Künstliche Intelligenz und Bewerbungen: Wie Bewerber punkten und was für Unternehmen ein No-Go ist Was bringt KI für eine Bewerbung, und wie kommt es an? Deloitte, ABB, UBS, Swiss Re, Swiss Life und Roche geben Einblicke in die Blackbox.
Was bringt KI für eine Bewerbung, und wie kommt es an? Deloitte, ABB, UBS, Swiss Re, Swiss Life und Roche geben Einblicke in die Blackbox.
Viele brauchen künstliche Intelligenz (KI) zur Belustigung. Sie erstellen witzige Songs und Gedichte. Andere lassen Chat-GPT nervige E-Mails schreiben. Aber der KI das Schicksal über die eigene Zukunft übertragen und Bewerbungen von ihr schreiben lassen? Geht das gut? Und wie kommt das beim Arbeitgeber an?
«Mein Linkedin-Profil habe ich mit künstlicher Intelligenz überarbeitet – präzise, klar und perfekt formuliert», sagt Marc Beierschoder, KI- und Daten-Partner bei Deloitte Schweiz. Für ihn ist der Einsatz von KI selbstverständlich, fast schon notwendig. Doch nicht jeder teilt diese Begeisterung. Kritiker bemängeln die zunehmende Uniformität von Bewerbungen, die dank KI oft wie aus einem Baukasten wirken.
Persönlichkeit und Authentizität können verlorengehen
In Genf warnten Personalfachleute von einzelnen, internationalen Organisationen die Studierenden jüngst davor, ihre Bewerbungsunterlagen durch KI glätten zu lassen. Persönlichkeit und Authentizität gingen verloren, hiess es.
Unternehmen wie Swiss Re und ABB hingegen betrachten KI als Chance, solange man sich nicht blind auf sie verlässt, sondern sie mit Augenmass und als Unterstützung einsetzt. Auch bei Deloitte ist man entspannt. «Wir gehen davon aus, dass in unserem Bereich für rund 70 Prozent der Bewerbungen KI verwendet wird», sagt IT-Spezialist Beierschoder. Mindestens der Lebenslauf werde optimiert.
Die Faulen übernehmen die KI-Vorschläge unverändert
Der Einsatz von KI hat jedoch auch Tücken. Unlängst habe er eine Bewerbung erhalten, die sich gelesen habe wie von Chat-GPT geschrieben; er habe diese direkt aussortiert, berichtet eine Führungskraft aus dem Bekanntenkreis der Autorin. Der Verdacht: Copy-Paste ohne eigene Note.
Stromlinienförmig, glatt und unpersönlich: Das ist die Gefahr, wenn man sich das Motivationsschreiben von der KI generieren lässt. Bewirbt sich jemand bei Deloitte und schreibt etwas anbiedernd: «Deloitte is a company that values diversity» (Deloitte ist eine Firma, die Diversität wertschätzt), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass KI im Spiel war. «Die KI macht den immergleichen Vorschlag», so Beierschoder. «Die Bequemen übernehmen Standardvorschläge, die Klugen setzen KI ein, um massgeschneiderte Texte zu erstellen.»
Trotz dieser Einschränkung findet Veronica Melian, Personalchefin von Deloitte Schweiz, dass sich die Qualität der Motivationsschreiben und Lebensläufe seit der Verbreitung von KI deutlich verbessert habe. Die Motivation werde besser erklärt, die Lebensläufe klarer strukturiert. «Wir sehen es nicht als Problem; es ist ein Teil der neuen Generation.»
Stromlinienförmig, glatt und unpersönlich: Das ist die Gefahr, wenn man sich das Motivationsschreiben von der KI generieren lässt.
ABB als Technologieunternehmen zeigt keine Berührungsängste: «KI-Programme wie Chat-GPT können den Bewerbenden helfen, ihren Lebenslauf besser zu strukturieren und Anschreiben den letzten Schliff zu verpassen.» Ähnlich tönt es bei der Swiss Re. Wenn Bewerber künstliche Intelligenz verwendeten, sei das grundsätzlich positiv. «Damit stellen sie ihre Fähigkeit unter Beweis, Technologie zu nutzen, immer vorausgesetzt, sie können den Inhalt entsprechend personalisieren», schreibt Cathy Desquesses, Personalchefin von Swiss Re.
Dem Versicherer Swiss Life sind nach eigenen Angaben bisher nur vereinzelt Fälle begegnet, bei denen ein offensichtlicher Einsatz von KI erkennbar war.
Manchmal ist die KI auch einfach dumm
Genau hier wird aber deutlich, was auf Unternehmensseite als akzeptabel gilt und was nicht. «Ob KI in einer Bewerbung verwendet wird oder nicht: Am Ende muss die Qualifikation und die berufliche Expertise stimmen», stellt der Roche-Mediensprecher Hans Trees klar.
Häufig wird die KI dafür gelobt, relevante Begriffe aus dem Stellenprofil herauszulesen und ins Anschreiben zurückzuübersetzen. Sinn macht das aber nur, wenn man die geforderten Fähigkeiten auch tatsächlich hat. Wer IT-Fähigkeiten wie Scrum anführt, ohne sie zu beherrschen, riskiert, spätestens im Arbeitsalltag aufzufliegen.
