Eine junge Köchin verlässt ihren Lehrbetrieb frustriert. Sie sagt: «Die Nerven liegen blank» Zu hart, zu rau, zu wenig Lohn – drei Lehrlinge sprechen über die Misere in einem Beruf, der eigentlich ein Traumjob sein müsste.
Zu hart, zu rau, zu wenig Lohn – drei Lehrlinge sprechen über die Misere in einem Beruf, der eigentlich ein Traumjob sein müsste.
Köchinnen und Köche werden gefeiert wie Stars. Man denke an Andreas Caminada, an Zürcher Jungtalente wie Zineb Hattab oder das kulinarische Duo Elif Oskan und Markus Stöckle. Man denke an all die Kochsendungen und Instagram-Feeds, die eifrig geschaut werden: Kochen ist en vogue.
Doch die Ausbildung zur Köchin will kaum jemand mehr antreten. Und von jenen, welche hierzulande eine Gastro-Lehre beginnen, löst fast jeder Dritte den Lehrvertrag wieder auf. Entsprechend stark zeigt sich der Arbeitskräftemangel.
Weshalb scheitern so viele an der Ausbildung für einen Job, der eigentlich ein Traumberuf sein müsste? Drei Lehrabgänger, die den Lehrbetrieb wechselten und die Ausbildung im Kanton Zürich abgeschlossen haben, berichten.
Charlotte (Name geändert) ist 25 Jahre alt. Ihren ersten Anlauf in einem Betrieb in der Ostschweiz gab sie frustriert auf. Sie erzählt:
«Schon immer habe ich gerne gekocht und gegessen, also jobbte ich während des Gymnasiums in der Gastronomie. Meine Ausbildung habe ich dann mit 22 Jahren in einem gehobenen Gasthof in der Ostschweiz angefangen und habe rasch gemerkt, dass es hart werden dürfte. Doch wie schlimm es wirklich werden sollte, habe ich erst später gesehen.
Bereits am dritten Tag meiner Lehre musste ich einen ganzen Posten allein führen: 10 verschiedene Gerichte für mehr als 90 Personen pro Abend herrichten, immer unter Zeitdruck. Der Ausbildner kümmerte sich in den sieben Monaten, während deren ich dort arbeitete, nie um mich. Es hiess, er sei im Vaterschaftsurlaub.
Mein Privatleben war schwierig planbar. Ich wusste manchmal erst drei Tage im Voraus, wann ich meine Einsätze haben würde. Wenn ich krank war, getraute ich mich kaum, mich abzumelden. Das Personal ist derart knapp, dass wirklich jede Hand zählt. Viele arbeiten krank weiter, weil sie die anderen nicht im Stich lassen möchten.
Meine Batterien waren bald leer, ja ich wähnte mich am Rande des Abgrunds.
Ich hatte einen Lehrlingslohn von 860 Franken, 260 Franken wurden mir jeweils abgezogen für das Essen im Betrieb. Üblich sind im ersten Koch-Lehrjahr 1000 Franken. Trinkgeld sah ich nie.
Viele meiner Arbeitskollegen koksten, um leistungsfähig zu bleiben. Wenn mir Chefs sagten: ‹Schau mal, der arbeitet aber gut›, und ich selber wusste, dass er kokst, fand ich das ziemlich schwierig. Am Abend fuhren sie dann mit Bier herunter.
Die Nerven lagen immer blank, der Ton war gehässig, der Chef ging als Erster in den Feierabend und trank hinter dem Haus einen Liter Bier, während die Lehrlinge putzten und die Verantwortung für die letzten Teller sowie das Ausschalten der Geräte allein tragen mussten. Ausstempeln sollten sie sich aber, schon bevor alles fertig war. So verbrachte ich mehr als 48 Stunden pro Woche im Lehrbetrieb, war jedoch offiziell stundenmässig stets im Minus.
Ich beobachtete auch einen sexuellen Übergriff. Ich war am Rüsten, meine 17-jährige Kollegin putzte die Kühltruhe. Ein langjähriger Angestellter begrapschte sie am Gesäss. Sie wehrte sich nicht. Ich habe ihr angeboten, sie zum Chef zu begleiten. Doch sie lehnte ab mit der Begründung, sie wolle sich deswegen nicht die Lehrstelle vermasseln.
Dass die Kochlehre hart ist, merkte ich auch in unserer damaligen Schulklasse. Am Anfang der Ausbildung waren wir 20 Personen, später nur noch die Hälfte. Alle anderen haben abgebrochen.»
Mit diesen Erfahrungen ist Charlotte nicht allein, wie die neue Umfrage von Hotel & Gastro Union unter 2000 Lernenden in Schweizer Gastrobetrieben zeigt.
Über die Hälfte der Lehrlinge, die befragt wurden, bewerten das Image der Gastronomie als genügend bis schlecht. Jeder Fünfte verlässt nach der Lehre den Berufszweig.
Die Anzahl der Lernenden zum Koch EFZ hat gemäss Bundesamt für Statistik seit dem Jahr 2010 im Kanton Zürich um etwa einen Viertel abgenommen. Begannen 2010 noch 344 Jugendliche eine Ausbildung zum Koch, so waren es 2022 noch 259. Schweizweit sank die Zahl sogar um rund einen Drittel.
Und von denen, die wollen, geben viele auf. Fast jede dritte Lehre im Bereich Gastronomie und Catering in der Schweiz wird laut Daten des Bundesamts für Statistik von 2021 abgebrochen. Mit einer Lehrvertragsauflösungsquote von 31 Prozent rangiert der Berufszweig damit auf dem dritten Platz von dreissig Branchen.
Was die Kochlehre im Kanton Zürich angeht, so wird gleichfalls jeder dritte Vertrag aufgelöst. Hier rangiert die Kochausbildung ebenso vorne, auf Platz 14 von 50 Berufen (siehe Grafik unten). Zum Vergleich: Im Schnitt wird branchenübergreifend jeder fünfte Lehrvertrag aufgelöst. Viele steigen danach wieder ein, in eine andere Branche oder einen anderen Betrieb – wie die drei Koch-Lernenden Charlotte, Raul und Samira.