Krisendarlehen an Betriebe ohne Rückzahlungspflicht? Die Finanzdelegation des Parlaments hat ihr Ja-Wort zum Hilfspaket des Bundesrats für die Wirtschaft gegeben. Aufhorchen lassen die Signale, wonach der Bund in gewissen Fällen auf eine Rückzahlung gewährter Notkredite an Betriebe verzichten könnte.

Die Finanzdelegation des Parlaments hat ihr Ja-Wort zum Hilfspaket des Bundesrats für die Wirtschaft gegeben. Aufhorchen lassen die Signale, wonach der Bund in gewissen Fällen auf eine Rückzahlung gewährter Notkredite an Betriebe verzichten könnte.

 

Eine geschlossene Autobahnraststätte, am Samstag den 21. März 2020, in Maienfeld.
Gian Ehrenzeller / Keystone

In dieser ausserordentlichen Lage ist der Bundesrat klar im Führersitz. Doch das Parlament ist trotz Abbruch seiner März-Session noch am Leben. Ein Lebenszeichen lieferte dieser Tage die sechsköpfige Finanzdelegation des Parlaments. Sie hat am Sonntag und am Montag die vorgeschlagenen dringlichen Zusatzausgaben des Bundes beraten, die im Hilfspaket der Regierung für die Wirtschaft enthalten sind. Dabei geht es um Zusatzausgaben für total fast 31 Mrd. Fr. Die drei grössten Posten sind eine Zusatzfinanzierung für die Arbeitslosenversicherung (ALV) von 6 Mrd. Fr., ein Bundesbeitrag von 4 Mrd. Fr. für Erwerbsersatzleistungen für Corona-geschädigte Selbständige und Angestellte sowie ein Verpflichtungskredit von 20 Mrd. Fr. wegen der Bundesbürgschaften für die offerierten Überbrückungskredite der Banken an Betriebe mit Liquiditätsengpässen.

Die Parlamentsdelegation hat nun ihr Plazet zum Paket gegeben. Ein Veto hätte sich die Parlamentariergruppe politisch wohl kaum leisten können. Die derzeit leidenden Betriebe gelten zwar einzeln nicht als «systemrelevant», doch man mag angesichts der Breite der Betroffenheit von einer Art kollektiver Systemrelevanz sprechen. Der Präsident der Delegation, der Zuger CVP-Ständerat Peter Hegglin, sprach am Montag vor den Medien in Bern von einem «ausgewogenen» Paket, das die massgebenden Bereiche abdecke. Dem Vernehmen nach war eine Etappierung der vorgeschlagenen Zusatzausgaben zur Diskussion gestanden, doch am Ende wurde das Gesamtpaket bewilligt.

Verlust gehört zum Programm

Am meisten Gesprächsstoff lieferte laut Hegglin das Programm zu den Liquiditätshilfen für Betriebe. Die Kredite werden von den Banken vergeben; der Zinssatz dürfte zwischen 0 und 1% liegen, soll aber erst diesen Mittwoch vom Bundesrat definitiv verkündet werden. Ein Riesengeschäft soll die Sache für die Banken nicht werden, doch der Grossteil der Verlustrisiken liegt beim Bund. Dieser haftet für Ausfälle bei Krediten bis 500 000 Fr. voll und bei darüber hinausgehenden Beträgen zu 85%.

Der Begriff «Solidarbürgschaft» hat in der Bundespolitik einen schlechten Klang, weil der Bund im Zusammenhang mit der Hochseeschifffahrt grosse Verluste eingefahren hatte. Zum Teil gab es deswegen Skepsis, doch im Fall der Corona-Notkredite gehören Verluste für den Bund sozusagen zum Programm; insgesamt wären aus heutiger Sicht Verluste aus den Kreditbürgschaften in total ein- bis zweistelliger Milliardenhöhe keine Überraschung. Die Laufzeit der Kredite soll typischerweise fünf Jahre betragen. Peter Hegglin sagte bemerkenswert offen, was manche denken: In einer späteren Phase bestehe die Möglichkeit, dass der Bund auf gewisse Rückzahlungsforderungen verzichte. Die Überlegung: Viele Kleinbetriebe mögen keine Reserven haben und würden bei Ertragsausfällen von mehreren Monaten in den Konkurs und dann in die Sozialhilfe getrieben; in solchen Fällen könne es gescheiter sein, auf Rückforderungen zu verzichten.

