Gefangen im Sandwich: Sind mittlere Manager unterschätzte Führungskräfte oder eine unproduktive Lehmschicht? Der Führungskraft in der mittleren Hierarchiestufe haftet ein miserables Image an. Zu Unrecht. Warum die meisten Firmen den zentralen Stellenwert des mittleren Managers verkennen.

Der Führungskraft in der mittleren Hierarchiestufe haftet ein miserables Image an. Zu Unrecht. Warum die meisten Firmen den zentralen Stellenwert des mittleren Managers verkennen.

Die mittleren Manager befinden sich in der Sandwich-Position zwischen den Mitarbeitenden und dem oberen Kader. (Bild: Campaign Creators auf Unsplash)

Es hat einen schlechten Ruf, und bereits sein Name impliziert Mittelmässigkeit: das mittlere Management. Gefangen in der Sandwich-Position, scheint seine Hauptaufgabe darin zu bestehen, Anweisungen der obersten Führungsriege weiterzugeben, grössere Veränderungen aber wenn immer möglich abzublocken sowie Widerstand und Eigeninitiative in der Belegschaft im Keim zu ersticken.

Vom ehemaligen Siemens-Chef Peter Löscher wurden Manager der mittleren Führungsstufe deshalb auch schon als «Lehmschicht» bezeichnet. Sie sind verantwortlich dafür, wenn erfolgversprechende Strategien des Topmanagements nicht richtig umgesetzt werden, sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Betrieb nicht wertgeschätzt fühlen und die Bürokratie innerhalb des Betriebes überhandnimmt.

Sie halten sich und ihre Mitarbeiter beschäftigt

Die Kunst der Selbstbeschäftigung hat das Middle Management offenbar perfektioniert. Mit Kulturworkshops, Gruppenmeetings, Team-Events, Diversity-and-inclusion-Schulungen oder Compliance-Fragebögen hält es die Angestellten auf Trab. Im Gegensatz zur übrigen Belegschaft sind die Kaderkräfte stets am Wachsen. «Es ist, als würden die Konzerne endlos das Fett von der untersten Ebene der Werkstätten abschneiden und die so erzielten Einsparungen dazu verwenden, einige Etagen höher immer mehr unnötige Arbeitskräfte einzustellen», so hielt der verstorbene amerikanische Anthropologe David Graeber in seinem Bestseller «Bullshit Jobs» fest.

Tatsächlich bestätigt sich das Parkinsonsche Gesetz – des sich verselbständigenden Bürokratiewachstums – auch in den Schweizer Führungsetagen: Während die Erwerbsbevölkerung in den letzten zehn Jahren um 8,3 Prozent gewachsen und die Zahl der Bürokräfte gar um 7 Prozent geschrumpft ist, verzeichnen Führungskräfte einen eindrücklichen Anstieg von 38 Prozent. Jede 12. Erwerbsperson ist heute eine Führungskraft. Vor zehn Jahren war es noch jede 15. Und dies, obwohl die meisten Firmen sich dafür rühmen, ihre Hierarchien verflacht zu haben.

So hat Novartis im Herbst 2022 in der Schweiz den Abbau von 700 Stellen im Management bekanntgegeben. Ein etwas kleineres Entschlackungsprogramm hatte Roche bereits ein Jahr früher lanciert. Betroffen waren auch hier zu einem grossen Teil Kaderstellen wie Projektleitungen. Bemerkenswert ist dabei vor allem die Begründung von Roche: Mit dem Kaderabbau sollten Budgetprozesse und damit die Medikamentenentwicklung beschleunigt werden. So sollen sich Entscheidungen über die Kostenzusprache bei der Pharmaentwicklung im Konzern monatelang hingezogen haben, weil sie alle Hierarchiestufen durchlaufen mussten.

Für Facebook offenbar ein Kostenblock

Auch in Facebooks Mutterkonzern Meta ist die Situation des mittleren Managements ungemütlich: Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg sollen viele Kaderkräfte im Zuge der jüngsten Restrukturierung vor die Wahl gestellt worden sein, das Unternehmen entweder zu verlassen – oder sich wieder als einfache Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter operativen Aufgaben zu widmen.

Gleichwohl wäre es verkehrt, das Ende des mittleren Managements zu propagieren. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Bei der Erkenntnis von Parkinson, wonach jeder Angestellte danach strebt, die Zahl seiner Untergebenen zu vergrössern, handelt es sich offenbar um ein Naturgesetz.

