Im Winter zum Arbeiten in den Süden – ist das überhaupt erlaubt? Was Mitarbeiter und Arbeitgeber beachten müssen Arbeiten auf Bali, in Mexiko oder Spanien ist beliebt. Doch das digitale Nomadentum birgt einige rechtliche Risiken – von Steuerzahlungen bis zur Abschiebehaft.
Arbeiten auf Bali, in Mexiko oder Spanien ist beliebt. Doch das digitale Nomadentum birgt einige rechtliche Risiken – von Steuerzahlungen bis zur Abschiebehaft.
Nicht viele Menschen in Finns Firma wissen, dass er mittlerweile einen grossen Teil des Jahres von Spanien aus arbeitet. Wie er jüngst der «Süddeutschen Zeitung» erzählte, muss er deswegen in Meetings oft darauf achten, dass man über die Webcam nicht das schöne Wetter vor seinem Fenster sieht. Zwar dürfte Finn laut Firmenreglement 180 Tage im Jahr im EU-Ausland arbeiten – der bürokratische Aufwand ist ihm aber zu hoch. Hinzu kommt die Sorge, in Spanien Steuern zahlen zu müssen.
So wie Finn, glaubt Isabelle Wildhaber, machten es wohl einige Arbeitnehmer. «Viele Unternehmen agieren nach dem Motto ‹don’t ask, don’t tell›. Der Auslandsaufenthalt ist vielleicht unter der Hand mit dem Teamleiter abgesprochen, nicht aber mit der Personalabteilung.»
Wildhaber ist Jus-Professorin an der Universität St. Gallen und Gründerin des Startups Vamoz, das Unternehmen bei der rechtlichen Umsetzung von Remote Work im Ausland unterstützt. Sie sagt: «Die juristischen Risiken, die das Arbeiten im Ausland mit sich bringt, können Arbeitgeber auch dann treffen, wenn sie so tun, als hätten sie nichts mitbekommen.»
Probleme mit Steuern und Sozialversicherung
So besteht etwa die Gefahr, versehentlich eine Betriebsstätte zu gründen, was steuerrechtliche Konsequenzen für den Arbeitgeber hätte. Ebenso können Arbeitnehmer Probleme bekommen: Wenn sie zu lange im Ausland bleiben, werden sie dort steuer- oder sozialversicherungspflichtig und fliegen aus dem schweizerischen Versicherungssystem.
Welche Regelungen in welchem Fall gelten, ist von Land zu Land verschieden. Die Komplexität des Themas ist ein Grund, weshalb viele Unternehmen das Arbeiten im Ausland nicht gestatten – aus Angst, in eine rechtliche Falle zu tappen.
Das kann dann dazu führen, dass Mitarbeiter heimlich ins Ausland verschwinden. «Oftmals kommt erst ans Tageslicht, dass jemand im Ausland ist, wenn Probleme auftauchen», erzählt Gordana Muggler, die Verantwortliche für Global Mobility-Services beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen Mazars. Während der Corona-Pandemie hätten gerade in internationalen Unternehmen einige Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz ins Ausland verlegt. «Wenn das Unternehmen dann hinterher die Möglichkeiten zum Home-Office wieder einschränken möchte, kommt heraus, dass manche gar nicht mehr in der Schweiz sind.»
Auch die Berichterstattung in den Medien hat laut Muggler dazu beigetragen, dass Mitarbeiter unbedarft ins Ausland verschwinden. «Man liest ständig, es sei alles möglich, und heutzutage könne man von überall aus arbeiten. Aber das ist nicht seriös.»
Muggler und Wildhaber definieren im Wesentlichen fünf Bereiche, die beim Arbeiten im Ausland berücksichtigt werden müssen:
Immigration und Visa
Beim Visum sind die länderspezifischen Unterschiede gross. Als besonders rigides Beispiel gilt das bei digitalen Nomaden beliebte Thailand: Wer dort ohne Arbeitsvisum arbeitet und bei einer Kontrolle auffliegt, kann sogar in der Abschiebehaft landen. Wildhaber rät, stets abzuklären, ob für Remote Work ein Touristenvisum ausreicht, oder ob ein Arbeitsvisum nötig ist. Einige Länder, darunter Brasilien, Malaysia und die Vereinigten Arabischen Emirate, bieten auch spezielle Visa für digitale Nomaden an.
Aufgrund des Freizügigkeitsabkommens können Personen mit Schweizer oder mit EU-Staatsbürgerschaft bis zu 90 Tage im EU-Ausland arbeiten. Dennoch gibt es auch hier teilweise länderspezifische Regelungen. Für Grenzgänger, die etwa in Italien oder Frankreich leben und dort im Home-Office arbeiten wollen, gibt es seit einiger Zeit gesonderte Regelungen.
«Meine Faustregel ist es, bei jedem Aufenthalt, der länger als einen Monat dauert, genauer hinzuschauen», erklärt Muggler. Dabei spiele auch eine Rolle, woher der Mitarbeiter selbst komme. «Wenn jemand mit einer Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz ist, muss man prüfen, wie lange sich diese Person im Ausland aufhalten darf, ohne die Bewilligung zu verlieren.»
Steuerrecht und Betriebsstätten-Risiko
Wenn man im Ausland eine Betriebsstätte gründet, muss der Arbeitgeber dort Unternehmenssteuern zahlen. Neben den zusätzlichen Kosten bedeutet das einen erheblichen administrativen Aufwand.
«Jedes Land hat seine eigenen Regeln, ab wann etwas eine Betriebsstätte ist», sagt Wildhaber. Sie hat aber einige Tipps, wie man das Risiko minimieren kann: Man sollte möglichst keine Sales- und Marketingaktivitäten im Gastland betreiben, keine Verträge unterschreiben, die Adresse des Büros in Mails nicht angeben und keine Meetings mit lokalen Unternehmen und Behörden abhalten. Eine wichtige Faustregel sei oft auch, nicht länger als sechs Monate zu bleiben.
