Generation 50 plus: von der Altlast zur strategischen Reserve Gut ausgebildete Fachkräfte werden auf dem Arbeitsmarkt knapper. Um die Reserve der Generation 50 plus besser auszuschöpfen, erproben Unternehmen flexible Arbeitsmodelle. Künftig werden sie aber noch stärker umdenken müssen.

Gut ausgebildete Fachkräfte werden auf dem Arbeitsmarkt knapper. Um die Reserve der Generation 50 plus besser auszuschöpfen, erproben Unternehmen flexible Arbeitsmodelle. Künftig werden sie aber noch stärker umdenken müssen.

 

Vier unterschiedliche Generationen treffen heute auf dem Arbeitsmarkt zusammen: Babyboomer, Generation X, Millennials und Generation Z. (Bild: unsplash.com)

30 Prozent der Arbeitnehmenden in der Schweiz sind heute 50 Jahre und älter. Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer werden den Arbeitsmarkt bis 2029 verlassen. In vielen Nachbarländern ist die Lage mit einer guten Konjunktur, geringer Arbeitslosigkeit und demselben demografischen Wandel ähnlich wie in der Schweiz. Daher wird es trotz Digitalisierung und Offshoring nicht unbedingt einfacher, die Lücken mit ausländischen Arbeitskräften zu füllen.

Negative Wahrnehmung ändern

Als grösste Reserve gelten in dieser Situation neben Frauen ältere Arbeitskräfte. Sie sind gut ausgebildet, haben eine hohe tertiäre Bildungsrate, viel Know-how und Erfahrung. Am Arbeitsmarkt kämpfen sie dennoch zum Teil mit einer negativen Wahrnehmung. Viele Arbeitgeber zögern mit Neuanstellungen von älteren Mitarbeitenden.

Das Potenzial der über 50-Jährigen werde am Arbeitsmarkt unterschätzt, meint Hans Rupli, Präsident der Plattform Focus 50 plus, die unlängst unter dem Patronat des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes lanciert wurde. Um Abhilfe zu schaffen, drängt er auf eine Flexibilisierung der Arbeitsmodelle. Viele Menschen wollten und könnten auch im zweiten Teil ihrer Karriere sehr viel leisten, anderen werde die konstante Anstrengung zu viel. Wichtig sei es, in den Gesamtarbeitsverträgen individuelle Lösungen zu finden.

In Branchen, die stark von der Digitalisierung geprägt seien, müssten die Mitarbeitenden die richtigen Kompetenzen haben, um auf dem Arbeitsmarkt punkten zu können. In anderen Branchen geht es gemäss Rupli in den Jahren vor der Pensionierung hingegen darum, die körperliche Belastung zu reduzieren. Wenn das gewährleistet sei, würde zum Teil auch weniger Lohn akzeptiert, einfach weil die Bedingungen wieder den Vorstellungen der Menschen entsprächen.

Bogenkarrieren erlauben Flexibilität

Ein Unternehmen, das aktiv neue Wege verfolgt, ist Ypsomed. Die Medizinaltechnikfirma aus Burgdorf experimentiert seit einiger Zeit mit sogenannten Wellenlaufbahnen und Bogenkarrieren. Letztere verlaufen nicht bis zum Schluss nach oben, sondern erlauben einen sanfteren Übergang in die Pensionierung. So habe etwa der ehemalige Entwicklungschef von Ypsomed in den Jahren vor der Pensionierung seine Führungsfunktionen abgegeben und sich auf operative Tätigkeiten konzentriert, sagt der Ypsomed-Personalleiter Michael Zaugg. Damit sei er in der Firma hochangesehen geblieben, habe gleichzeitig aber seine verschiedenen Lebensbereiche besser vereinbaren können.

Die Akzeptanz von solchen Bogenkarrieren ist allerdings nicht selbstverständlich. Auch bei Ypsomed gebe es im Management viele Leute, die eine Karriere hauptsächlich als eine permanente Aufwärtsbewegung sähen, so Zaugg. Wenn man so denke, sei man aber sehr eingeschränkt. Weil ein Bogen als Statusverlust empfunden werden kann und nicht dem gewohnten klassischen Pfad entspricht, muss gemäss Zaugg auch betriebsintern immer wieder aufgezeigt werden, dass ein solcher Verlauf völlig okay sei.

Schliesslich geht eine Bogenkarriere häufig Hand in Hand mit einem flexiblen Altersrücktritt. Bei Ypsomed etwa können Mitarbeitende ihr Pensum schrittweise zurückfahren und sich wahlweise zwischen 60 und 70 Jahren pensionieren lassen. Sinnvoll ist dabei sicher, dass auch eine Beschäftigung über das ordentliche Rentenalter hinaus möglich ist.

