Die Weltklimakonferenz in Dubai lässt europäische Illusionen platzen – dennoch ist der Mega-Anlass wichtig Der diesjährige Zirkus der COP-Klimakonferenzen ist zu Ende. Der Gipfel in Dubai kann als Debakel wahrgenommen werden oder als Erfolg. Für beides gibt es gute Argumente.
Der diesjährige Zirkus der COP-Klimakonferenzen ist zu Ende. Der Gipfel in Dubai kann als Debakel wahrgenommen werden oder als Erfolg. Für beides gibt es gute Argumente.
Der Übeltäter sind die fossilen Brennstoffe: Sie tragen drei Viertel zu allen menschengemachten Treibhausgasemissionen bei, beim CO2-Ausstoss sind es gar 90 Prozent. Wenn die Welt aufhörte, fossile Energieträger zu verbrennen, wäre das Problem des fortschreitenden menschengemachten Klimawandels auf einen Schlag weitgehend gelöst. Das ist simple Mathematik, die jedem Sekundarschüler einleuchtet. Dennoch mussten die Delegierten an der Klimakonferenz COP28 in Dubai mit ihren annähernd 100 000 Besuchern bis zur letzten nächtlichen Stunde darum ringen, die fossilen Brennstoffe in ihrer Abschlusserklärung überhaupt nur zu erwähnen.
Was nun dort steht, ist die vage Erklärung, man wolle künftig «zum Übergang der Energiesysteme weg von den fossilen Brennstoffen beitragen». Konkrete Massnahmen oder Finanzmittel, die zu diesem Zweck eingesetzt werden sollen, fehlen. Dennoch feierte Sultan al-Jaber, der Konferenzvorsitzende aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Erklärung als historischen Durchbruch.
Das ist nur im Kontext der COP-Klimakonferenzen zu verstehen. Es brauchte immerhin 28 solcher globaler Gipfeltreffen, damit der Hauptverursacher des Klimawandels überhaupt erstmals offiziell umfassend ins Visier genommen wurde. Insofern ist das Gerede vom historischen Ereignis gar nicht so falsch. Selbst manche europäische Delegierte, die zwei Wochen lang vergebens für eine schärfere Formulierung gekämpft hatten, zeigten sich am Ende zufrieden, dass sie wenigstens dies erreicht haben. Kurz vor Schluss hatte es noch danach ausgesehen, als könnte dies der Erdölstaat Saudiarabien hinter den Kulissen noch verhindern.
Für Aussenstehende ist das Pathos über einen schwammigen, rechtlich unverbindlichen Satz kaum nachvollziehbar. Mit oder ohne ihn wird heute und morgen genauso viel Auto gefahren, geflogen und wird weltweit genauso viel Kohle und Gas in Kraftwerken und Heizungen verbrannt. Die grossen erdölproduzierenden Staaten wie Saudiarabien, die USA oder Russland werden weiterhin riesige Summen in die Exploration von Erdöl- und Erdgasvorkommen investieren. Und der weitaus grösste Emittent von Treibhausgasen, China, verbrennt weiterhin jeden Tag so viel Kohle wie der ganze Rest der Welt zusammen, um seinen riesigen Kraftwerkpark zu betreiben.
Das Versagen der globalen Klimapolitik
Das kann man durchaus als Versagen der globalen Klimapolitik interpretieren. Der weltweite Ausstoss von Treibhausgasen ist heute auf einem Höchststand. Wenn die Welt sich nicht sehr schnell und drastisch von den fossilen Brennstoffen abwendet, wird das ganz sicher nichts mit der Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 oder 2,0 Grad, wie das die weltweite Staatengemeinschaft 2015 an der Klimakonferenz von Paris mit grossem Brimborium beschlossen hatte.
Schon heute liegen wir bei 1,2 Grad. Selbst wenn alle Staaten ihre derzeitigen Selbstverpflichtungen und Ankündigungen zum Klimaschutz umsetzen sollten, werden wir laut den jüngsten Berechnungen des Weltklimarats IPCC am Ende des Jahrhunderts bei knapp 3 Grad Erwärmung landen. Die Nichtregierungsorganisation Climate Action Tracker hält 2,5 Grad für erreichbar. Die 1,5 Grad sind völlig unrealistisch, auch wenn sie von vielen Aktivisten und Politikern immer noch hochgehalten werden.
Man kann diese Fakten beklagen. Doch sie den COP-Klimakonferenzen und den dort sehr engagiert verhandelnden Delegationen aus zuletzt 198 Ländern zum Vorwurf zu machen, verkennt die Realitäten der globalen Klimapolitik.
Dazu gehört erstens, dass der Klimaschutz ein öffentliches Gut ist, von dem alle Staaten profitieren, auch wenn sie nichts dazu beitragen. Folglich hat nach der ökonomischen Theorie jeder einen Anreiz, sich vor Beiträgen zu drücken. Fortschritte wären demnach gar nicht möglich.
Die Selbstüberschätzung der Europäer wird entlarvt
Zweitens haben gerade die beiden letzten Konferenzen in Sharm al-Sheikh und Dubai sichtbar gemacht, dass der in Europa als Selbstverständlichkeit wahrgenommene Führungsanspruch in der globalen Klimapolitik verwegen ist. Selbst wenn die Europäer wie versprochen bis 2050 klimaneutral werden sollten, macht das gemessen am heutigen Anteil bloss einen Zehntel der Emissionen aus.