Wahre Wunder sollte man deshalb von der KI-Hilfe nicht erwarten. Talentierte junge Leute berichten, die Technologie eingesetzt zu haben. Am Ende habe es aber doch nicht allzu viel gebracht. Oder wie ein Amazon-Angestellter feststellt: Die KI habe seine Unterlagen zwar verbessert. Ausschlaggebend sei aber letztlich gewesen, dass er jemanden im Unternehmen gekannt habe, und deshalb zum Interview eingeladen worden sei.
In manchen Fällen ist die KI zudem bemerkenswert dumm. So schlug Linkedin einem etablierten Wirtschaftsjournalisten als «Top job picks for you» eine «Chance für Quereinstieg. Privatkundenberater Integration» vor sowie einen Job als Bilingual Content Editor (Italian). Beides war so passend wie Hundefutter für einen Delfin.
Unternehmen geizen mit Informationen
Fragt man Unternehmen, wie sie selbst KI oder automatisierte IT-Systeme für die Vorselektion von Bewerbungen einsetzen, geben sich die meisten zugeknöpft.
Die UBS nutzt keine KI-Komponenten im Rekrutierungsprozess – auch wenn die Software, welche die Bank von Anbietern nutzt, solche Komponenten anbieten würde, schreibt die Grossbank etwas gestanzt.
Roche schreibt, in Rekrutierungsprozessen KI-basierte Software nur ergänzend zu Jobpostings und der aktiven Kontaktaufnahme durch eigene Recruiter zu verwenden. Der Pharmakonzern betont, dass die Einstellungsentscheide am Ende immer von Menschen getroffen würden. Clariant beschränkt sich auf die Bemerkung, im Bewerbungsprozess keine KI einzusetzen.
Die Unternehmen wollten nicht, dass die Stellensuchenden den Bewerbungsprozess als entpersonalisiert wahrnähmen, vermutet Gerd Winandi-Martin, Leiter des Career Center der Universität St. Gallen. Sie reden deshalb auch ungern über automatisierte Bewerbungsplattformen (Automated Tracking System, ATS), bei denen sie Filterkriterien für eine erste Selektion einstellen können.
Solange die Unternehmen ihre Karten allerdings nicht auf den Tisch legen, bleibt für die Bewerber unklar, welche Kriterien gelten. Der «Blackbox-Effekt» frustriert viele Kandidaten. Das dürfte auch der Grund sein, warum kaum jemand bereit ist, persönliche Erfahrungen mit KI-Bewerbungen unter Nennung des eigenen Namens zu teilen. Niemand weiss, was man damit auf der anderen Seite auslöst.
Das Wettrüsten geht weiter
Der soziale Kontrakt zwischen den Firmen und den Kandidaten sei unklar, stellt die Deloitte-Personalchefin Melian kritisch fest. «Eigentlich sollten die Bewerbenden wissen, ob die Firmen KI verwenden, um Bewerbungen auszusortieren, und wie sie gegenüber KI-Bewerbungen eingestellt sind.»
Auf weiter Flur ist diese Erkenntnis allerdings noch nicht angekommen. Stattdessen gibt es KI-Detektoren wie Winston AI, die KI-Bewerbungen identifizieren können, und umgekehrt Humbots, die die Sprache wieder vermenschlichen und für den Detektor unkenntlich machen sollen.
Derweil treiben auch die Bewerber das Wettrüsten weiter; manchmal mit fragwürdigen Methoden. Manche bereiten sich mit Chat-GPT auf Bewerbungsinterviews vor und stählen sich mithilfe von Interview-Simulatoren für schwierige Fragen. Die Simulatoren analysieren, wo man Schwächen zeigte und wie diese behoben werden können. Mit Glück und Verstand findet man auch Fallstudien mit Musterlösungen, die Unternehmen bereits anderen Kandidaten gegeben hatten, um sich ein Bild von deren Arbeitstechniken zu machen.
Auf Tiktok sorgte unlängst ein Video für Furore, bei dem sich ein Bewerber bei einem Online-Interview mit dem Landmaschinenhersteller John Deere mit einem Echtzeit-Prompter auf einem zweiten Bildschirm Antworten einspielen liess, die er dann ablas und als seine eigenen Ideen darstellte.
So frech und absurd dies klingt – den Unternehmen sind diese Möglichkeiten bekannt. Sie entfernen sich deshalb bereits wieder davon, wie in der Corona-Zeit Bewerbungsgespräche online durchzuführen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wollen die Firmen ihre künftigen Mitarbeiter persönlich, ganz ohne Möglichkeit der Unterstützung durch Chat-GPT, kennenlernen.
Relevant ist die Frage allemal. Schliesslich erwägen gemäss einer Umfrage des Recruitment-Spezialisten Robert Walters 65 Prozent der Arbeitnehmenden einen Jobwechsel.
Blickt man nach vorn, wird künftig noch viel mehr möglich sein. «Stellen Sie sich vor, Ihr Avatar sucht im Netz nach Stellen, fragt Sie, welche Bewerbungen er schreiben soll, und handelt anschliessend den Vertrag mit dem Chat-Bot der Personalabteilung aus», skizziert Marc Beierschoder von Deloitte die Vision.
Die Chat-GPT-Bewerbung, die vom Chat-GPT-Recruiter ausgewählt wird: Wenn es so weit ist, sind wir definitiv in der Zukunft angekommen. Anstrengend klingt es irgendwie trotzdem.