Wie Zürich und Embrach zu einem «Hafen ohne Meer» kamen Die Zürcher Freilager AG hat sich in 100 Jahren zu einem Immobilienunternehmen gewandelt: für Wohnen und Gewerbe in der Stadt, als Dienstleister für die Logistik im Unterland.
Die Zürcher Freilager AG hat sich in 100 Jahren zu einem Immobilienunternehmen gewandelt: für Wohnen und Gewerbe in der Stadt, als Dienstleister für die Logistik im Unterland.
Beim Begriff Freilager denken Zürcherinnen und Zürcher an eine grosse Wohnüberbauung im Westen der Stadt. Vor zehn Jahren begann der Umbau des 70’000 Quadratmeter grossen und während Jahrzehnten unzugänglichen Areals in Albisrieden. Heute ist es ein neuer Stadtteil mit 800 Wohnungen, einem Gebäude mit 200 Zimmern für Studierende, Platz für das Gewerbe und Einrichtungen zur Kinderbetreuung.
Aussergewöhnlich ist seine Geschichte. Heute in Zeiten des Freihandels ist nicht mehr allgemein bekannt, wozu Zollfreilager da sind, oder eher waren. Ihre Entstehung ist eng verknüpft mit dem Aufkommen des Protektionismus, also von Zöllen, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg. Diese Geschichte zeichnet die Zürcher Freilager AG in einem Bildband zu ihrem 100-jährigen Bestehen nach, der in Kürze erscheint.
Zollfreilager erleichterten den Handel. Sie erlaubten es, Produkte zu importieren und vorerst ohne Abgabe einzulagern. Die Händler mussten erst Zoll bezahlen, wenn sie die Ware tatsächlich ins Inland importierten, und nur für den Teil, den sie einführten. Den Rest konnten sie wieder ausführen, zollfrei eben. In Freilagern war es auch möglich, die Waren umzupacken, neu zu portionieren und sie Kunden zu präsentieren. Man konnte die Zollgebühren stunden und den Markt testen.
Ein Zollfreilager hatte eine ähnliche Funktion wie ein Hafen, einfach ohne Meer: als Umschlagplatz und Lager von Waren aller Art unter den Augen der Behörden. Das Areal in Albisrieden war rechtlich gesehen also Ausland und deshalb mit einem zwei Meter hohen Drahtzaun ringsum abgesperrt. Der Zugang führte durch eine Zollschranke.
Autos und Orientteppiche
Doch eben, das ist weitgehend Vergangenheit, aber ein bewegtes Stück Zürcher Geschichte, das der Wirtschaftshistoriker Adrian Knöpfli aufgearbeitet hat. 1923 auf Initiative der Zürcher Handelskammer gegründet, baute die Freilager AG 1927 in der noch eigenständigen Gemeinde Albisrieden erste Hallen mit Gleisanschluss. Anfänglich nutzte sie vor allem die Textilindustrie für den Transithandel. Früh wurde der Import von Autos zu einem Geschäft, wie die Fotografie eines frisch ausgepackten Wagens des legendären Modells T von Ford zeigt.
Im Zweiten Weltkrieg brach der Handel weitgehend zusammen, und die Hallen dienten der Lagerung von Notvorräten. In den 1950er Jahren nahm die Einfuhr von Autos erneut zu. Später war das Zürcher Freilager bekannt für mehrere Meter dick aufeinandergestapelte Orientteppiche.
Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Infrastruktur auch für schummrige oder illegale Geschäfte missbraucht werden konnte, etwa um Raubkunst zu verstecken. Hin und wieder spielen Zollfreilager deshalb eine Rolle in einem Thriller oder Spionagefilm. Adrian Knöpfli, der Verfasser der Firmengeschichte, zitiert die Inhaber: Ein Freilager sei zwar eine Art Black Box, aber kein rechtsfreier Raum. 2o14 stellte die Eidgenössische Finanzkontrolle fest, mit der Lagerung hochwertiger Ware über sehr lange Zeit übernähmen sie die Rolle einer Art Vermögensverwaltung. Daraufhin erliess der Bundesrat strengere Regeln.
Das ursprüngliche Geschäft hatte da mindestens in Zürich stark an Bedeutung verloren. Das Freilager wurde zum Dienstleister für das Transportgewerbe. In der Stadt wurde es eng. 1960 eröffnete die Freilager AG im Flughafen einen zweiten Standort. Die Industriestadt Winterthur machte sich für ein Lager in ihrer Region stark. Ergebnis war vor 50 Jahren der schrittweise Aufbau des Embraport in der Gemeinde Embrach auf einer Fläche von fast 160 Hektaren. Hier, inmitten von einem Dutzend riesiger Lagerhäuser, feierte die Zürcher Freilager AG am Donnerstag ihr doppeltes Jubiläum.
