Nach Skandalen und Kritik der Wissenschaft: Klimakompensierer fordern Kontrolle durch den Bund Das Geschäft mit den eingesparten CO2-Tonnen im Ausland steht unter Beschuss. Nun kommt ausgerechnet aus der Branche selbst der Ruf nach strengeren staatlichen Regeln.
Das Geschäft mit den eingesparten CO2-Tonnen im Ausland steht unter Beschuss. Nun kommt ausgerechnet aus der Branche selbst der Ruf nach strengeren staatlichen Regeln.
Der Markt der freiwilligen Klimakompensationen wuchs lange Zeit in atemberaubendem Tempo. Immer mehr Unternehmen und Konsumenten liessen sich für vergleichsweise wenig Geld CO2-Tonnen gutschreiben, die in Schwellen- und Entwicklungsländern mit Klimaschutzprojekten eingespart wurden. Im Gegenzug durften sie sich das Label «klimaneutral» anheften.
Doch im vergangenen Jahr ist das aufgeblähte Geschäft mit den Klimazertifikaten mit einem Knall implodiert. Bei Waldschutzprojekten stellte sich heraus, dass diese meist auf wilden Prognosen beruhten und Zertifikate ausgegeben wurden, hinter denen keine realen Emissionsminderungen standen. Bei anderen vermeintlich seriösen Projekten – etwa Wind- und Solarkraftwerken oder energieeffizienten Kochern – zeigte sich, dass sie häufig auch ohne die Ausgabe von Zertifikaten realisiert worden wären.
Viele Klimaschutzprojekte sind wirkungslos
Nur ein Bruchteil der Klimaschutzprojekte halte, was sie versprächen – zu diesem Schluss kam eine Studie der ETH. Die Forscher stellten zudem fest, dass eklatante Mängel bei der Kontrolle der Projekte bestehen. Wegen der anhaltenden Kritik wurden Firmen aufgrund ihrer Klimaversprechen wegen «Greenwashing» verklagt, darunter auch Schweizer Unternehmen wie die Swisscom, Coca-Cola Schweiz oder der Zoo Zürich.
Nach der Serie von Skandalen wird nun der Ruf nach schärferen Regeln für das Geschäft mit den eingesparten CO2-Tonnen laut – und er kommt nicht etwa von Konsumentenschützern oder Umweltverbänden, sondern aus der Branche selbst. «Wir brauchen mehr Regulierung, damit sich die Spreu vom Weizen trennt und seriöse Anbieter ihre Arbeit ohne unnötige Störgeräusche verrichten können», sagt Kai Landwehr, Co-Geschäftsführer der Stiftung Myclimate. Nur so könne verhindert werden, dass das Vertrauen in seriöse Klimaschutzprojekte gänzlich erodiere.
Landwehr fordert einerseits verbindliche und breit anerkannte Standards zur Berechnung der Wirksamkeit von Klimaschutzprojekten, die sich an bereits bestehenden, wissenschaftlich anerkannten Qualitätsstandards orientieren. Andererseits macht sich der Myclimate-Chef für eine unabhängige, staatlich organisierte Kontrollinstanz stark, die auch Sanktionen aussprechen kann. «Nur so können wir die Profiteure und Trittbrettfahrer vom Markt ausschliessen und Sicherheit bei Unternehmen und Öffentlichkeit schaffen.» Bis ein verbindlicher Rechtsrahmen geschaffen wird, der das freiwillige Engagement von Unternehmen schützt, schlägt Landwehr vor, dass sich die Klimaschutzanbieter zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung bekennen.
Orientieren könnte sich eine Regulierung des freiwilligen Kompensationsmarktes an der EU. Mit der «Green Claims»-Richtlinie ist Brüssel daran, einen Standard für Klimaschutzprojekte zu schaffen, der beim Konsumentenschutz ansetzt. So sollen künftig Werbeaussagen wie «klimaneutral» oder «emissionsfrei» nur noch gemacht werden dürfen, wenn die Klimaschutzprojekte, die dahinter stehen, strenge Auflagen erfüllen. «Auch die Schweiz braucht einen solchen Paradigmenwechsel», sagt Landwehr.
