Schrumpfen, um das Klima zu retten: die falschen Versprechen der Wachstumskritiker Es klingt verführerisch: Vier-Tage-Woche, Senkung des Rentenalters, garantierte grüne Jobs. Doch Wachstumskritik läuft immer auf das Verordnen eines Lebensstils hinaus. Deren Vertreter vergessen: Das Streben der Menschen nach einem besseren, selbstbestimmten Leben lässt sich nicht verbieten.
Es klingt verführerisch: Vier-Tage-Woche, Senkung des Rentenalters, garantierte grüne Jobs. Doch Wachstumskritik läuft immer auf das Verordnen eines Lebensstils hinaus. Deren Vertreter vergessen: Das Streben der Menschen nach einem besseren, selbstbestimmten Leben lässt sich nicht verbieten.
Wer den Abschied vom Wirtschaftswachstum fordert, gehört zu einer lukrativen Wachstumsbranche. Der Ökomarxist Kohei Saito füllt rund um die Welt Säle. Die Journalistin Ulrike Herrmann («Das Ende des Kapitalismus») und der Anthropologe Jason Hickel («How Degrowth Will Save the World») haben Bestseller gelandet.
«Nature», eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Zeitschriften der Welt, hat die Bewegung geadelt, durften Vertreter doch dort ihre Ideen vorstellen. «Degrowth», also ein Plädoyer dafür, dass die Wirtschaft der Industrieländer schrumpfen muss, um das Klima zu retten, ist damit im wissenschaftlichen Mainstream angekommen. Aktivistinnen und Aktivisten wird es freuen.
Süchtig nach Wachstum?
«Das Streben nach Wirtschaftswachstum um jeden Preis ist ein überholtes Paradigma», schreibt der Ökonom Robert Costanza in einem der Beiträge. Der angebliche Wachstumszwang ist der Ausgangspunkt derjenigen, die eine Schrumpfkur verordnen wollen. Nur: Welcher Ökonom, welche Ökonomin hat je «Wirtschaftswachstum um jeden Preis» gefordert?
Hier wird ein Strohmann aufgebaut, um ihn nachher umso einfacher abschiessen zu können. Wenn eine Wirtschaft wächst, folgt dies – ausser in kommunistischen Staaten – keinem fixen Plan. Der Bundesrat sagt nicht, die Schweizer Wirtschaft müsse 2024 um 2 Prozent wachsen. In einer freien Gesellschaft ist Wirtschaftswachstum das Resultat von unzähligen Wünschen und Handlungen der Einzelnen.
Aber versetzen wir uns für einen Augenblick in eine Degrowth-Gesellschaft. Man muss sich dazu nicht einmal allzu sehr anstrengen. Erfahrung damit haben alle in der Corona-Zeit gesammelt, als von einem Tag auf den anderen die Grenzen geschlossen wurden, keine Flugzeuge mehr abhoben und viele Geschäfte nicht mehr öffnen durften.
Von 2019 auf 2020 ging in der Schweiz das Bruttoinlandprodukt um 20 Milliarden Franken zurück. Gleichzeitig sank der Ausstoss an Treibhausgasen um 6 Prozent. Wenn man den Verlust an Wertschöpfung auf das eingesparte CO2 umlegt, kann man etwas überspitzt sagen: Um eine Tonne CO2 zu reduzieren, musste man in der Corona-Zeit 7500 Franken aufgeben. Dies ist ein enormer Betrag, wenn man bedenkt, dass im europäischen Emissionshandel der Preis für eine Tonne des Treibhausgases derzeit 70 Franken beträgt.
Das Degrowth-Experiment in der Corona-Zeit zeigt jedenfalls, dass eine verordnete Schrumpfung ein extrem schmerzvoller und teurer Weg ist, um den Klimawandel zu bekämpfen.
Die Degrowth-Vertreter versuchen ihre Ideologie natürlich positiv zu besetzen. Eine Gruppe um Jason Hickel, zu der auch die Lausanner Professorin und Klimaaktivistin Julia Steinberger gehört, schrieb vor einem Jahr in «Nature», dass sich die Wirtschaftstätigkeit auf die Sicherung der menschlichen Bedürfnisse ausrichten solle. Zerstörerische Sektoren gelte es zurückzudrängen, wozu Autos, Werbung, das Fliegen oder die Fleischproduktion gezählt werden. Die Lebensdauer von Produkten sollte man verlängern, die Kaufkraft der Reichen beschneiden.
Um den CO2-Abdruck zu verringern, sollen die Menschen auch weniger arbeiten: Vorgeschlagen werden eine Viertagewoche und ein niedrigeres Rentenalter. Die Idee dahinter: Wer weniger arbeitet, braucht weniger Ressourcen. Gleichzeitig müsste aber niemand darben, da die öffentlichen Dienste ausgebaut würden, Gratis-Bildung und Gratis-Krankenversicherung inklusive.
Und wer fragt, woher das Geld für diese grosszügigen Versprechungen kommen soll, dem wird eine einfache Lösung präsentiert: «Regierungen, die ihre eigene Währung ausgeben, können diese Macht nutzen, um soziale und ökologische Ziele zu finanzieren», liest man.