«Es geht nicht ohne sie»

«Es geht nicht ohne sie», sagt hingegen Matthias Fifka, Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg. Führungskräfte der mittleren Hierarchiestufe hätten zu Unrecht einen schlechten Ruf, davon ist der Wissenschafter, der seit vielen Jahren die Rolle und die Befindlichkeit des mittleren Managements analysiert, überzeugt.

Das Topmanagement könne relevante Entscheidungen nur dann treffen, wenn es gute Informationen von unten habe. Das Middle Management sei nahe am Kunden, an Lieferanten oder an der Forschung dran, erläutert Fifka. Und es müsse schliesslich die grossen Entscheide umsetzen. «Wir wissen aus der Forschung, dass die meisten Strategien nicht scheitern, weil sie etwa schlecht wären. Strategien scheitern, weil sie nicht richtig umgesetzt und missverstanden werden», sagt der Wirtschaftsprofessor.

Das mittlere Management trägt damit eine grosse Verantwortung. Lange Zeit dominierte in den BWL-Lehrbüchern und in der Unternehmensberatung jedoch das Mantra des Lean Management. Das Konzept des schlanken Unternehmens propagierte unter anderem auch drastische Einschnitte im Management, um Verschwendung zu reduzieren und den Wert für den Kunden zu maximieren.

Das wichtigste Kapital überhaupt

In den vergangenen Jahren hat der Wind leicht gedreht: Jüngst wird in der Management-Literatur wieder vermehrt die zentrale Rolle des mittleren Kaders hervorgehoben: «Don’t Eliminate Your Middle Managers», so lautet beispielsweise der Titel eines kürzlich im Fachmagazin «Harvard Business Review» publizierten Artikels, der sich dezidiert für die unterschätzten Führungskräfte starkmacht.

Das mittlere Management, das Mitarbeitende einer Organisation rekrutiere sowie entwickle, sei das wichtigste Kapital überhaupt, um einen schnellen, komplexen Wandel zu bewältigen, davon sind die drei Autoren, allesamt McKinsey-Partner, überzeugt. Es liege an ihm, die Arbeit sinnvoller, interessanter und produktiver zu gestalten. Deshalb sei das mittlere Management für einen echten organisatorischen Wandel von entscheidender Bedeutung.

Selbstredend untermauern die McKinsey-Partner ihre These mit harten Fakten, nämlich Personaldaten von 1700 internationalen Unternehmen: Managerinnen und Manager, die bei der Entwicklung und Förderung ihrer Mitarbeitenden herausragende Leistungen erbrächten, erzielten eine hohe Rendite auf das investierte Kapital, bessere langfristige Finanzleistung als die Konkurrenz und ein nachhaltigeres Umsatzwachstum, so lautet ihr Fazit.

Versuche einer Rehabilitierung

Ähnliche Vorstösse zur Rehabilitierung des Middle Management finden sich auch im «Economist» («Das Potenzial und die Notlage des mittleren Managers») oder in der «Financial Times» («Was eine gute mittlere Führungskraft ausmacht»). Ein Grund für das erwachte Interesse dürfte mit der Corona-Krise zusammenhängen: Es war schliesslich das mittlere Management, das den Übergang der Belegschaft ins Home-Office koordinieren und sie auf digitale Arbeitsformen und Kommunikationskanäle einschwören musste. Auch bei den jüngsten Lieferkettenproblemen und Energieengpässen war sein Einsatz gefragt. Im Gegensatz zum Topmanagement kennt es das operative Geschäft, die Lieferanten und die firmeninternen Prozesse aus nächster Nähe.

Dies hat dem mittleren Management zu mehr Ansehen verholfen. Doch um einen grundlegenden Wandel handelt es sich nicht, wie Forschungsergebnisse von Fifka zeigen. Seine zum dritten Mal mit Unterstützung der Dr.-Jürgen-Meyer-Stiftung durchgeführte Erhebung vermittelt einen trüben Einblick, was deren Stellenwert, Rolle und Selbstbild anbelangt. Befragt wurden 300 Mitarbeitende des mittleren Kaders in international tätigen deutschen Unternehmen.

 

Die Bereichsleiterinnen und Teamleiter sehen sich zwischen den Hierarchieebenen gefangen, häufig zum Sündenbock gestempelt und vom Topmanagement unter Druck gesetzt. Rund 60 Prozent klagen über eine hohe oder sehr hohe Arbeitsbelastung. Diese Selbsteinschätzung, die grösstenteils auch auf das mittlere Management von Schweizer Konzernen zutreffen dürfte, hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert.