Myclimate gehört zu den Pionieren in der Klimaschutzbranche. 2002 von ETH-Absolventen gegründet, entwickelte die Non-Profit-Organisation seither weltweit rund zweihundert Klimaschutzprojekte in 46 Ländern mit. Zu ihren Kunden gehören unter anderem die Airline Swiss, Migros und Coop sowie die Swisscom. Im Kompensationsgeschäft erzielte die Stiftung im vergangenen Jahr Erträge von über 50 Millionen Franken.
Doch bekommt die Stiftung den Vertrauensverlust ebenfalls stark zu spüren. Weil sich weniger Abnehmer für die eingesparten CO2-Tonnen finden lassen, müssen erst vor kurzem ausgebaute Klimaschutzprojekte in Schwellen- und Entwicklungsländern redimensioniert werden. Äusserst schmerzhaft sei das, sagt Landwehr. Häufig fänden durch die Projekte mehrere hundert Leute vor Ort Beschäftigung. Nun seien viele dieser Jobs gefährdet.
Bundesrat nimmt Markt unter die Lupe
Die Frage, ob es mehr Regulierung im Geschäft mit den Klimakompensationen braucht, beschäftigt auch das Parlament. Vergangene Woche sprach sich der Nationalrat für ein Postulat des soeben zurückgetretenen grünen Nationalrats Bastien Girod aus, das vom Bundesrat fordert, die Klimawirkung von CO2-Kompensationen zu untersuchen. Dieser muss nun Empfehlungen formulieren, wie bei Klimaschutzprojekten im Ausland sichergestellt werden kann, dass hinter den verkauften Zertifikaten auch die versprochene Reduktion von Treibhausgasen steht.
Der Vorstoss zielt in erster Linie auf die gesetzlich verankerten Auslandkompensationen des Bundes, die bereits einer behördlichen Aufsicht unterliegen. Er zwingt den Bundesrat aber auch, Verbesserungen beim freiwilligen Kohlenstoff-Markt vorzuschlagen. «In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass dieser nicht ohne staatliche Regeln funktioniert. Es braucht deshalb einheitliche Vorgaben, an die sich alle halten müssen», sagt Girod.
Niemand weiss das besser als er. Der Zürcher war bis Ende 2023 bei South Pole angestellt – jenem Klimaschutzanbieter, der mit seinen Skandalen massgeblich dazu beigetragen hat, dass der Markt mit den CO2-Kompensationen in Verruf geriet. So warfen Nichtregierungsorganisationen und Medien dem Unternehmen mit dem Pinguin im Logo vor, bei einem Waldschutzprojekt in Simbabwe Millionen Tonnen von CO2 nur auf dem Papier eingespart zu haben. South Pole stieg daraufhin aus dem Projekt aus, Girod verliess das Unternehmen.
Der Alt-Nationalrat ist indes weiterhin überzeugt, dass CO2-Zertifikate ein essenzielles Instrument für einen wirksamen Klimaschutz darstellen. «Sie erlauben wie nur wenige andere Massnahmen, kostengünstig in grossem Massstab CO2-Einsparungen zu erzielen, und sind auch wichtig, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen.»
Hinter der Forderung, den Kohlenstoff-Markt unter die Lupe zu nehmen, steht auch Bundesrat Albert Rösti. Kaum ein anderes Land setzt beim Klimaschutz so stark auf die Kompensation von CO2 im Ausland wie die Schweiz. Nicht weniger als ein Drittel der Einsparungen der Schweiz sollen gemäss Gesetz bis 2030 im Ausland erfolgen. Entsprechend gross ist das Interesse der offiziellen Schweiz, dass dieses klimapolitische Instrument weiterhin funktioniert. «Es ist wichtig, dass die Glaubwürdigkeit der Auslandkompensation weiterhin gegeben ist», sagte der Umweltminister am Freitag im Rat.
Auch Albert Rösti weiss: Erodiert das Vertrauen in die Klimakompensationen weiter, geraten nicht nur die Klimahändler in Schwierigkeiten, sondern auch der Bundesrat.