aufwendigen Produktion bei weitem nicht kostendeckend seien, gebe es stärkere Aufschläge, sagt der Sprecher Moritz Weisskopf. «Wir brauchen Preise, die die Kosten decken.» SBB Cargo sei kein Unternehmen des Service public, da der Bahngüterverkehr liberalisiert sei. Dieser könne kein billiger Ersatz für Lastwagen sein, den der Rest der SBB zugunsten der Kunden und zulasten der Steuerzahlenden finanziere. Wer die gleichen Leistungen beziehe, solle gleich behandelt werden.
Die massiven Preiserhöhungen sorgen nicht nur bei der Zementindustrie für Unmut. Das Familienunternehmen ACTS gehört im WLV-Verkehr zu den fünfzehn wichtigsten Kunden von SBB Cargo. Es ist im Transport mit Wechselbehältern zwischen der Schiene und der Strasse tätig, unter anderem zu den Kehrichtverbrennungsanlagen in Lausanne, Zuchwil und Weinfelden.
«Was SBB Cargo macht, grenzt an Erpressung», sagt der Geschäftsleiter Daniel Zumkehr der NZZ. «Entweder man akzeptiert die Preiserhöhungen und die angepasste Produktion, oder sie fahren nicht mehr für einen.» Er habe Verständnis, dass das Unternehmen etwas machen müsse. Aber das Vorgehen von SBB Cargo sei krass. Den bestehenden Kunden werde zu wenig Zeit gewährt, um neue Lösungen auf der Schiene zu finden. Die Preiserhöhungen seien viel zu hoch, zumal das Angebot ab 2027 schlechter werden solle. ACTS brauchte etwa ein Drittel mehr Wagen, da SBB Cargo die Bahnhöfe weniger häufig anfahren will. Die Schiene werde Güter verlieren, sagt Zumkehr.
SBB streichen achtzig Stellen
Für Unmut sorgte auch, dass die SBB in den Augen der Verlader zu wenig zur Sanierung des WLV-Verkehrs beitragen. Dieser Vorwurf hat sich am Donnerstag entkräftet: Die Bahngewerkschaft SEV machte publik, dass SBB Cargo im laufenden Jahr achtzig Vollzeitstellen streicht. Bis 2030 wolle die Güterbahn rund einen Fünftel des Personals abbauen und das Netz des WLV-Verkehrs erneut drastisch reduzieren.
Die SBB führen den Abbau für 2025 auf das gestiegene Defizit und die sinkende Nachfrage zurück. Sie wollen die Stellen möglichst über Wechsel innerhalb der Bahn abbauen. Wie viele Stellen und Bedienungspunkte mittelfristig wegfielen, sei dagegen noch unklar. Dies hänge vom neuen Produktionsmodell ab, das SBB Cargo mit den Grosskunden erarbeite.
Der Sprecher Weisskopf betont, mit der Mehrheit der Verlader seien die Gespräche auf gutem Weg. Bei einzelnen Kunden gebe es Vorbehalte. «Wir nehmen diese ernst und wollen gemeinsam Lösungen suchen.» Die SBB verweisen auf die Revision des Gütertransportgesetzes, die im Parlament hängig ist. Der Bundesrat sieht eine befristete Unterstützung vor, um den WLV-Verkehr zu modernisieren. Zudem soll ein unbefristeter Verladebonus von 50 Millionen Franken jährlich für die Kunden die Preiserhöhungen abfedern. Die Vorlage, über die der Nationalrat im März entscheidet, dürfte noch zu reden geben.
Die Bahngewerkschaft SEV und der ACTS-Geschäftsleiter Zumkehr bezweifeln, dass die Strategie der SBB funktioniert. «Es ist ein Abbau auf Raten», sagt Zumkehr. Wenn im Netzwerk des WLV-Verkehrs gewisse Mengen wegfielen, wirke sich dies auf andere Kunden aus. SBB Cargo werde so sukzessive an die Wand gefahren. Wenn überhaupt, werde es das Unternehmen nur in kleinerer Form geben, wie andere Güterbahnen.
ACTS sucht deshalb andere Lösungen, um seinen Verkehr weiterhin auf der Schiene abzuwickeln. Das Unternehmen prüft, ob es mittelfristig für seine Kunden eine Alternative zu SBB Cargo aufbauen kann – wie es bereits der Grossverteiler Coop mit seiner Güterbahn Railcare tut.
Tobias Gafafer, «Neue Zürcher Zeitung»