Die Arbeitnehmer wollen im Gastland natürlich auch keine zusätzlichen Steuern entrichten müssen. Hier gilt es zu prüfen, ab wann man steuerpflichtig wird. Oft sind das 183 Tage, also ein halbes Jahr. Doch auch bei kürzeren Aufenthalten können Steuern fällig werden: Muggler nennt beispielhaft den Fall eines Schweizer Arbeitnehmers, der während einiger Monate ein Projekt in Portugal betreuen sollte und seine Familie mitnehmen wollte. Das lokale Finanzamt erklärte, die Familie würde so ihren Lebensmittelpunkt nach Portugal verlegen und dort steuerpflichtig werden. «Die Kosten und Risiken waren dem Arbeitgeber zu hoch und es musste eine andere Lösung gefunden werden.»
Sozialversicherungsrecht
Wer im Ausland arbeiten will, sollte sicherstellen, dass er weiterhin dem Schweizer Sozialversicherungsrecht untersteht. Sonst besteht die Gefahr, dass medizinische Kosten nicht übernommen werden oder dass man im Zielland Sozialversicherungsbeiträge entrichten muss.
Rechtlich entspricht Remote Work im Ausland einer Entsendung durch den Arbeitgeber. Mit einem A1-Formular, das die Entsendung nachweist, können Arbeitnehmer aus der Schweiz in den EU- und Efta-Staaten bis zu 24 Monate lang arbeiten. Ähnlich einfach verhält es sich bei Ländern, mit denen die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, wie etwa Brasilien, Kanada und Australien.
Bei Ländern, die keine Vertragsstaaten sind, etwa Bolivien, Ägypten oder Indien, muss man hingegen genaue Abklärungen vornehmen. Auch wenn nichts passiert, können bei einer Kontrolle Bussgelder drohen. Für die Behörden einiger Länder sei es inzwischen zu einem Businessmodell geworden, Kontrollen bei Remote Workern und Geschäftsreisenden durchzuführen, um Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einzutreiben, glaubt Muggler.
Datenschutz und Datensicherheit
Auch das Thema Datenschutz gilt es beim Arbeiten aus dem Ausland zu bedenken. Grundsätzlich bleibt der Arbeitgeber verantwortlich für den datenschutzkonformen Umgang mit Kunden- und Mitarbeiterdaten. «Viele Unternehmen, die Remote Work anbieten, schliessen aus diesem Grund Länder wie zum Beispiel China aus», sagt Wildhaber. Dort sei die Sicherheit von Daten schlicht nicht gewährleistet.
Internationales Arbeitsrecht
Der Schutz des Arbeitsrechts ist territorial geregelt. Das heisst: Wer im Ausland arbeitet, für den gelten die dortigen Regelungen. In einer Gerichtsstandsklausel kann der Arbeitgeber jedoch festlegen, dass sich der Gerichtsstand in der Schweiz befindet, um Schweizer Arbeitsrecht durchzusetzen.
Muggler empfiehlt darüber hinaus ein Regelwerk, das festlegt, wie die Zusammenarbeit mit dem entsendeten Arbeitnehmer ablaufen soll. «Darin sollte festgehalten sein, wie der Prozess für einen Antrag abläuft, wann die Mitarbeiter erreichbar sein sollen und wie das Arbeitsrecht eingehalten wird.» Arbeitgeber hätten schliesslich eine Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Mitarbeitern und müssten gewährleisten, dass diese auch im Ausland gut arbeiten könnten.
Personalabteilungen sind überfordert
Klar ist: Ob und wie lange ein Mitarbeiter im Ausland arbeiten kann, muss von Fall zu Fall neu beurteilt werden. «Das ist ja das Fiese daran», sagt Wildhaber. «Jede Situation ist anders.» Die meisten Personalabteilungen seien damit überfordert. Muggler glaubt, dass es gerade für kleinere Firmen deswegen schwieriger sei, Remote Work in grossem Stil anzubieten. Viele seien dazu übergegangen, sich auf wenige Wochen im EU-Ausland zu beschränken.
Laut Wildhaber reicht das oft aus: «Die meisten Anfragen, die wir bekommen, beschränken sich auf wenige Wochen und relativ nahe Ziele.» Doch auch exotischere Destinationen werden ihrer Erfahrung nach beliebter, darunter vor allem Südafrika, Mexiko, Thailand oder Bali.
Durch den Fachkräftemangel könnten die Unternehmen ohnehin langfristig nicht darauf verzichten, Arbeiten im Ausland zu ermöglichen, führt Wildhaber aus. «In unseren Umfragen sagen viele, sie seien eher bereit, auf einen Bonus zu verzichten, als auf die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten.»
Die oft geäusserte Behauptung, der Wunsch nach Remote Work käme vor allem von der Generation Z, die gerne nach der Arbeit am Strand liegen will, kann Wildhaber nicht bestätigen: «Viele Anfragen kommen von älteren Mitarbeitern, und zwei Drittel sind familienorientiert – Menschen möchten Verwandte besuchen oder ihre Familie bei einem längeren Auslandsaufenthalt begleiten.»
Die meisten Wünsche, sagt Wildhaber, könne man ohne Probleme ermöglichen. Doch es gebe Grenzen: «Wenn jemand in einem Van herumreisen oder eine Weltreise machen möchte, wird es schwierig. Dann sollte man vielleicht doch unbezahlten Urlaub nehmen.»
Nelly Keusch, «Neue Zürcher Zeitung»