Banken lancieren neue Lehre als Gegenmodell zum Gymi Akademiker haben ein dreimal so tiefes Arbeitslosigkeitsrisiko wie Lehrabgänger.
Akademiker haben ein dreimal so tiefes Arbeitslosigkeitsrisiko wie Lehrabgänger.
Das Ansehen der Banklehre war schon besser, viele Teenager bevorzugen das Gymnasium. Um dies zu ändern, startet der Zürcher Bankenverband eine Kampagne. «Ich will lieber in einer Bank im echten Leben arbeiten, statt im Gymnasium auf einer Bank zu sitzen», sagt der 17-jährige Andrej in einem frechen Clip auf dem Social-Media-Kanal Tiktok. «Los is Läbe», lautet der Slogan.
Doch ist die Lehre tatsächlich der bessere Start ins Berufsleben? Der Trend läuft in die andere Richtung: Hatten vor 20 Jahren noch über die Hälfte der Erwerbstätigen einen Berufsabschluss als höchste Qualifikation, so sind es heute nur noch 35%. Umgekehrt sind die Akademiker auf dem Vormarsch. Der Anteil der Erwerbstätigen mit einem tertiären Abschluss hat sich von 22% auf 45% verdoppelt.
Besonders die kaufmännische Lehre leidet unter der Konkurrenz durch das Gymnasium. Eine Reform soll dem KV deshalb neuen Schub geben: Ab nächstem Jahr stehen anstelle von Fächern wie Deutsch oder Mathematik sogenannte Handlungskompetenzen auf dem Stundenplan. Diese nennen sich «Interagieren in einem vernetzten Arbeitsumfeld» oder «Koordinieren von unternehmerischen Arbeitsprozessen».
Drohende Verwässerung
Doch ausgerechnet die einflussreichen Banken sind auf die Barrikaden gestiegen. «Steht die Banklehre vor dem Aus?», fragte der Zürcher Bankenverband (ZBV) provokativ in einem Communiqué im letzten Jahr. Die Befürchtung: Wird der Schulstoff verwässert, schaffen die Jugendlichen den Anschluss an die Berufsmatura nicht mehr.
Mit der neu lancierten Kampagne wollen die Banken jetzt ein Zeichen setzen: «Die Qualität und die Zukunft der Banklehre ist gesichert», lautet ihre Botschaft. Der ZBV trägt die umstrittene KV-Reform nun zwar mit. Gleichzeitig jedoch hat der Verband ein eigenes, innovatives Ausbildungsmodell mit dem Namen «KV Berufsmatura Fokus» geschaffen. Dabei besuchen die Lernenden im ersten Jahr Vollzeit eine Berufsfachschule.
«Der Pilotversuch war erfolgreich», sagt Christian Bretscher, Geschäftsführer des ZBV. «Die jungen Arbeitskräfte stossen nach dem ersten Schuljahr mit einem besser gefüllten Rucksack zum Betrieb und können deshalb anspruchsvollere Aufgaben übernehmen.» Gerade Banken hätten das Problem, dass durch den beruflichen Wandel viele «Anfängerjobs» weggefallen seien.
Als wichtig erachtet Bretscher, dass in diesem Modell die Unterrichtsfächer auch künftig geprüft werden. «In unserer Branche kommt man immer weniger um die Berufsmatura herum. Für die meisten Jobs ist ein anschliessendes Studium zwingend erforderlich.» Dagegen genüge die klassische Banklehre, die lediglich zum Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis führt, den höheren Anforderungen kaum noch.
Die Schweiz ist stolz auf ihre Berufsbildung. Manche Verfechter bezeichnen sie gar als «Schlüsselfaktor» für den Wohlstand. Wie das Seilziehen um die Banklehre allerdings verdeutlicht, gerät die Berufsbildung zunehmend unter Druck. Woran das liegt, hat George Sheldon, emeritierter Professor für Arbeitsmarktökonomie an der Universität Basel, untersucht. Bei diesem emotionalen Thema mache man sich rasch unbeliebt, schiebt er vorweg und betont, er sehe die Praxisnähe der Lehre durchaus als Vorteil. Trotzdem hält er fest: «Im modernen Arbeitsumfeld treten nun vermehrt die Schwächen dieses Modells zutage.»