Es gibt in diesem Weltbild somit keine Zielkonflikte; sie werden mit der Geldpresse aus der Welt geschafft. Doch wenn eine schrumpfende Wirtschaft auf eine wachsende Geldmenge trifft, ist das Resultat leicht vorherzusehen: Die Teuerung wird rasch steigen und ausser Kontrolle geraten. Hier wird dem Publikum somit etwas vorgegaukelt. Wissenschaftliche Redlichkeit sieht anders aus – und da es sich bei den meisten der Autoren um (ökologische) Ökonomen handelt, müssten sie es eigentlich besser wissen.
Wachstum bedeutet Verzicht
Wenn man hinter die Fassade von Degrowth blickt, verbirgt sich dahinter aber nicht nur Inflation. Geradezu perfide wird es, wenn Robert Costanza argumentiert, man solle Techniken aus der Suchttherapie übernehmen, bei der Menschen «in eine positive Diskussion über ihre Lebensziele einbezogen werden». Hierin klingt an, was das grösste Problem dieser Bewegung ist: Sie will den Menschen (um)erziehen und hat damit einen totalitären Charakter. Wer sagt denn, welche menschlichen Bedürfnisse in einer schrumpfenden Wirtschaft noch befriedigt werden? Degrowth ist somit keine Befreiung, sondern eine bevormundende Bewegung, die den Menschen klein macht.
Degrowth verkörpert eine zutiefst pessimistische Sicht auf die Welt. Sie besagt, dass wir es nicht schaffen, dem Klimawandel ohne drastische Freiheitsbeschränkungen Einhalt zu gebieten. Die Degrowth-Anhänger halten nicht viel vom menschlichen Erfindungsreichtum. Doch der damit verbundene Wohlstand hat dazu geführt, dass die weltweite Lebenserwartung seit 1900 von 32 auf 71 Jahre gestiegen ist.
Die Erfahrung zeigt, dass sich Länder dann um die Umwelt kümmern, wenn sie wohlhabend sind. Die Yale University an der amerikanischen Ostküste, die sicher kein Hort neoliberaler Denker ist, gibt einen Index für den Stand der Umweltpolitik in 180 Ländern heraus. «Die Wirtschaftsleistung pro Kopf ist sehr hoch korreliert mit der Luftqualität, sauberem Trinkwasser, der Reduktion von Schwermetallen und der Entsorgung von Abfällen», heisst es im Bericht.
«Wirtschaftsfreiheit kann eine bessere Umweltleistung durch technologische Innovation fördern und Unternehmen dazu anspornen, freiwillige Verpflichtungen zur Nachhaltigkeit einzugehen», lautet das Fazit. Angeführt wird die Rangliste von Dänemark, die Schweiz ist in den Top 10, Indien das Schlusslicht.
Dass Prosperität und Klimaschutz zusammengehen, ist auch nicht überraschend. Dazu muss man sich bewusst machen, was Wachstum bedeutet. Der kürzlich verstorbene Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Solow hat es schon 1973 formuliert: «Der Wachstumsbefürworter ist jemand, der bereit ist, jetzt etwas Nützliches und Wünschenswertes zu opfern, damit es den Menschen in Zukunft besser geht; der Wachstumsgegner ist jemand, der das für unnötig oder unerwünscht hält.»
Wachstum ist somit zunächst immer mit Verzicht verbunden, was den Degrowth-Anhängern eigentlich gefallen müsste. Man muss auf Konsum verzichten, um investieren zu können. Aber das ist nicht Verzicht als Selbstzweck, sondern damit es uns später besser geht. Verzicht hat hier somit eine optimistische Komponente.
Der Pessimismus der Degrowth-Bewegung geht schliesslich auch auf ein Missverständnis zurück, dem schon die Verfasser des Bestsellers «Die Grenzen des Wachstums» von 1972 erlegen waren: die Macht der Preise in einer Marktwirtschaft. Werden Rohstoffe knapp, führt dies zu höheren Preisen und entsprechend zu einem sparsameren Einsatz. Dies lässt sich daran ablesen, dass in der Schweiz heute jeder Franken Wertschöpfung nur noch mit halb so vielen CO2-Emissionen verbunden ist wie vor dreissig Jahren. Die Wirtschaft versucht stets, aus weniger mehr zu machen, also ihre Produktivität zu erhöhen.
Wenn die Leistungen der Natur gratis sind, werden sie übernutzt. Deshalb hat schon Robert Solow gefordert, dass hier der Staat mit CO2-Preisen eingreife. «Die Weltuntergangsschule lenkt die Aufmerksamkeit von den wirklich wichtigen Dingen ab, die Schritt für Schritt getan werden können, um die Dinge zu verbessern», schrieb er vor fünfzig Jahren. Heute wären seine Adressaten die Degrowth-Vertreter.
Wenn sie ihre Ideologie, die uns alle ärmer machen würde, als alternativlos hinstellen, kann dies im Kampf gegen den Klimawandel sogar kontraproduktiv wirken. Wer mag sich schon auf Klimaschutz einlassen, wenn dieser nur mit einem hohen Wohlstandsverlust möglich sein soll?
Immerhin zeigen die Degrowth-Anhänger im «Nature»-Artikel auch Humor: «Die Forschung zu Degrowth und ökologischer Ökonomie braucht mehr finanzielle Mittel, um die Fähigkeiten, wichtige Fragen zu beantworten, zu erhöhen.» Mehr für sich – aber Degrowth für alle anderen, lautet also ihr Motto. Man kann sich fast nicht vorstellen, dass sie dies wirklich ernst meinen.
Christoph Eisenring, «Neue Zürcher Zeitung»