Bleibt die Abschlussprüfung für Lehrlinge doch? Der Widerstand wächst – und der Bund irritiert mit falschen Angaben Noch selten kam eine Reform so unter Druck wie die geplanten Neuerungen bei den Berufsschulen. Nun stellt sich heraus, dass das Staatssekretariat für Bildung gepatzt und Gegner als Befürworter aufgeführt hat.
Noch selten kam eine Reform so unter Druck wie die geplanten Neuerungen bei den Berufsschulen. Nun stellt sich heraus, dass das Staatssekretariat für Bildung gepatzt und Gegner als Befürworter aufgeführt hat.
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Bisher ist im Schweizer Bildungssystem noch fast jede Reform umgesetzt worden, auch die umstrittenen. Doch nun wächst der Widerstand. Es könnte zu einer kleinen Zeitenwende kommen.
Der Bund will die Abschlussprüfung im allgemeinbildenden Unterricht (ABU) in der Berufslehre abschaffen. Diese sei «zu stark Fachwissen-orientiert» und darum nicht mehr «zeitgemäss», erklärt das zuständige Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). Richten sollen es künftig die Erfahrungsnoten – und eine Abschlussarbeit.
Würde man sich nur auf die Kommunikation des SBFI verlassen, wäre das der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die nicht auf eine Abschaffung, «sondern auf eine veränderte Gestaltung der bisherigen Prüfungsform» abziele, mit der der «Stellenwert des allgemeinbildenden Unterrichts gestärkt» werden solle. Klingt gut, klingt nach Reform.
Doch diese Version ist kaum belastbar – und das Staatssekretariat spielt keine glückliche Rolle. Als sich im Sommer aus der Praxis und der Politik erstmals grösserer Widerstand manifestierte, zeigte sich das SBFI unbeeindruckt. Als im Herbst die Auswertung der Vernehmlassung da war, sprach das SBFI in einem Bürgerbrief von einem «breiten Konsens» für die Abschaffung. Nur: Das war gar nicht so. Danach sprach das SBFI auf Anfrage nur noch von einem «breit abgestimmten Konsens der Verbundpartner». Warum dieses Zurückbuchstabieren? Darauf gab es keine Antwort.
Nun liegen die Ergebnisse vor, welche Parteien, Verbände, Kantone, Branchenvertreter konkret für oder gegen die Abschaffung sind (oder sich neutral verhalten). Und auch in dieser vom SBFI veröffentlichten Liste gibt es mindestens irritierende Einteilungen.
Nach Informationen der NZZ hat das SBFI offenbar mehr Befürworter aufgelistet, als es tatsächlich gibt, zum Beispiel die Mitte-Partei. Die Mitte-Nationalrätin und Bildungspolitikerin Regina Durrer sagt: «Die Mitte ist gegen die Abschaffung der schriftlichen Abschlussprüfung. Es ist falsch, dass wir vom SBFI als neutral aufgelistet werden.» Die Partei ist nicht die einzige Organisation, die fälschlicherweise den Befürwortern zugeordnet wurde. Auch Bio Suisse sagt, dass man nicht für den Wegfall der Abschlussprüfung sei, sondern dagegen. Der Kanton Nidwalden teilt mit, dass man nicht dafür sei, sondern neutral (weil man sich gar nicht geäussert habe).
Schönfärberische Aussagen
Grundsätzlich diskussionsbereit sind die Wirtschaftsverbände. Sie wehren sich nicht gegen die Einteilung ins Pro-Lager, aber sie merken an, dass sie ihre kritischen Gedanken und allfällige Forderungen wenig berücksichtigt sähen. Swissmem schreibt zum Beispiel, dass der Verband für eine «Beibehaltung eines Qualifikationsverfahrens (Schlussprüfung)» sei, allerdings in der Ausgestaltung für Neuerungen zu haben sei. Darum schreibt ein Sprecher: «Die differenzierte Haltung kommt in unserer Stellungnahme jedoch explizit nicht ganz klar zum Ausdruck.»
Das SBFI reagiert auf solche Anfragen immer gleich. Es schreibt, dass auch «implizite Zustimmungen als positive Zeichen, die für die Revision sprechen, gedeutet» würden. Stellungnahmen, «die zwar auf mögliche Schwierigkeiten oder Probleme hinweisen, die Reformpunkte aber nicht ausdrücklich ablehnen, wurden als Zustimmung gewertet». Und besonders irritierend: Einzelne Sätze – also auch solche, die zum Ausdruck bringen, dass die Abschaffung der Abschlussprüfung abgelehnt werde – würden nicht «isoliert betrachtet».
