Warum die Schweizer Sanktionspolitik zu Diskussionen Anlass gibt Seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich die Schweiz jeweils mit zeitlicher Verzögerung allen zwölf bisher verabschiedeten Sanktionspaketen der EU angeschlossen. In einigen Punkten wich der Bundesrat jeweils ab. Letzteres sorgt immer wieder für internationale Kritik.
Seit dem Beginn der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich die Schweiz jeweils mit zeitlicher Verzögerung allen zwölf bisher verabschiedeten Sanktionspaketen der EU angeschlossen. In einigen Punkten wich der Bundesrat jeweils ab. Letzteres sorgt immer wieder für internationale Kritik.
Die Übernahme der jeweiligen Sanktionen sei eine Reaktion auf „die fortwährenden destabilisierenden Handlungen Russlands, die die territoriale Integrität, die Souveränität und die Sicherheit der Ukraine untergraben“, teilte der Bundesrat unlängst mit. Die Parteien, mit Ausnahme der SVP, welche die Sanktionen als Verstoss gegen die Neutralität sieht, tragen die Strafmassnahmen mit.
In wenigen Punkten weiche der Bundesrat jedoch von der EU ab – und habe Lösungen implementiert, welche der spezifischen Situation der Schweiz Rechnung tragen würden, liess das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA kurz vor dem zweiten Jahrestag der russischen Invasion verlauten.
So habe der Bundesrat beispielsweise im August 2022 betont, dass die Schweiz entschlossen sei, zur Bekämpfung der weltweiten Ernährungs- und Energiekrisen beizutragen. Im November des selben Jahres entschied er, den Kauf von bestimmten Düngemitteln zuzulassen, sofern die Güter für ein Drittland bestimmt sind. Dieser Entscheid gründete laut Seco auf der besonderen Bedeutung der Schweiz für den weltweiten Handel mit Düngemitteln.
Keine Meldepflicht für Geldtransfers
Ebenso habe der Bundesrat – mit Bezug auf das EU-weite Verbot der Verbreitung russischer Staatsmedien wie „RT“ oder „Sputnik“ – schon im März 2022 festgehalten, dass es wirksamer sei, unwahren Äusserungen mit Fakten zu begegnen, anstatt sie zu verbieten. Deshalb habe der Bundesrat auf den Entzug ihrer Rundfunklizenzen verzichtet. Dies, auch wenn die beiden Sender laut Bundesrat „Werkzeuge der gezielten Desinformation durch die Russische Föderation“ sind.
Im Zuge der Übernahme des zwölften und bisher letzten Sanktionspakets der EU verzichtete der Bundesrat derweil auf eine Meldepflicht für Geldtransfers natürlicher und juristischer Personen aus Russland, die in der Schweiz ein Unternehmen ansässig haben. Eine solche Meldepflicht werde noch geprüft, teilte das Seco auf Anfrage weiter mit.
Absage an internationale Taskforce
Bereits im April des vergangenen Jahres erteilte der Bundesrat den Botschaftern der G7-Staaten eine Absage zur Teilnahme an der internationalen Taskforce zum Aufspüren russischer Oligarchengelder. In der Folge kam die Schweiz international unter Druck: Die sogenannte Helsinki-Kommission, ein Gremium der US-Regierung und des -Parlaments, kritisierte im Juni die Schweizer Sanktionspolitik. Die Aussenpolitische Kommission des Ständerats (APK-S) wies die Kritik daraufhin zurück.
Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Bundesamtes für Justiz (BJ) habe den Bundesrat bereits im Februar 2023 über ihre Analyse informiert, wonach die Konfiskation von privaten Vermögenswerten rechtmässiger Herkunft gegen die Bundesverfassung verstossen würde, teilte das Seco zu dem Thema auf Anfrage mit.
Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats (GPK-S) forderte den Bund im November desselben Jahres dazu auf, die Umsetzung von Wirtschaftssanktionen künftig schärfer zu überwachen. Dies, nachdem sie unter anderem die Sanktionen gegen Russland analysiert hat.
Mehr Kontrollen im Rohstoffhandel gefordert
Für Kritik sorgten weiter auch „Löcher“ im Schweizer Sanktionsregime mit Bezug auf den Rohstoffsektor. Die Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye teilte im April 2022 beispielsweise mit, dass die Schweiz heute die zentrale Drehscheibe für russische Kohle sei. Drei Viertel der Kohleexporte aus Russland würden über Zug und die Ostschweiz abgewickelt. Die in der Schweiz ansässigen Rohstoffkonzerne seien zudem die grössten Abnehmer von russischem Rohöl.
Auch die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK-N) sah dies so. Der Bundesrat wurde deshalb im September 2023 durch ein vom Nationalrat angenommenes Postulat der APK-N verpflichtet, die Einhaltung der Sanktionen gegen Russland im Rohstoffsektor zu überprüfen und allfällige Mängel zu suchen.
Auf Anfrage zog Public Eye zum zweiten Jahrestag des Beginns der russischen Invasion in der Ukraine eine Bilanz zu den Sanktionen der Schweiz. Der Organisation nach werden die Besonderheiten der Schweiz und die geopolitische Bedeutung ihres Rohstoffhandels- und Finanzplatz bewusst kleingeredet. Zudem gebe es kaum Verfahren wegen Sanktionsverstössen. Public Eye fordert die Landesregierung dazu auf, ihre Sanktionspolitik zu reformieren.
Neue Ermittlungen aufgenommen
Unlängst wurde derweil bekannt, dass das Seco mehrere mutmassliche Fälle von Sanktionsverstössen, welche durch Tochterunternehmen von Schweizer Rohstoff-Handelsfirmen im Ausland begangen wurden, untersucht. Aufgrund laufender Verfahren könne sich das Seco jedoch nicht weiter dazu äussern, hiess es auf Anfrage.
Das Seco schaltete diesbezüglich auch die Bundesanwaltschaft (BA) ein – laut Embargogesetz ist dies nur in besonders schweren Fällen möglich. Die BA teilte auf Anfrage mit, dass sie in engem Austausch mit dem Seco sowie der Meldestelle für Geldwäscherei von Fedpol und weiteren Partnern stehe. Derzeit würden verschiedene Abklärungen laufen.