Erste Unternehmen kassieren ihre Klimaziele. Das muss kein Nachteil sein: Realitätssinn hilft dem Klima mehr als Greenwashing Der Hype um die Nachhaltigkeit ist vorbei. Und doch bleibt die Wirtschaft der verlässlichste Akteur im Kampf gegen den Klimawandel. Wir sollten sie unterstützen.
Der Hype um die Nachhaltigkeit ist vorbei. Und doch bleibt die Wirtschaft der verlässlichste Akteur im Kampf gegen den Klimawandel. Wir sollten sie unterstützen.
«Nicht irgendwann, sondern genau jetzt»: Mit diesem Slogan warb die Swisscom bis vor kurzem für klimaneutrale Abos. Telefonieren, surfen und streamen ohne schlechtes Gewissen, alles kein Problem. Auch Valserwasser war – abgesehen von der Kohlensäure – plötzlich CO2-frei. Und die Babynahrung des deutschen Herstellers Hipp wurde sogar als klimapositiv angepriesen. Mit jedem Löffelchen Bananen-Birnen-Brei wurde die Welt ein bisschen besser.
Die süssen Versprechen sind einer bitteren Realität gewichen. Hipp weist heute auf seiner Webseite «gleich zu Beginn auf eine wichtige Tatsache hin». Und die lautet: «Kein Produkt kann CO2-frei sein und kein Unternehmen CO2-frei wirtschaften, zumindest nicht zum aktuellen Stand der Technik.» Hipp hat die Klima-Auslobung auf den Produkten gestrichen, auch die Klima-Werbung der Swisscom ist nur noch in den Tiefen des Internets zu finden.
Der Trick mit den CO2-Kompensationen
Die Firmen mussten sich den Gesetzen der Physik beugen. CO2 lässt sich nur im Marketing von heute auf morgen eliminieren. Jene Zertifikate, die das möglich machen sollten, stellten sich als warme Luft heraus. Die Kompensationsprojekte – häufig handelte es sich um Waldschutz in armen Ländern – sparten real viel weniger CO2 ein, als die Promotoren behaupteten.
Nicht nur in der Werbung, auch bei ihren langfristigen Klimaplänen buchstabieren die Unternehmen zurück. Volkswagen, Unilever, Shell oder die Bank of America verschoben ihre Reduktionsziele ebenso wie die Swisscom weiter in die Zukunft. Die Schweizer Banken, die noch vor kurzem Nachhaltigkeit als neuen Leitstern priesen, der ihnen Geldzuflüsse aus der ganzen Welt bescheren sollte, geben sich heute kleinmütig. Man wolle nicht Klimapolizist gegenüber den eigenen Kunden spielen, lautet die neue Parole.
Was für ein Unterschied zur Euphorie nach dem Abschluss des Pariser Klimaabkommens 2015. Mehr als 10 000 Firmen schlossen sich in den folgenden Jahren der Uno-Kampagne Race to Zero an und versprachen, die Emissionen bis 2050 schrittweise auf null zu senken. Doch je näher die ersten Meilensteine rücken, desto mehr Firmen krebsen zurück.
Haben wir es nicht geahnt? Kaum gilt es ernst, wird die Wirtschaft fahnenflüchtig. Fälle von Etikettenschwindel sind tatsächlich nicht zu bestreiten. Und doch wäre es grundfalsch, die Wirtschaft als Ganzes zu verdammen. Denn von allen wichtigen Akteuren im Klimaschutz macht sie bei weitem die beste Figur.
In der Politik ist der Backlash schon angekommen
Beginnen wir bei uns selbst, den Konsumenten. Wir trennen Abfall, kaufen immer einmal wieder bio und nehmen ab und zu das E-Bike statt des Autos. Damit erschöpft sich aber der Beitrag der breiten Masse zum Klimaschutz. Unseren Lifestyle wollen wir uns nicht vermiesen lassen, wir fliegen so viel wie nie und lassen uns das Steak nicht verbieten.
In der Politik kam der Backlash schon früher an. Die grüne Welle zerschellte an der Pandemie, dem Ukraine-Krieg und der Inflation. In der Schweiz brachten bereits die eidgenössischen Wahlen 2023 die Wende, vor zwei Wochen erfolgte sie bei den Europawahlen auch auf europäischer Ebene. Die Menschen wählen Sicherheit statt Utopien. Klimaschutz ist nur als milliardenschwere Subventionsschlacht mehrheitsfähig.
Im Vergleich dazu ist die Wirtschaft geradezu ein Hort der klimapolitischen Tugend. Der Paris-Prozess sei unumkehrbar, erklärte vor kurzem der CEO eines grossen Schweizer Unternehmens in einem Gespräch unter vier Augen. Er gehört der Allianz der Klima-Leader des WEF an, einem Verbund von mehr als 120 Konzernen. Die eigenen Firmen hat die Gruppierung bereits auf den Pariser Klimakurs gebracht, nun fordern sie dies auch von ihren Zulieferern ein: Wer nicht spurt, erhält keine Aufträge mehr. Damit haben die Klima-Leader einen gewaltigen Hebel.
Die Angst, als Aktivist angeprangert zu werden
Ausgerechnet die viel gescholtenen Multis werden damit zu einem zentralen Faktor im Kampf gegen den Klimawandel. Sie haben das Wissen, die Finanzkraft und die Marktmacht, um die Ziele umzusetzen. Um sich nicht dem Verdacht des Aktivismus auszusetzen, hänge man die Bemühungen heute nicht mehr an die grosse Glocke, sagte der CEO. An den Zielen habe sich aber nichts geändert.
Die neue Nüchternheit ist kein Nachteil, im Gegenteil. Klimaschutz ist kein Marketing-Gag, sondern ein unendlich mühsamer Kraftakt. Kritik und Enttäuschungen helfen, das Visier neu einzustellen und den Realitätssinn zu schärfen.
Nach dem Abklingen des Hypes muss die Wirtschaft erst recht liefern, im Alleingang kann sie es aber nicht schaffen. Auch die anderen Akteure sind gefordert. Die Politik muss für die entsprechenden Rahmenbedingungen sorgen. Das bedeutet in erster Linie, dass genügend sauberer Strom bereitgestellt wird. Zudem braucht es eine international koordinierte CO2-Steuer, dank der klimaschädliche Emissionen ein Preisschild erhalten. Saubere Firmen werden belohnt, Verschmutzer bestraft.
Genau das sollten auch wir Konsumenten tun. Klimaneutrales Streamen, Fliegen und Essen ist heute noch nicht möglich. Firmen, die sich darum bemühen und Geld in neue Technologien investieren, sollten wir aber unterstützen – selbst wenn sie den Mund einmal zu voll genommen haben. Greenwashing müssen wir uns nicht bieten lassen, Greenbashing ist aber keine Alternative.
Guido Schätti, «Neue Zürcher Zeitung»