Embraport bleibt Logistik-Drehscheibe
Heute ist die Firma vor allem ein Immobilienunternehmen, dessen zwei Standorte unterschiedlich ausgerichtet sind. In Albisrieden wandelte sie den einst verbotenen Stadtteil bis 2016 in ein Wohnquartier um, das erst im letzten Jahr durch ein neues Langhaus aus Holz ergänzt wurde. In Embrach dient heute noch ein Gebäude als Zollfreilager.
Den Embraport zeichnet aber seine exzellente Verkehrslage zwischen den Städten Zürich und Winterthur sowie dem Flughafen aus. Er lag nah genug an der Grenze zu Deutschland, dass 40-Tönner vom Rafzerfeld nach Embrach fahren durften, als diese Lastwagen in der Schweiz noch nicht zugelassen waren. Das Areal entwickelte sich zur Drehscheibe für die Logistik.
Diese Branche hat zwar ein Imageproblem; Schwerverkehr gilt bestenfalls als «schrötig, aber nötig». Dabei geht gern vergessen, dass man kein Haus bauen kann, ohne Lastwagenfahrten auszulösen. Und wie selbstverständlich heute die Erwartung herrscht, dass ein online bestellter Artikel spätestens am nächsten Tag geliefert wird.
Die Gäste aus der Politik betonten in ihren Grussworten an der Feier denn auch die volkswirtschaftliche Bedeutung der Logistik in der Zukunft. Nationalrätin Regine Sauter (FDP) ist als Direktorin der Zürcher Handelskammer quasi die Gotte der Freilager AG, auch wenn diese heute zum Versicherungskonzern Axa gehört. Die Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) präsentierte schon vor einem Jahr ein Logistikkonzept für den Kanton Zürich.
Die Bedeutung des Standorts im Zürcher Unterland verdeutlichte die Anwesenheit von Stefan Paul, dem CEO von Kühne + Nagel, einem der weltweit grössten Logistikkonzerne und seit 50 Jahren der wichtigste Kunde im Embraport. «Wir fühlen uns in Embrach sehr wohl», sagte Paul, und das hat handfeste Gründe. Es sei der modernste Umschlagplatz der Schweiz nahe an Bahn, Strasse und Flughafen. So könne man immer die günstigste Transportart wählen.
Eigener Strom für E-Lastwagen
Gerade weil Transporte Mensch und Umwelt belasten, steht heute Nachhaltigkeit im Embraport hoch im Kurs. Seit 2018 wird konsequent das Ziel verfolgt, das Areal klimaneutral zu machen. Einige Gebäude sind bereits neu erstellt, grosse Teile gleichen einer Baustelle. Die Versorgung mit Wärme und Kälte erfolgt dank Erdsonden und Wärmepumpen bereits zu 80 Prozent mit erneuerbarer Energie. Den Strom sollen einmal vollständig die eigenen Photovoltaikanlagen liefern.
Der Embraport diversifiziert zudem: Bis 2024 baut die Firma Kyburz, die neben anderem die dreirädrigen E-Kleinfahrzeuge für die Post herstellt, auf dem Gelände eine neue Produktionsstätte aus Holz. Daneben entsteht bis 2026 wie in Zürich eine Wohnüberbauung.
Nachhaltigkeit ist aber nicht nur für das Areal selber ein Gebot, sondern für die Logistik an sich. Das demonstrierte das Unternehmen, indem am Donnerstag die Besucherinnen und Besucher nicht nur mit E-Kleinbussen abgeholt wurden. Es kam auch die Zugmaschine eines Sattelschleppers zum Einsatz, die sich ganz ohne Motorengeräusch elektrisch in Bewegung setzte.
Jean-Claude Maissen, CEO der Zürcher Freilager AG, sagte am Rand des Anlasses, Ziel sei es, nicht nur Personal und Besuchern eine E-Ladestation anzubieten. Die Transportunternehmen sollen einmal ihre Lastwagen mit Sonnenstrom made by Embraport aufladen können. Das wäre ein attraktives Angebot, vor allem wenn der Tarif günstiger wäre als jener des öffentlichen Netzes, bemerkte dazu ein Vertreter von Kühne + Nagel. Die Chancen stehen gut, denn Flächen für Solarpanels auf den Dächern der Lagergebäude und an ihren meist fensterlosen Fassaden gibt es in Embrach genug.