Genug der einsamen Heimarbeit vor dem Bildschirm – kommt aus euren Höhlen! Grosse Firmen rufen ihre Angestellten zurück ins Büro. Das ist richtig so. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen und schafft vor allem als solches Mehrwert – für sich und für die Firma.

Grosse Firmen rufen ihre Angestellten zurück ins Büro. Das ist richtig so. Denn der Mensch ist ein soziales Wesen und schafft vor allem als solches Mehrwert – für sich und für die Firma.

Wir Menschen sind soziale Wesen und nicht gemacht fürs ewige Daheimsein in denselben Wänden, mit denselben Menschen. (Bild: Grovemade auf Unsplash)

Vielleicht ist es Zeit für ein Geständnis: Ich liebe das Büro. Ich liebe es so sehr, dass ich mich nach einer Woche Lockdown in selbiges schlich, vorbei an den Kulissen des Kapitalismus in der Geisterstadt Zürich. Die Arbeitgeberin hatte, ganz liberal, ein solches Verhalten weder verboten noch gebilligt. Im Büro traf ich ein paar andere verlorene Seelen, die ihresgleichen suchten. Dann bat das versammelte Kulturressort um eine Begegnung, einen Spaziergang, einen gemeinsamen Kaffee auf Abstand, wenigstens Sichtkontakt. Wir trafen uns, obwohl es verboten war, sich in Gruppen von mehr als fünf Personen zu bewegen. Wir hatten es einfach nicht mehr ausgehalten.

Wir Menschen sind soziale Wesen und nicht gemacht fürs ewige Daheimsein in denselben Wänden, mit denselben Menschen. Wir müssen raus. Es gibt einige, die behaupten, genau diese Rastlosigkeit sei die Ursache für alles Unglück, in das sich die Menschheit fortwährend stürzt. Aber das ist ein anderes Thema.

Nun haben auch die Firmen begriffen, was sie mit der Förderung der Heimarbeit, mit dieser Verbannung vor den Bildschirm angerichtet haben. Der Industriekonzern Sulzer hat gerade ziemlich abrupt die Möglichkeit beendet, zwei Tage pro Woche zu Hause, also «remote», zu arbeiten. Bei Amazon, einem der grössten Arbeitgeber der Welt, müssen die Angestellten bald wieder fünf Tage pro Woche ins Büro kommen. Das gemeinsame Arbeiten sei effizienter und schweisse die Teams mehr zusammen, verkündete der Konzernchef Andy Jassy kürzlich in einer E-Mail an die Mitarbeiter. Sogar Zoom, der Anbieter von Software für Videokonferenzen, dessen Gewinne während Corona in astronomische Höhen schnellten, ruft seine Leute wieder zur Vernunft, also ins Büro.

Es hat lange, zu lange, gedauert, bis die hiesigen Firmen ihren Irrtum korrigiert haben. Vor Corona – das zeigt eine Studie der Universität St. Gallen – boten bloss 35 Prozent der Schweizer Unternehmen die zeitweilige Heimarbeit an. Nach der Pandemie waren es 77 Prozent. Die Arbeitgeber dachten wohl, sie könnten damit Büroflächen und Reisespesen sparen – und merkten nicht, dass ihre Angestellten zu Hause vereinsamen, viel weniger arbeiten und viel weniger kreativ sind. Es sind nur wenige gebenedeit, Ideen allein zu entwickeln. Die Videokonferenz ist dabei höchstens eine Krücke. Es geht eine Magie von einem persönlichen Treffen, vom Austausch, vom Miteinander aus – die sich auch ökonomisch auszahlt. Eine berufliche Existenz vor dem Bildschirm ist nur die Simulierung einer Gesellschaft. Sie schadet den Firmen und uns allen.

Wir Angestellten aber wussten immer, dass diese Heimarbeit vom Prinzip her falsch war – und eigentlich, mit einigen Ausnahmen, nach der Pandemie so schnell wie möglich verboten gehört hätte. Trotzdem haben sich viele gefreut, einmal anderes tun zu können, als wirklich zu arbeiten. Einige fanden Genugtuung darin, an der Sitzung vor dem Bildschirm eine Krawatte zu tragen und unter dem Tisch nur eine Unterhose. Nicht nur die Gesellschaft, auch die Rebellion am Arbeitsplatz wurde am Bildschirm bloss simuliert.

Bis heute tragen wir als Gesellschaft schwer an den Folgen der Jahre im Home-Office. Nicht wenige haben psychische Schäden davongetragen von diesem Entzug der Mitmenschen, darunter überproportional viele Junge. Und gleichzeitig wurden Unmengen an Umsatz vernichtet. Die Ideen wurden Mangelware, weil sich zu viele vor allem um ihre Freizeit und weniger um die Zukunft ihres Unternehmens kümmerten. Die sogenannten Pipelines, der Fluss neuer Produkte und Projekte, versiegten. Man lebte von der Substanz.

Nun gibt es viele, die es bedauern, wieder ins Büro kommen zu müssen. Weniger kontrolliert werden zu wollen, ist einer der naheliegendsten Gründe dafür. Auch wenn wohl nur wenige einen Chef haben wie den, der diese Woche von sich reden machte, weil er sich das Recht erstritt, sein Personal für die Pinkelpause ausstempeln zu lassen. Andere fanden es wohl schön, sich einmal richtig um die Familie oder um sich selbst kümmern zu können. Diese Menschen soll man nicht ächten, auch wenn sich nur die wenigsten einen Gefallen tun mit einer solchen sozialen Isolation.

Denn hinter dieser Lust, zu Hause zu bleiben, könnte sich eine viel grössere Frage verstecken. Rund ein Viertel aller Arbeitnehmer in der westlichen Welt findet laut Umfragen, ihre Arbeit habe keinerlei gesellschaftlichen Wert. Ob sie sie verrichten oder nicht, das mache gar keinen Unterschied (am wenigsten glauben übrigens Marketingleute an ihr Tun). Es muss der Wirtschaft gelingen, jeder Arbeit einen Sinn zu verleihen. Dann werden die Menschen auch wieder gerne ins Büro kommen.

Peer Teuwsen, «NZZ am Sonntag»

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