Sheldon nennt drei Gründe, warum die Matura mehr Möglichkeiten eröffne. Die neuen Technologien stellten höhere Anforderungen an das abstrakte Denken. Dieses lerne man primär am Gymnasium sowie an der Hochschule. Zweitens sei die Zahl der Arbeitsplätze im gewerblich-industriellen Bereich rückläufig. Und schliesslich nähmen auch dort die geistigen Tätigkeiten zu.
Dass Hochschulabsolventen auf dem Stellenmarkt über die besseren Karten verfügen, lasse sich laut Sheldon statistisch nachweisen: So haben Beschäftigte mit höchstens einem Lehrabschluss ein dreimal höheres Arbeitslosigkeitsrisiko. Aus dieser Gruppe verlieren demnach 6% innerhalb eines Jahres ihre Stelle – gegenüber lediglich 2% bei Personen, die eine Hochschule besucht haben.
Die Uni bringt mehr Lohn
«Selbstverständlich bleibt die Lehre ein wichtiger Teil unserer Bildungspolitik», sagt der Arbeitsmarktökonom. «Doch der Wert einer höheren Ausbildung hat über die Jahre zugenommen – und da bietet die Matura die grössere Auswahl an Optionen.» Dieser Zusammenhang lasse sich ebenso an der Entlöhnung messen. Am höchsten ist das mittlere Gehalt bei einem Universitätsabschluss mit 9760 Fr. pro Monat. Auf Stufe Fachhochschule sind es noch 8280 Fr., während Beschäftigte mit einer beruflichen Grundausbildung im Schnitt 5930 Fr. verdienen.
Die Darstellung von Sheldon stösst bei Jürg Schweri auf Widerspruch. Der Professor der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung kritisiert, damit würden Äpfel mit Birnen verglichen. «Dass eine Ingenieurin dank der Investition ins Studium mehr verdient als ein Koch, überrascht nicht.» Doch die Berufslehre biete eine gute Erstausbildung und schütze die Beschäftigten vor Tieflöhnen – Ungelernte erhalten ein mittleres Salär von nur 4860 Fr.
Unser Bildungssystem helfe mit, eine Polarisierung zwischen Akademikern und tiefqualifizierten Arbeitskräften zu verhindern, wie sie in den USA eingetreten sei, sagt Schweri: «Die Durchlässigkeit von der Lehre zu höheren Ausbildungen ist eine Stärke. Fast die Hälfte unserer Ingenieure hat einen Fachhochschul-Bachelor via Berufslehre und Berufsmaturität erreicht.»
Keine arbeitslosen Uni-Abgänger
Dass die Lehre bei manchen Eltern einen schweren Stand hat und diese ihre Kinder lieber ans Gymnasium schicken, bestreitet Schweri nicht: «Es gibt aber ebenso schulisch starke Jugendliche, die sich für eine Lehre entscheiden und damit gute Karriereperspektiven haben.»
Auch George Sheldon plädiert nicht für eine pauschale Erhöhung der Maturitätsquote. Im Extremfall führe dies zu Verhältnissen wie in Frankreich, wo viele Uni-Abgänger als Kellner arbeiten müssten. «Statt die Quote fix von oben zu verordnen, sollten die Jugendlichen vermehrt selbst entscheiden können. Ein gesunder Wettbewerb zwischen dem Gymnasium und der Berufslehre führt generell zu einer besseren Qualität in der Bildung.»
Die neue Banklehre ist ein mutiger Schritt dahin: «Wir positionieren die Lehre als ideale Alternative zum Gymnasium», sagt Christian Bretscher. Dazu gehöre, dass die Ausbildung nach der Berufsmatura längst nicht abgeschlossen sei. Das Ziel laute: Fachhochschule oder Universität.