Deutliches Nein zum höheren Rentenalter – was bedeutet das für die künftige Debatte um die Altersvorsorge? Mit 75 Prozent Nein-Stimmen ist die Initiative für eine automatische Anpassung des Rentenalters wuchtig verworfen worden. Doch die Frage, wie lange wir arbeiten sollen, bleibt dringlich.

Mit 75 Prozent Nein-Stimmen ist die Initiative für eine automatische Anpassung des Rentenalters wuchtig verworfen worden. Doch die Frage, wie lange wir arbeiten sollen, bleibt dringlich.

Freiwillig länger zu arbeiten, bleibt möglich, doch die generelle Erhöhung des Rentenalters ist am Sonntag klar gescheitert. (Foto: David Siglin auf Unsplash)

Der Absturz kam mit Ansage, doch es bleibt ein Absturz: Nur etwa 25 Prozent der Stimmenden haben sich am Sonntag gemäss NZZ-Hochrechnung für die Renteninitiative der Jungfreisinnigen ausgesprochen. Muss man daraus schliessen, dass die Initiative letztlich sogar kontraproduktiv war? Dass die Forderung nach einem höheren Rentenalter nach diesem deutlichen Verdikt des Volks für viele Jahre vom Tisch ist? Klar ist, dass die Finanzierung der Altersvorsorge politisch weiterhin zu reden geben wird – nicht nur bei der AHV, bei der milliardengrosse Finanzierungslücken absehbar sind, sondern auch bei den Pensionskassen.

 

Es gibt nicht viele Faktoren, die bei der Ausgestaltung der Altersvorsorge eine wesentliche Rolle spielen. Neben der Höhe der Beiträge oder Steuern auf der einen Seite und der Renten auf der anderen gehört dazu zwingend auch die Frage, wie lange wir arbeiten und einzahlen sollen, bevor wir eine Rente beziehen. Sollten Bundesrat und Parlament aus der Abstimmung den Schluss ziehen, dass das ordentliche Rentenalter in den nächsten Jahrzehnten bei 65 Jahren bleiben muss, ist die Folge absehbar: Die Lohnabzüge und die Steuern müssen umso stärker erhöht werden. Eine Reduktion der Renten ist politisch keine Option.

Automatismus ist wohl vom Tisch

Die Forderung nach einem höheren Rentenalter hat nach dieser Abstimmung einen noch schwereren Stand als zuvor, doch zu einem Tabu dürfte sie kaum werden. Dazu sind die Finanzierungslücken und die demografischen Verschiebungen zu gross. Einen ersten Hinweis werden die Diskussionen um die Finanzierung der 13. AHV-Rente geben, über die die Politik relativ rasch entscheiden muss, wenn das Sozialwerk nicht in eine Schuldenwirtschaft geraten soll. Der Bundesrat selbst hat ein höheres Rentenalter als berechtigte Forderung bezeichnet. Und manche bürgerliche Sozialpolitiker, die sich gegen die Renteninitiative ausgesprochen haben, sind nicht grundsätzlich gegen ein höheres Rentenalter.

Sie können argumentieren, dass das Volk am Sonntag nicht die Forderung an sich abgelehnt hat, sondern die Umsetzung mit dem vorgeschlagenen Automatismus. Die Initiative wollte das Rentenalter verbindlich an die Entwicklung der Lebenserwartung knüpfen und es damit der Politik entziehen. Nachdem dieses Konzept so deutlich gescheitert ist, müssten allfällige künftige Versuche anders erfolgen: erstens in Form klar definierter Schritte wie einer Erhöhung auf 66 oder 67 Jahre innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Damit wären die Folgen einfacher erklärbar und besser berechenbar als bei der Renteninitiative.

Zweitens ist nach dem Ergebnis vom Sonntag anzunehmen, dass ein höheres Rentenalter als isolierte Massnahme kaum mehrheitsfähig ist. Wenn dieser Schritt irgendwann gelingen könnte, dann als Teil einer grösseren Reform, die weitere Elemente umfasst, unter anderem wohl auch Massnahmen zur Abfederung der längeren Arbeitszeit für körperlich oder psychisch anstrengende Berufe.

Historisch schlechtes Resultat

Im historischen Vergleich ist das Abschneiden der Renteninitiative zwar schlecht, aber nicht so schlecht, dass sie damit ganz oben auf den Allzeit-Flop-Listen landen würde. Noch etwas deutlicher gescheitert ist vor zwei Jahren die Initiative für ein Verbot von Tier- und Menschenversuchen (21 Prozent). Die niedrigste Zustimmung aller Zeiten beträgt aufgerundet sogar nur 3 Prozent. Doch das war ein Spezialfall: In der Abstimmung von 1929, die sich um die Getreideversorgung drehte, lag ein Gegenvorschlag vor, der auch von den Initianten unterstützt wurde. Weil es damals aber noch kein Rückzugsrecht gab, musste auch über die Initiative abgestimmt werden, die keine Seite mehr wollte.

Anders bei dem Volksbegehren mit der zweittiefsten Zustimmung: Die Initiative der Grünliberalen, welche die Mehrwert- durch eine Energiesteuer ersetzen wollten, scheiterte 2015 mit einem Ja-Anteil von 8 Prozent. Die Renteninitiative von diesem Sonntag wiederum liegt auf der Rangliste der 230 Volksinitiativen, die bisher an die Urne gekommen sind, im hintersten Fünftel.

Fabian Schäfer, Bern, «Neue Zürcher Zeitung»

Das könnte Sie auch interessieren: