Generationenkonflikt in der Hotellerie: Bei Traktandum 8 stürmen die Jungen die Bühne Im Gastgewerbe brodelt es. Das zeigt sich an einer Veranstaltung von Bündner Hoteliers. Die Generation Z wehrt sich gegen den Vorwurf der Verweichlichung und fordert neue Arbeitsbedingungen.
Im Gastgewerbe brodelt es. Das zeigt sich an einer Veranstaltung von Bündner Hoteliers. Die Generation Z wehrt sich gegen den Vorwurf der Verweichlichung und fordert neue Arbeitsbedingungen.
26. Januar, Delegiertenversammlung der Bündner Hoteliers. 180 Gäste sitzen im Kongresszentrum in Pontresina. Ernst Wyrsch, Präsident des Verbandes und ehemaliger Direktor des Davoser Hotels «Belvédère», kommt zu Traktandum 8, «Varia». Plötzlich erheben sich fünf Personen aus dem Publikum und schreiten zur Bühne.
Einer von ihnen ist Jamie Rizzi, stellvertretender Gastgeber im Hotel «Schweizerhof» in Lenzerheide und Teil des Netzwerks der jungen Bündner Touristiker. Im Vorfeld der Veranstaltung ist ihm ein Auftritt verwehrt worden. Der 29-Jährige schnappt sich das Mikrofon und sagt: «Wenn man uns keine Plattform gibt, schaffen wir sie uns selber.»
Er schaut direkt zum 62-jährigen Wyrsch, der vor kurzem in der Zeitung «Südostschweiz» die junge Generation in der Tourismusbranche kritisiert hatte: «Die heutige Jugend ist verweichlicht», sagte er der Regionalzeitung. Diese gebe zu schnell auf, sei rasch genervt, empfindlich und kränklich.
Rizzi und seine vier Mitstreiter dementieren dies. Mit der Aktion in Pontresina wollen sie ihre Generation «ins rechte Licht rücken». Sie würden stellvertretend für viele junge, engagierte Persönlichkeiten in der Branche stehen.
Das Netzwerk fordert flexiblere Arbeitszeiten, flachere Hierarchien, mehr Wertschätzung der Mitarbeiter und eine stärkere Berücksichtigung der Work-Life-Balance fürs Gastgewerbe. Die Jungen sehen durch die Aussage von Wyrsch einen Imageschaden für die Branche. Und ein verheerendes Signal an die Generation Z (Personen unter 30 Jahren), die zukünftigen Führungskräfte der Branche.
Corona als Katalysator
Der Eklat an der Delegiertenversammlung in Graubünden ist Symptom eines Generationenkonflikts, der sich in der Hotellerie auftut. Junge Angestellte und Hoteliers stören sich an den Arbeitsbedingungen in der Hotelbranche.
In der Hotellerie wird frühmorgens, spätabends, an Wochenenden und an Feiertagen gearbeitet. Die Löhne sind tief, die Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt. Die Jungen fordern deshalb einen Wandel.
Auf der andern Seite des Konflikts stehen ältere Hoteliers, die solche Forderungen als symptomatisch für eine Verweichlichung der jungen Generation sehen. Wyrsch sagt: «Die Jungen sind heute weniger bereit, Widerstände zu überwinden.»
Es scheint aber, dass sich die jüngere Generation mit ihren Forderungen durchsetzen kann. Die Corona-Pandemie hat dabei als Katalysator gewirkt.
Jede zehnte Stelle unbesetzt
Während der Pandemie verliessen viele junge Arbeitnehmer die Branche. Als wieder mehr Gäste im Hotel übernachteten, kehrten sie zögerlich zurück. Einige gar nicht. Bald fehlte es an allen Ecken und Enden an Personal. Zu Beginn der diesjährigen Wintersaison war jede zehnte Stelle im Gastgewerbe unbesetzt, ein Jahr zuvor sogar jede siebte.
Um wieder genug Arbeitskräfte zu gewinnen, haben Hoteliers Schritte unternommen. Einige geben ihren Angestellten zwei Tage frei am Stück, andere schaffen die Zimmerstunde ab, und Dritte locken potenzielle Arbeitskräfte mit Gratisübernachtungen ins Haus (siehe Kasten).
Auch die Löhne im Gastgewerbe sollen stärker ansteigen als in anderen Branchen. Laut einer Umfrage der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich von August im vergangenen Jahr erwarten die Betriebe innert eines Jahres eine durchschnittliche Lohnerhöhung von 3,8 Prozent. Damit wäre das Gastgewerbe die einzige Branche, in der der Reallohn steigt.
Wie holt man die Jungen in die Hotellerie?
Ein weiterer Weg, um genügend Fachkräfte zu rekrutieren, ist die Ausbildung. Doch in diesem Bereich harzt es. Alle von der NZZ angefragten Hoteliers sagen, sie hätten grosse Mühe, die ausgeschriebenen Lehrstellen zu besetzen. Am schwierigsten sei es, Lernende für Küche und Service zu finden. Für Lehrbeginn Herbst sind aktuell insgesamt 2924 Lehrstellen im Gastgewerbe ausgeschrieben.
Nicht nur ist es schwieriger, Lernende zu finden, es ist auch schwieriger, sie zu halten. Hotelier Wyrsch sieht dies als Beleg für die mangelnde Widerstandsfähigkeit der Jungen.
Tatsächlich werden im Gastgewerbe auffällig viele Lehren abgebrochen. Von den Lernenden, die 2018 oder später eine Lehre angefangen haben, gaben 38 Prozent die Ausbildung auf. Nur im Friseurgewerbe und in der Schönheitspflege werden mehr Lehrverträge aufgelöst. Über alle Branchen betrachtet, sind es rund ein Viertel aller Lernenden, welche die Lehre vorzeitig beenden.
Ein Grund für die überdurchschnittlich hohe Abbruchquote im Gastgewerbe könnte der hohe Ausländeranteil in der Branche sein. Laut Branchenkennern ist es für Schweizer Lernende schwierig, sich im Team zu integrieren, wenn im Hotel mehr portugiesisch als schweizerdeutsch gesprochen wird.
Der Anteil Schweizer im Gastgewerbe ist seit den 1990er Jahren stark gesunken. Waren 1996 noch drei Viertel der Angestellten Schweizer, war es 2022 nur noch die Hälfte. Damit ist der Ausländeranteil im Gastgewerbe mittlerweile fast doppelt so hoch wie in anderen Branchen.
Je nach Region ist das Verhältnis zwischen Schweizer und Ausländern im Gastgewerbe noch extremer. In Grenzregionen, wie dem Engadin, gibt es Hotels, bei denen 90 Prozent der Belegschaft aus dem Ausland stammen. An dieser Realität dürfte sich so schnell wenig ändern.
Bessere Vereinbarkeit
Martin von Moos, Präsident von Hotelleriesuisse, sieht deshalb den grössten Hebel bei den Arbeitsbedingungen: Die Ansicht, dass die Jungen verweichlicht seien und deshalb nicht mehr für die Hotelbranche taugten, teilt er nicht. Die Jungen hätten schlicht andere Wertvorstellungen. Darauf müsse sich die Branche einstellen.
Gefragt seien neue Berufsbilder nach dem Vorbild der Hotelkommunikationsfachfrau. Ähnlich einer Hotelfachschule erhalten Lernende der Hotelkommunikation in alle Bereiche eines Hotelbetriebs Einsicht. Diese Stellen seien einfacher zu besetzen, weil sie den Anliegen der Generation Z entsprechen würden.
Von Moos will aber mehr. Kürzlich gab er in einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung» bekannt, dass er den Gesamtarbeitsvertrag im Gastgewerbe neu verhandeln möchte. Hin zu flexibleren Arbeitszeiten und einer besseren Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf. Bis dahin ist es ein weiter Weg: Gastrosuisse, der Dachverband der Schweizer Gastronomie, sträubt sich zurzeit gegen diese Vorschläge.
Hoteliers loben «Bühnenstürmer»
Zurück ins Kongresszentrum in Pontresina. Kurz nach Ende der Delegiertenversammlung sagen erstaunlich viele Hoteliers, dass ihnen der Auftritt von Rizzi und den anderen Vertretern des Netzwerks der jungen Bündner Touristiker gefallen habe.
