Die Arbeitnehmer geben nun den Takt an – solange die Rezession ausbleibt In der Schweiz sind viele Arbeitnehmer unzufrieden, jeder Fünfte will in der näheren Zukunft den Job wechseln. Die Vollbeschäftigung bietet den Boden dafür. Damit hat sich, wie am World Economic Forum in Davos zu hören war, auch die frühere Befürchtung aufgelöst, dass uns mit der Automatisierung die Arbeit ausgeht.
In der Schweiz sind viele Arbeitnehmer unzufrieden, jeder Fünfte will in der näheren Zukunft den Job wechseln. Die Vollbeschäftigung bietet den Boden dafür. Damit hat sich, wie am World Economic Forum in Davos zu hören war, auch die frühere Befürchtung aufgelöst, dass uns mit der Automatisierung die Arbeit ausgeht.
Die Automatisierung vieler Wirtschaftsbereiche werde massenhaft Jobs verschwinden lassen, mutmassten zahlreiche Arbeitsmarktexperten noch vor fünf Jahren. Das beflügelte intensive Diskussionen um ein bedingungsloses Grundeinkommen für diejenigen, deren Beitrag am Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt sein würde.
Heute, fünf Jahre später, sieht die Situation erfreulicherweise aber ganz anders aus, wie Arbeitsmarktexperten am World Economic Forum in Davos feststellen. Arbeitskräfte sind alles andere als überflüssig; vielenorts herrscht Mangel. Das Machtgefälle hat sich in diversen Branchen verschoben. Zunehmend sind es die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die wählen, während der Arbeitgeber zusehen muss, dass er attraktiv bleibt.
Dieses rosige Bild gilt zwar nicht durchgängig, trifft aber zumindest auf die Arbeitnehmenden mit gefragten «Skills», sprich die gesuchten Fachkräfte, zu. Für unterschiedliche Gruppen von Arbeitnehmenden eröffnet das neue Perspektiven.
Die Älteren profitieren
Auch die Generation der über 50-Jährigen findet heute tendenziell leichter einen neuen Job als früher, sagt Jonas Prising, CEO des Personalvermittlers Manpower. Es sind zum Teil schlicht nicht genügend Junge da, auf die die Unternehmen zurückgreifen könnten.
Allerdings habe im Unterschied zu den Jüngeren die Generation 50 plus ihr Arbeitsleben leider häufig mit der Vorstellung begonnen, nun ausgelernt zu haben. Die Idee des lebenslangen Lernens sei bei ihr keine Selbstverständlichkeit, erklärt Prising. Da der Arbeitsmarkt aber in vielen Ländern sehr stabil sei, profitierten die Älteren derzeit davon, dass viele Unternehmen darauf angewiesen seien, ihre Angestellten bei der Stange zu halten.
Bei Manpower spricht man heute nicht mehr von Arbeitsplatzsicherheit, sondern von Beschäftigungssicherheit. Die Arbeitnehmer wüssten, dass sie nicht ihr ganzes Berufsleben mit einem Arbeitgeber verbringen würden; deshalb müssten sie stets sinnvolle Entscheide für ihre eigene berufliche Entwicklung treffen, wenn sie sich für den Wechsel zu einem andern Unternehmen entschieden, so Prising.
Die Frauen sind unzufriedener
Bei den Frauen hat die Covid-Pandemie nach Einschätzung von Prising unter dem Strich zu einer Negativentwicklung geführt. Weltweit sind Frauen weniger zufrieden mit ihrer Arbeit und fühlen sich sowohl beim Lohn wie auch bei der Karriereentwicklung zurückgesetzt. Dennoch könne das langfristige Erbe der Covid-Pandemie am Arbeitsmarkt positiv sein, wenn es zu mehr Flexibilität führe.
Gemäss einer grossangelegten Umfrage von PwC sind Frauen im Schnitt nach zwei Jahren Covid-Pandemie im Hinblick auf ihre Job-Perspektiven weniger zufrieden und zuversichtlich als die Männer. Für den Arbeitsmarktexperten Prising stellt sich deshalb die Frage nach der richtigen Unternehmens- und Führungskultur. Unternehmen müssten aufpassen, dass sich die grösseren Möglichkeiten zum flexiblen Arbeiten am Ende nicht als Boomerang für Frauen erwiesen.
Dazu brauche es eine Kultur, die die Flexibilität tatsächlich und nicht nur vermeintlich positiv sehe. Sonst würden die Frauen am Ende doch in einer Falle landen. Prising betont zudem, dass es keinen Trade-off zwischen Flexibilität und Produktivität gebe. Hier habe sich mit der Covid-Pandemie ein grundlegender Wandel ergeben. Viele Arbeitnehmer haben während der Pandemie erfahren, dass sich Arbeit wesentlich besser organisieren lässt, als sie und ihre Arbeitgeber es sich jemals vorgestellt haben. Zu einer Rückkehr zum alten System sind darum viele nicht mehr bereit. Arbeitnehmer würden heute wissen wollen, wann es für welche Tätigkeit sinnvoll sei, ins Büro zu kommen. Erschliesse sich die Sinnhaftigkeit nicht, wachse der Widerstand gegen zu starr empfundene Arbeitsformen.
Den Unternehmen empfiehlt Prising, bereits jetzt darüber nachzudenken, wie sie denjenigen, die während der Pandemie nicht flexibel arbeiten konnten, dies künftig ermöglichen könnten, um so als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben.
Die Frauen nicht ganz verlieren
In der Schweiz liegt eine der grossen Herausforderungen nach Ansicht von Andreas Staubli, CEO von PwC Schweiz, darin, Frauen, die für eine Familienphase berufliche Ambitionen und Pensum heruntergeschraubt haben, danach wieder in den Job zurückzubringen. Einfacher sei dies, wenn man die Frauen in einem ersten Schritt nicht ganz verloren habe. Doch wahrscheinlich müssten sich die Unternehmen auch mit dem Gedanken vertraut machen, Frauen wieder ins Berufsleben zu integrieren, die dieses ganz verlassen hätten.
Die Reintegration erfahrener Frauen dürfte umso erfolgreicher verlaufen, je besser es den Unternehmen gelingt, die Frauen beim Aufholen einer allenfalls verlangsamten beruflichen Erfahrung zu unterstützen und ihre persönliche Entwicklung zu beschleunigen. Staubli machte hier einen «Call of Action». In der Personalberatung unterstütze PwC Unternehmen bei diesem Thema. Der PwC-CEO gibt aber auch zu, dass solche Visionen erst «hier und da» praktiziert würden und in diesem Bereich noch viel mehr gehen müsste.
Neuen Schub könnten auch die neuen Urteile des Bundesgerichtes zum Scheidungsrecht geben. Sie dürften einige geschiedene Frauen zurück in den Arbeitsmarkt zwingen, da ihre Unterhaltsansprüche massiv gesenkt wurden.
Mehr Mut für Veränderungen
In der Schweiz ist die Unzufriedenheit der Arbeitnehmer gemäss PwC derzeit höher als im internationalen Durchschnitt. Jeder Fünfte wolle in der nahen Zukunft den Job wechseln, hat das Beratungsunternehmen festgestellt. Die Hauptgründe dafür sind gleichermassen der Wunsch nach mehr Lohn sowie der nach einer erfüllenderen Tätigkeit. Etwas Positives aber hat die grössere Unzufriedenheit zusammen mit dem Wechselwunsch. Wohl nicht zuletzt dank der tiefen Arbeitslosigkeit werden viele Arbeitnehmende nicht in unbefriedigenden Situationen verharren, sondern steuern von sich aus eine Veränderung zum Besseren an. Das dürfte auch die Produktivität erhöhen.
Das Ganze steht und fällt allerdings mit der Stärke des Arbeitsmarktes. Sollte die Wirtschaft in eine Rezession fallen, könnte das Pendel wieder zurückschwingen. Möglicherweise nimmt dann die seit der Covid-Pandemie grössere Bereitschaft der Arbeitgeber wieder ab, mehr auf die Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeitenden einzugehen. Unternehmen, die dies unabhängig von der Konjunktur tun, dürften bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden die Nase vorn haben.