Arbeiten von überall: Wie es Firmen gelingt, die Vorteile von Home-Office zu nutzen Viele Konzerne beordern ihre Belegschaft zurück ins Büro. Es gibt aber auch Unternehmen, die den Angestellten nicht vorgeben, wo sie arbeiten sollen. Wie bewährt sich das?
Viele Konzerne beordern ihre Belegschaft zurück ins Büro. Es gibt aber auch Unternehmen, die den Angestellten nicht vorgeben, wo sie arbeiten sollen. Wie bewährt sich das?
Sogar der Konzern, der zu den bedeutendsten Profiteuren des mobilen Arbeitens gehört, holt einen Teil der Angestellten zurück ins Büro: Zoom-Mitarbeitende, die in einer «vertretbaren Entfernung» leben, sollen an mindestens zwei Tagen pro Woche im Büro arbeiten. Zuvor haben bereits andere amerikanische Technologiekonzerne wie Google, Meta oder Amazon ihre Belegschaft oder einen Teil davon ins Büro zurückbeordert.
Die Argumente der mittlerweile zahlreichen Firmen, die eine Präsenzquote eingeführt haben, klingen ähnlich: Es braucht den persönlichen Austausch und zufällige Begegnungen, um die Kreativität und die Innovationskraft zu steigern sowie den Zusammenhalt und die Bindung zum Arbeitgeber zu stärken. Häufig schwingt die Befürchtung mit, dass die Arbeit im Home-Office weniger effizient erledigt wird.
Wie produktiv ist man im Home-Office?
Laut Johanna Bath, Professorin an der ESB Business School in Reutlingen, führt eine Präsenzquote zwar zu mehr Begegnungen, aber nicht automatisch auch zu mehr Kreativität und Identifikation mit dem Arbeitgeber. Die erhofften Produktivitätssteigerungen im Büro blieben meist aus, sagt Bath, die hybride Arbeitsformen erforscht (siehe Interview).
Die Studien über die Arbeit im Home-Office kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Produktivität hängt von vielen Faktoren ab, unter anderem von der ausgeübten Tätigkeit. Je nach Situation überwiegen laut Bath die Vor- oder die Nachteile. Ausserdem spiele für die Produktivität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur die Frage der Präsenz, sondern vor allem auch das Thema Führung eine wesentliche Rolle.
Das Home-Office hat deutlich an Bedeutung gewonnen, die Arbeit im Büro ist hierzulande aber immer noch die Regel. 2022 nutzten 37,1 Prozent der Beschäftigten die Möglichkeit von Home-Office, wie eine Erhebung des Bundesamts für Statistik (BfS) zeigt. In manchen Firmen ist dies aufgrund der Tätigkeit nicht möglich, in anderen erledigen die Angestellten gelegentlich ihre Arbeit von zu Hause aus, und nur in wenigen Schweizer Firmen arbeiten die meisten Mitarbeitenden den grössten Teil ihrer Arbeitszeit im Home-Office.
«Wer Flexibilität gibt, bekommt Flexibilität zurück»
Zu diesen «Remote first»-Unternehmen zählt Amgen Switzerland. Die Schweizer Tochter des amerikanischen Biotechnologiekonzerns hat keine Präsenzregelung getroffen. «Die Mitarbeitenden entscheiden gemeinsam mit den Vorgesetzten, wie, wann und wo sie am produktivsten arbeiten», sagt die Geschäftsführerin Myriam DeLeone. «Wir sind im Büro, wenn es einen Mehrwert gibt.»
Dies gelte etwa für Strategie-Workshops, Brainstorming-Sitzungen, aber auch für Anlässe, die das Zusammen- und Zugehörigkeitsgefühl stärkten. So werden etwa jeden Monat alle Mitarbeitenden, die in diesem Monat Geburtstag haben, zu einem gemeinsamen Frühstück eingeladen. Ausserdem wurde im Sommer ein Pilotprojekt gestartet, um den persönlichen Austausch zu fördern: An drei Freitagnachmittagen organisieren Angestellte in beliebigen Gruppen eigenständig Aktivitäten.
«Wir dürfen uns nicht auf unserer Firmenkultur ausruhen, sondern müssen regelmässig etwas dafür tun», sagt DeLeone. Die Umsetzung des flexiblen Arbeitsmodells habe nicht nur das gegenseitige Vertrauen gestärkt, sondern auch das Engagement der Mitarbeitenden erhöht: «Wer Flexibilität gibt, bekommt Flexibilität zurück.»
Freiheit und Gefahr der Überforderung
Ambitionierte Zielvereinbarungen, die mit weitreichenden Freiheiten verbunden sind, könnten manche Angestellte aber auch überfordern. Wer bei der Arbeit mehr Vorgaben und Struktur benötige, werde vom Vorgesetzten unterstützt, sagt der Personalleiter Markus Gwerder. Es handle sich um ein Modell, das ohne «Zuckerbrot und Peitsche» auskomme.
Damit das flexible Arbeitskonzept funktioniere, sei eine von Vertrauen und Wertschätzung geprägte Kultur im Unternehmen essenziell, sagt Gwerder. Zum Ausdruck komme diese auch in kleinen, alltäglichen Situationen. An Videokonferenzen wählen sich die Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort arbeiten, einzeln statt als Gruppe ein, alle Teilnehmer haben während der Sitzung die Kamera eingeschaltet, und viele Mitarbeitende schalten sich schon etwas früher ein, um sich informell auszutauschen.
Eine solche Firmenkultur passt für viele Mitarbeitende, aber nicht für alle. Personen, die nur ihren definierten Job erledigten und darüber hinaus keinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Unternehmensvision leisten wollten, fühlten sich beim Unternehmen ebenso wenig wohl wie Führungskräfte, die Mikromanagement betrieben, sagt DeLeone. Gefragt seien vielmehr ein situativer Führungsstil sowie die Fähigkeit von Führungskräften, unterschiedliche Bedürfnisse und Ziele unter einen Hut zu bringen und das Modell vorzuleben. DeLeone kommt selber durchschnittlich zwei Tage pro Woche ins Büro und versucht zum Beispiel auch, nach 17 Uhr keine E-Mails mehr zu schreiben.
Wer ist heute im Büro?
Zu den Firmen ohne fixe Präsenzzeiten gehört auch Dormakaba. Bereits vor Corona waren die Büroangestellten durchschnittlich die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Home-Office tätig. Nach der Pandemie gab es beim Industriekonzern keine Kampagne, um die Angestellten zurück ins Büro zu holen. Laut dem Sprecher Mirko Meier-Rentrop hat sich die Arbeitsform auf natürliche Weise eingespielt. Wie viel die Mitarbeitenden von zu Hause aus arbeiteten, hänge von ihren eigenen Präferenzen und den Jobanforderungen ab. Personalfachleute, die Linienmanager vor Ort betreuten, seien beispielsweise häufiger im Büro als Softwareentwickler, die oft längere Zeit an einer Programmierung arbeiteten.
Vor allem montags und freitags ist es in den Büros leerer. Durchschnittlich sind an einem Tag rund 60 Prozent der Angestellten vor Ort tätig. Dass die Büroangestellten grosse Freiheiten in ihrer Arbeitsweise genössen, sei bei den Kolleginnen und Kollegen in der Produktion weitreichend akzeptiert, sagt Meier-Rentrop. Dies spiegelten regelmässige Messungen zur Mitarbeitendenzufriedenheit.
Führung wird anspruchsvoller
In der komplexen, hybriden Arbeitswelt wird Führung anspruchsvoller. «Management by walking around» reicht längst nicht mehr. Führungskräfte sollten ihren Fokus nicht auf Präsenzzeiten, sondern auf die erzielten Ergebnisse legen. Zentral ist, dass die Vorgesetzten den Angestellten regelmässig Feedback geben, den Wissenstransfer im Team sicherstellen, die Arbeitsprozesse anpassen und vor allem den Zusammenhalt im Team stärken. Gefragt sind in diesem Umfeld vermehrt Führungsqualitäten wie Empathie und Kommunikationsfähigkeit.
Ein Patentrezept, wie sich Unternehmen aufstellen sollten, gibt es nicht. Welches Arbeitsmodell am sinnvollsten ist, hängt laut Bath von der Geschäftstätigkeit, der Infrastruktur und den Ressourcen im jeweiligen Betrieb ab. Jede Firma muss ihren eigenen Weg finden, wie sie die Vorteile des mobilen Arbeitens am besten nutzt und dabei möglichst wenig Nachteile in Kauf nimmt.