Im Konflikt mit den eigenen Wertvorstellungen

Bemerkenswert ist, dass 55 Prozent der befragten Führungskräfte laut eigenen Aussagen im beruflichen Kontext schon gegen ihre moralischen Wertvorstellungen handeln mussten. Als Hauptursache moralischer Konflikte nennen die Managerinnen und Manager den Umgang mit ihren Angestellten. Laut Fifka handelt es sich häufig um Arbeitszeit-Aspekte: Um die Vorgaben des obersten Kaders zu erfüllen, belastet das Middle Management beispielsweise seine Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die über das übliche Arbeitspensum hinausgehen. Ein Drittel der Befragten nennt allerdings auch Skandale und Regelverstösse als grosse Herausforderung, was darauf schliessen lässt, dass solche Verfehlungen in vielen Unternehmen nach wie vor üblich sind.

Rollenkonflikte, Leistungsdruck und moralische Dilemmata wirken sich auch auf den Gesundheitszustand aus. Studien zeigen, dass Personen im mittleren Management häufiger an Depressionen und Angstzuständen leiden als Personen an der Spitze oder am unteren Ende der Hierarchiestufe.

Soll das mittlere Management seine wichtige Funktion entfalten, braucht es mehr als ein Rebranding. In einer immer dynamischeren und komplexeren Umwelt dürfte seine Bedeutung weiter zunehmen. In Firmen und ihren Führungsetagen ist ein Umdenken beim Stellenwert des Middle Management angesagt.

Massnahmen zur Aufwertung des mittleren Managements

  • Stärkere Professionalisierung: Eines der grössten Probleme ist laut Fifka, dass das mittlere Management nicht auf seine Aufgabe vorbereitet wird. Bereits in universitären Lehrbüchern ist meist nur vom Topmanagement die Rede. Dabei ist offensichtlich, dass die wenigsten Absolventinnen und Absolventen es auf die höchste Führungsstufe schaffen werden. Aufgrund der sich verengenden Pyramide landen die meisten Kaderkräfte im mittleren Management. Umso wichtiger wäre es, zu vermitteln, dass es sich hierbei um ein erstrebenswertes Ziel handelt und dass es keine Schande ist, seine Karriere im mittleren Management zu beenden. Gerade bei der jüngeren Generation zeichnet sich hierbei ein deutlicher Wandel ab. Viele junge Manager wollen gar nicht mehr ins Topmanagement vorstossen.
  • Mehr Autonomie: Firmen sollten auch den Handlungs- und Entscheidungsspielraum ihres mittleren Managements deutlich vergrössern. Erst damit können die Führungskräfte eigenständig und innovativ tätig sein, was dem Unternehmen zugutekommt und die Motivation fördert. «Wenn ich als Topmanager versuche, alles hierarchisch zu steuern, verlängern sich nicht nur die Entscheidungswege», sagt Fifka. «Ich bin dann auch heillos überfordert.» Erweiterte Handlungskompetenzen sind ausserdem wirkungsvoll, um die (durch die Sandwich-Position verursachten) Rollenkonflikte zu reduzieren, da nicht mehr alle Entscheidungen von oben kommen.
  • Institutionalisierte Weiterbildungen, die den Führungskräften das nötige Rüstzeug vermitteln. Dabei sollte vor allem auch die Kompetenz, Menschen zu motivieren und zu führen, gestärkt werden. Noch immer werden viele Mitarbeiter aufgrund ihrer fachlichen Leistung in eine Führungsposition befördert. Führungskompetenzen sind hierbei oftmals zweitrangig.
  • Klare Aufgaben- und Verantwortungsbereiche helfen, den Leistungsdruck des mittleren Managements zu begrenzen. Es ermöglicht Führungskräften, ihre Kapazitäten und Ressourcen entsprechend einzusetzen, und zwingt sie nicht, Aufgaben zu erledigen, die möglicherweise von den eigentlichen Kernaufgaben ablenken.
  • Unternehmenskodex: Darin sind die wichtigsten Wertvorstellungen verankert. Das mittlere Management sollte massgeblich an seiner Ausgestaltung beteiligt sein, um sich damit zu identifizieren. Ebenso grundlegend ist, dass das Topmanagement seine Vorbildfunktion wahrnimmt und die Unternehmenswerte vorlebt. Ein offener Dialog über Hierarchiestufen hinweg ermöglicht, dass Bedenken der Mitarbeiter bis zum Topmanagement durchdringen.

Nicole Rütti, «Neue Zürcher Zeitung»

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