Bei Novartis funktioniert das Weiterarbeiten dank Bogenkarrieren. Mit der stärkeren Flexibilisierung der Arbeit, so Thomas Bösch, Personalchef Schweiz, würden mehr Mitarbeitende länger bleiben. Während Leute früher mit 60 Jahren gegangen seien, blieben sie heute bis 63 oder 64 Jahre. Bösch verweist darauf, dass der Basler Pharmakonzern eine Geschichte der Frühpensionierungen habe. Mit den hohen Löhnen hätten sich viele Mitarbeitende eine solche leisten können. Diese seien oft als Teil des Karrierekonzeptes angesehen worden. In solchen Situationen kann eine Flexibilisierung der Arbeitszeitmodelle dazu beitragen, Mitarbeitende länger an Bord zu halten.

Migros betreibt Generationenmanagement

Diese Überlegung ist auch bei der Migros ein Thema. Bei dem Detailhändler werden zwei Drittel der Arbeitnehmenden frühpensioniert, und zwar im Durchschnitt zwei Jahre vor dem offiziellen Pensionsalter. Zurzeit sucht die Migros nach Lösungen, um Mitarbeitende zu motivieren, länger zu bleiben.

Dazu zählt ein bewusstes Generationenmanagement. Massnahmen seien eine frühzeitige Laufbahn- und Entwicklungsplanung, eine Analyse der individuellen Arbeitsmarktfähigkeit, Teilzeitangebote, Bogenkarrieren, Projektleitungs- und Fachkräftepools, erklärt der Personalchef Reto Paolini. Auch das Arbeiten über das Pensionsalter hinaus ist möglich.

Es liegt in der Natur der Sache, dass viele Massnahmen der Unternehmen auf die bereits angestellten Mitarbeitenden ausgerichtet sind. Wichtig wäre aber, dass auch späte Stellenwechsel einfacher würden. Relativ offen scheint Novartis bei der Einstellung älterer Mitarbeitender zu sein: Immerhin 10 Prozent der neu angestellten Mitarbeitenden sind 50-jährig und älter. Vor einigen Jahren hätte er noch gesagt, dass Erfahrung nicht mehr viel zähle, kommentiert Bösch. Heute sei das wieder anders.

Personalentwicklung in Dreiecksform

In der Personalentwicklung experimentiert Novartis noch mit weiteren Modellen. So gab es für den Aufbau bestimmter neuer Krebstherapieformen keine Fachkräfte. Der Pharmakonzern musste diese selbst ausbilden. Um Know-how und Erfahrung im Unternehmen zu halten, setzte Novartis auch auf sogenannte Dreiecksentwicklungen. Leute, die in der pharmazeutischen Produktion gearbeitet hatten, wurden für neue Tätigkeiten geschult. An ihre Stellen nachgezogen wurden Mitarbeitende, die vorher in der traditionellen Chemie gearbeitet hatten. Mit diesem Vorgehen hätten die Mitarbeitenden keine riesigen Entwicklungsschritte machen müssen, sondern nur angemessene. Dadurch seien der Firma mehrere hundert Mitarbeiter erhalten geblieben.

Die Sicherung von Arbeitsplätzen speziell für ältere Mitarbeiter ist auch bei den Banken, bei denen die Digitalisierung eine grosse Rolle spielt, ein wichtiges Thema. Bei der UBS bleiben Mitarbeitende über 50, die ihre Stelle verlieren, bis zu einem Jahr weiter angestellt und haben dadurch länger Zeit für die Stellensuche. Mitarbeitende zwischen 55 und 59 Jahren stünden unter besonderem Schutz, heisst es. Ihnen würde nur in Ausnahmefällen gekündet, beispielsweise wenn eine ganze Einheit abgebaut werde. Mitarbeitenden ab 58 Jahren zahlt die UBS im Fall einer Kündigung eine Abfindung. Das hört sich wie eine runde Sache an. Ein Mitarbeiter der UBS kommentierte allerdings, dass sich der Druck nun einfach nach vorn verlagere: Weil das sogenannte Schutzalter erst mit 55 Jahren beginne, fürchteten nun viele Leute zwischen 50 und 55 Jahren eine Kündigung.

Mehr Offenheit und Experimentierfreude sind gefragt

Je älter die Bevölkerung insgesamt wird, desto mehr werden die Unternehmen darüber nachdenken müssen, wie sie das Potenzial der älteren Arbeitskräfte besser ausschöpfen könnten und wie die unterschiedlichen Generationen sinnvoll zusammenarbeiten könnten. Aus gesellschaftlicher Sicht erfordert die steigende Lebenserwartung, dass auch die Altersgrenze am Arbeitsmarkt höher zu liegen kommt. Viele heutige Massnahmen zielen stattdessen auf eine Entlastung in den Jahren vor der ordentlichen Pensionierung ab. Unternehmen wie ABB, Deloitte, Swisscom und auch Novartis haben zwar beispielsweise Pools von ehemaligen Mitarbeitenden, die bei Bedarf für einzelne Projekte angefragt werden. Insgesamt scheinen die Ansätze hier aber nicht zuletzt wegen mangelnder finanzieller Anreize noch dünn gesät. Politik und Wirtschaft werden weiter umdenken und experimentierfreudiger werden müssen.

Christin Severin, «Neue Zürcher Zeitung»

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