In diesem Sinn äussern sich auch Parlamentarier, die nicht in der Finanzdelegation sitzen, aber selber als Unternehmer tätig sind. Kleinbetriebe könnten die Kredite oft nicht zurückzahlen, sagt die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran; ein solcher Kredit «verzögert nur die Konkurswelle». Der grünliberale Berner Nationalrat Jürg Grossen will laut eigenen Angaben zwar keine Vollkasko-Versicherungsdeckung durch den Staat, doch der Bund solle denjenigen Betrieben, die er selber zwangsgeschlossen habe, die Einnahmenausfälle während der Zwangsschliessung ersetzen ohne Rückforderungen. Laut Grossen kann die Aussicht auf eine Rückzahlungspflicht manche Betriebe von einem Kreditgesuch abhalten, «weil eigentlich klar ist, dass sie das auch über viele Jahre nicht zurückbezahlen können».

Runder Tisch zum Mietproblem

Gemäss Grossen ist zudem die Obergrenze der vorgesehenen Liquiditätshilfen von jeweils 10% des Jahresumsatzes des betroffenen Betriebs für Kleinfirmen «wohl zu tief, wenn die Krise mehr als ein bis zwei Monate» dauere. Wie sollen, so fragt der grünliberale Nationalrat, betroffene Betriebe ohne Einnahmen die Mieten und andere Kosten bezahlen? Laut Jacqueline Badran sollte der Bund für Mieten von Ladenlokalen und Geschäftsräumen von Corona-geschädigten Betrieben einen Miet-Erlass verordnen. Ein runder Tisch mit Vermietern, Mietern und Bundesvertretern wird sich dieser Tage unter anderem mit dieser Frage befassen.

Weitere Ausbauforderungen

Auch der andere grosse Teil des Notpakets könnte sehr teuer werden. Dabei geht es vor allem um Kurzarbeitsentschädigungen der ALV sowie um Erwerbsersatz-Zahlungen für Selbständige und gewisse Angestellte. Auch dabei fehlt es nicht an weiteren Ausbauforderungen. Jacqueline Badran und Jürg Grossen monieren zum Beispiel, dass die neu vorgesehene Pauschale von monatlich 3320 Fr. Kurzarbeitsentschädigung für eine Vollzeitstelle für Teilhaber von Aktiengesellschaften und anderen juristischen Personen zu knapp bemessen sei. Laut Badran wären etwa 6000 Fr. angemessen.

Badran erachtet auch das vorgesehene Maximum des Erwerbsersatz-Taggelds für selbständige Einzelunternehmer von 196 Fr. (à 30 Tage pro Monat) angesichts der oft hohen Fixkosten betroffener Unternehmen wie Restaurants, Fitnessstudios und Coiffeursalons als zu tief. Im Weiteren sei der Begünstigtenkreis für solche Erwerbsersatz-Gelder nicht auf Unternehmen zu beschränken, die wegen behördlicher Massnahmen gegen das Coronavirus nicht mehr tätig sein könnten; zu unterstützen seien auch indirekt betroffene Unternehmer wie etwa Drucker oder Grafiker, denen die Umsätze weggebrochen seien.

Am Ende wird es auf eine Art Opferverteilung in der Grössenordnung einer zwei- bis schlimmstenfalls dreistelligen Milliardensumme auf Steuerzahler, Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Selbständige, Vermieter und Mieter hinauslaufen. Die genaue Verteilung wird wohl noch Gegenstand diverser Korrekturen sein. Der Bundesrat tastet sich in diesem Tunnel Schritt um Schritt voran.

Dieser Beitrag ist am 24. März 2020 auf www.nzz.ch erschienen.

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