Manche Hoteliers sagen auch, dass die Aussagen Wyrschs den Anliegen der Hotellerie mehr geschadet als geholfen hätten. Beim anschliessenden Apéro im Hotel «Saratz» klopfen sie Rizzi auf die Schulter und sagen zu ihm: «Das hast du gut gemacht, Jamie.»
Wyrsch ist ein Hotelier alter Schule. Auf die Frage, warum er den Jungen keine Plattform gegeben habe, obwohl diese tatsächlich angefragt hatten, sagt er: «Ich lasse mir das Programm nicht von den Jungen diktieren.»
Genau dort liege der Hund begraben: Man würde den Jungen jeden Wunsch von den Lippen ablesen, sagt Wyrsch. Da mache er nicht mit. Mit seinen Aussagen habe er das erreicht, was er wollte. «Es ist wunderbar, wenn man sich unter den Generationen reibt. So entstehen Lösungen.»
Andri Nay, «Neue Zürcher Zeitung»
Vier Hotels, vier Massnahmen gegen Personalmangel
Der Fachkräftemangel macht die Schweizer Hotelbranche innovativ. Das zeigt sich an folgenden vier Beispielen.
1. Keine Zimmerstunde im Hotel «Belvoir» in Rüschlikon
Im Hotel «Belvoir» am linken Zürcher Seeufer arbeiteten nur diejenigen im Zimmerstunden-Modell, die es wünschten, sagt Geschäftsführer Martin von Moos. Die Zimmerstunde ist das klassische Arbeitsmodell in der Hotellerie. Am Morgen steht man früh auf, arbeitet bis Mittag, danach hat man bis am späten Nachmittag frei, um wieder bis in die Nacht hinein zu arbeiten. Dieses Modell sei gerade bei Jungen immer weniger gefragt, sagt von Moos. Darum hat sich das Hotel «Belvoir» davon verabschiedet. Es würden nur noch diejenigen im Zimmerstunden-Modell arbeiten, die es explizit wünschen.
2. Zwei Tage «Wochenende» im Sporthotel «Pontresina»
Im 3-Sterne-Sporthotel «Pontresina» wurde in der Pandemie sonntags das Restaurant «Sportstübli» geschlossen, weil die Auslastung zu wenig hoch war. Heute wäre die Auslastung wieder gut, aber das «Sportstübli» bleibt sonntags weiterhin geschlossen, wie Hoteldirektor Alexander Pampel sagt. Der Grund: Mit dem Ruhetag könne das Personal zwei Tage am Stück «Wochenende» geniessen: die eine Hälfte Samstag/Sonntag, die andere Hälfte Sonntag/Montag.
3. Vom Flugzeug ins «Badrutt’s Palace» in St. Moritz
Regula Peter, HR-Direktorin des 5-Sterne-Hotels «Badrutt’s Palace» in St. Moritz, hat einen schwierigen Job. Sie muss jedes Jahr 620 Stellen im Grossbetrieb besetzt haben. Sie sagt, dass das Hotel für die laufende Wintersaison erstmals eine Kooperation mit der Fluggesellschaft Swiss eingegangen sei. So arbeiten momentan drei Flugbegleiter im «Badrutt’s». Dafür wechseln im Sommer, wenn das «Badrutt’s» weniger ausgelastet ist, einige Hotelangestellte zur Swiss.
4. Gratisübernachtung auf dem Pilatus
Um genügend Bewerbungen zu erhalten, lädt Thomas Koller, Leiter Gastronomie und Hotellerie auf dem Pilatus, die Bewerberinnen und Bewerber im März zu den «Pilatus Job Days» ein. Das Konzept wird in diesem Jahr zum ersten Mal durchgeführt. Den Bewerbern wird der Betrieb gezeigt, es gibt Kaffee und Kuchen, Apéro und Nachtessen. Als Zückerchen dürfen sie im Berghotel «Kulm» übernachten. Koller erhofft sich damit, alle 50 zusätzlich für den Sommer benötigten Stellen besetzen zu können.