Die Welt folgt den Europäern nicht. Vor zwei Jahren in Glasgow verwässerten China und Indien den europäischen Versuch, den Ausstieg aus der Kohle zu erklären. Dieses Jahr verwässerten Saudiarabien und Verbündete eine griffigere Erklärung zu den fossilen Brennstoffen. Die USA standen zwar den Europäern bei, aber nur unter der Bedingung, dass Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2 zugelassen und gefördert werden – was den USA einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ärmeren Erdölländern und die längere Förderung von fossilen Energien einräumen soll.
Drittens stellen auch die scheinbar so mustergültigen Europäer ihre eigenen Interessen in den Vordergrund. Als der Einmarsch der Russen in die Ukraine die Illusion vom billigen und zuverlässigen russischen Erdgas zerstörte, wurde die befürchtete Erdgasknappheit nicht als Gelegenheit zur Einsparung von Emissionen gesehen, sondern mit alternativen Lieferverträgen und riesigen Subventionen für Gasverbraucher bekämpft. Die europäischen Politiker wissen eben, dass ihre Wähler nicht bereit sind, den Lebensstil einzuschränken und auf eine sichere Stromversorgung, warme Wohnzimmer, Autofahrten und Ferienreisen zu verzichten. Und statt die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen durch Atomenergie zu ersetzen, propagiert Deutschland seinen nationalen Irrweg des Atomausstiegs gar auch auf den globalen Klimakonferenzen.
Die Bereitschaft zum Konsumverzicht ist nicht einmal in Europa in nennenswertem Ausmass zu erkennen. In den USA schon gar nicht. Warum sollen dann Staaten wie Saudiarabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate, ganz zu schweigen von ärmeren Erdölländern wie Nigeria oder Kolumbien, entschädigungslos auf ihren Erdölreichtum verzichten? Warum sollten Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Wachstumsperspektiven und Wohlstandshoffnungen einschränken? So weit denken europäische Klimaaktivisten selten.
Warum es dennoch grosse Erfolge gibt
Trotz diesen Einschränkungen ist klar: Die COP-Konferenzen leisten weiterhin einen wichtigen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz. Dazu gehören besonders drei Punkte:
- An den Klimakonferenzen werden weltweit geltende Ziele formuliert, denen sich zumindest formal alle Staaten anschliessen. So wurde 2015 in Paris einstimmig das Ziel beschlossen, die Klimaerwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf weit unter 2 Grad zu beschränken, idealerweise gar 1,5 Grad. Daraus folgt das Gebot, ab etwa der Mitte des Jahrhunderts gar keine Treibhausgasemissionen mehr zuzulassen und gar CO2 aus der Atmosphäre zu entziehen. Dies ist die entscheidende Messlatte, an der sich die Klimapolitik aller Staaten ausrichten muss.
- Die wenig beachtete, aber äusserst komplexe und mühselige Arbeit an gemeinsamen Standards zur Messung von Emissionen und Emissionsminderungen sind wichtig, um Transparenz herzustellen und Staaten die Möglichkeit zu geben, Erfolge auszuweisen – ein wichtiger Anreiz für Politiker. Auch in Dubai wurde weiter an diesem Rahmen gearbeitet. Damit bilden die Klimakonferenzen eine öffentliche Bühne, auf der offensichtliche Drückebergerei sichtbar und schwerer gemacht wird. So kommen eben doch bedeutende Zugeständnisse zustande, selbst von den grössten und mächtigsten Staaten wie den USA oder China.
- Da kaum ein Staat bereit ist, den Konsum und Wohlstand dem Klimaschutz zu opfern, sind die für den Klimaschutz am besten geeigneten Lenkungsabgaben auf Emissionen mit Ausnahme der EU fast überall chancenlos. Als Alternative setzt die Klimapolitik weltweit auf Subventionen für erneuerbare Energien, welche die fossilen Brennstoffe verdrängen sollen. Die Folge ist weltweit ein gigantischer Finanzierungsbedarf für Investitionen in erneuerbare Energien, vor allem Windkraft und Solarpanels. Dafür sind die Klimakonferenzen ein zentraler Marktplatz geworden. Dort werden riesige Investitionen publikumswirksam angekündigt, die der Klimaschutz dringend braucht.
Aussenstehende Beobachter machen sich gerne lustig über die riesige Zahl von Konferenzbesuchern, die jedes Jahr steigt und mittlerweile fast 100 000 erreicht hat. Das führt tatsächlich zu praktischen Problemen für die Veranstalter und sollte künftig überdacht werden. Doch grundsätzlich ist die Popularität der Klimakonferenzen ein riesiger Erfolg für den Klimaschutz.
Wenn Tausende Banker, Unternehmensberater, Manager und Politiker an die COP eilen, um dort Geschäfte abzuschliessen und Investitionen anzukündigen, ist das ein Fortschritt. Ohne gewaltige Investitionen in den Übergang von fossilen zu CO2-armen Energien wird die Umsetzung der klimapolitischen Ziele nicht gelingen. Der Kampf um Investitionen und finanzielle Unterstützung vor allem der ärmeren Länder wird die globale Klimapolitik der nächsten Jahre dominieren. Er wird über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Das geht nur zusammen mit der Wirtschaft und ihren Entscheidungsträgern, nicht gegen sie.
Peter Rásonyi, «Neue Zürcher Zeitung»