Die Fehler räumt das SBFI zwar ein, dies habe «jedoch keinen Einfluss auf das Gesamtbild». Wirklich?
«Fragwürdige Auswertung»
Das erstaunt aus zwei Gründen. Erstens: In einem Beitrag von SRF von vergangener Woche kamen diese falschen Einteilungen bereits zur Sprache – aber das SBFI blieb bei der allgemeinen Antwort. Erst auf konkrete Nachfrage der NZZ gab man die Fehler zu. Und zweitens, weit wichtiger: Das Gesamtbild ist selbst bei der fehlerhaften Auflistung ein differenziertes. Ob Kantone oder Player aus der Wirtschaft und dem Bildungsbereich: Etwa die Hälfte der Befragten ist für die Abschaffung, die andere Hälfte ist dagegen oder neutral.
Klar ist die Meinung dafür bei den Parteien. Ausser den Grünen sprechen sich von links bis rechts alle für eine Beibehaltung der Abschlussprüfung aus. Die FDP teilte diese Woche besonders giftig aus: «Die Volksschule ist demontiert. Nun greifen linke Bürokraten die Berufslehre an.» Der Freisinn stelle sich «entschieden gegen die geplante Abschaffung der schriftlichen Abschlussprüfung», die Reform sei «das jüngste Kapitel in einer Reihe gescheiterter Bildungsexperimente».
Die FDP-Nationalrätin Regine Sauter sagt: «Was mich bei dieser Reform stört: Obschon viele Praktiker, Lehrerinnen und Ausbildner, für die schriftliche Abschlussprüfung plädieren und gut begründen, warum ein Wegfall nicht sinnvoll wäre, hält man in der Verwaltung offenbar an diesem Plan fest.» Auch wenn alle dagegen seien von links bis rechts – und die Bildungskommissionen von National- und Ständerat. Sauter sieht einen beunruhigenden Trend: «Leider sind Bildungsprojekte heute oft reine Theorie-Reformen. Insbesondere sehen wir allgemein eine Schwächung des Leistungsprinzips: Keine schriftlichen Prüfungen, keine Noten mehr.» Junge Menschen müssten jedoch auch lernen, sich unter Drucksituationen zu bewähren oder sich mit anderen zu messen, das wird ihnen später im Leben noch oft begegnen.»
Das sieht auch die Mitte-Bildungspolitikerin Regina Durrer so. Sie spricht von einer «fragwürdigen» Auswertung des SBFI – es könne doch nicht sein, «dass man die Resultate so grosszügig für die Befürworter ausweist, nur weil man selbst dafür ist».
Kommt nun die Wende?
Es sei ja in Ordnung, dass die Verwaltung von ihrer Reform überzeugt sei, «aber solche groben Fehler in der Zusammenfassung sind befremdlich. Genauso wie die Tatsache, dass das SBFI die starke Kritik aus der Politik nicht ernst nimmt.»
Rechtlich muss das SBFI das auch nicht. Bei der Reform handelt es sich um eine Verordnung, der Bund muss das Parlament also nicht mit einbeziehen. Sauter versteht das nicht. Wie man eine Reform gegen solchen Widerstand durchdrücken könne, fragt sie sich. So geht es auch Durrer. Sie verweist auf die Empfehlung der Bildungskommissionen, den Entscheid nochmals zu überdenken oder die Reform mindestens zu verschieben. Aber die Reaktion des SBFI sei nichtssagend gewesen – «das ist enttäuschend». Das Einzige, worauf man noch hoffen könne, sei, dass Guy Parmelin als zuständiger Bundesrat die Notbremse ziehe.
Ob das passiert? Das SBFI teilt mit, dass vor einem Entscheid «zum weiteren Vorgehen» noch «Diskussionen in der Bundespolitik» anstünden. Diese Aussicht scheint der FDP nicht attraktiv genug zu sein. Sie wird in der Frühlingssession eine Motion einreichen, mit einer einfachen Forderung: Der Bundesrat soll die schriftlichen Abschlussprüfungen beibehalten. Das wäre dann, sagt Sauter, eine Regelung auf Gesetzesstufe – und damit hätte das Parlament das Sagen.