Lästiges Jahresgespräch: Mit diesen zehn Grundsätzen gelingt Feedback geben in Firmen besser Das klassische Mitarbeitergespräch wird zum Auslaufmodell. Unternehmen finden vermehrt Alternativen und etablieren eine Feedback-Kultur.
Das klassische Mitarbeitergespräch wird zum Auslaufmodell. Unternehmen finden vermehrt Alternativen und etablieren eine Feedback-Kultur.
Für so manchen Vorgesetzten sind die Jahresgespräche nicht mehr als eine mühsame Pflicht; und einigen Mitarbeitenden schlagen sie gar auf den Magen. Trotzdem sind die traditionellen Beurteilungsrituale in vielen Firmen nicht wegzudenken. Alle Jahre wieder bewerten die Chefs die Leistungen der Teammitglieder und setzen ihnen neue Jahresziele. Nicht selten sind sie auch dazu angehalten, Noten zu verteilen, die für die Ausschüttung der Boni massgebend sind.
Erinnerungen an die Schulzeit
«Es ist fast wie in der Schule», sagt Boris Billing, Leiter Personalentwicklung bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). In einem solchen Rahmen sei es schwierig, ein Gespräch auf Augenhöhe zwischen zwei Erwachsenen zu führen. Die ZKB hat – ähnlich wie Google, Microsoft oder Adobe – vor fünf Jahren die traditionellen Mitarbeitergespräche abgeschafft.
«Das klassische Jahresgespräch passt nicht mehr in die moderne Arbeitswelt», so begründet Billing den Entscheid. Das Umfeld sei so dynamisch, dass rasche Feedbacks und ein regelmässiger Austausch zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden notwendig seien.
In Zeiten von flachen Hierarchien und eigenverantwortlichem Arbeiten gehöre es zur Führungsrolle, die Mitarbeitenden bei der Erledigung ihrer täglichen Aufgaben sowie ihrer persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung laufend zu unterstützen. Ausserdem sei es angesichts der verbreiteten Teamarbeit wenig zielführend, für die einzelnen Teammitglieder individuelle Ziele zu vereinbaren.
Mehr Bürokratie und keine Benotung mehr
Auch beim Universitätskinderspital Zürich wird kein klassisches Jahresgespräch mehr durchgeführt. Die Unzufriedenheit mit den Mitarbeitergesprächen sei sehr gross gewesen, sagt die HR-Bereichsleiterin Désirée Nater. Daraufhin bildete Nater eine Projektgruppe mit Vertretern aus verschiedenen Bereichen – mit dem Ziel, ein sinnvolleres Jahresgespräch zu entwickeln.
Seit 2018 hat sich das neue «Standortgespräch» etabliert. «Zukunftsgerichtetes Feedback steht dabei im Zentrum», sagt Nater. Anstatt Zielvereinbarungen werden «Ziele, Projekte und Schwerpunkte» thematisiert. Wenn es mit einem Angestellten nicht gut läuft, müssen die Vorgesetzten aber weiterhin Ziele setzen und deren Erreichung überprüfen. Eine Benotung von A bis D gibt es nicht mehr. Laut Nater hat es nur vereinzelt Mitarbeitende gegeben, die gerne an den «Noten» festgehalten hätten.
Im Standortgespräch verteilt man Lob und Kritik zu ausgewählten Themen. Die Gesprächsführung wird von 25 Themenkarten (z. B. Vorbild, Beziehungen, Feedback) mit Beschreibungen auf der Rückseite unterstützt. Führungskräfte und Mitarbeitende wählen je eine Handvoll Themen aus. «Beide Seiten haben jetzt mehr Spielraum», sagt Nater. Die Gespräche könnten individueller gestaltet werden und fänden mehr auf Augenhöhe statt. Mitarbeitende könnten ihren Vorgesetzten auch ein Feedback zu ihrem Führungsverhalten geben, wenn sie dies wollten. Im Zuge der Neugestaltung des Mitarbeitergesprächs wurde auch der administrative Aufwand deutlich reduziert: Das Wichtigste aus dem Standortgespräch wird auf einer A4-Seite festgehalten.
In vielen anderen Organisationen findet dagegen gerade eine gegenläufige Entwicklung statt. Der bürokratische Aufwand für die Jahresgespräche sei in etlichen Unternehmen in den letzten Jahren sogar noch gestiegen, sagt der Personalexperte Jörg Buckmann. Alles Mögliche werde dokumentiert und gemessen mit dem Ziel, die Leistung der Mitarbeitenden zu vergleichen und die «Ressource» Mensch zu steuern, auch wenn dies niemand im Unternehmen mehr anschaue. Die meisten Firmen blieben dem klassischen Konzept des Mitarbeitergesprächs treu nach dem Motto «Augen zu und durch». Dabei gebe es immer wieder Konflikte, wenn etwa die Leistungssysteme oder die Vorgaben zur Beurteilung angepasst würden, weil zu viele Angestellte eine gute Bewertung erhalten.
Feedback und Boni trennen
Dass Betriebe wie die ZKB und das Universitätskinderspital Zürich die Benotung abgeschafft und die Gespräche zu den Entwicklungsperspektiven der Mitarbeitenden vom Prozess der Lohn- beziehungsweise Boni-Zuteilung getrennt haben, sieht Buckmann als erheblichen Vorteil. Nur auf diese Weise seien offene und zukunftsgerichtete Feedback-Gespräche möglich, die für die berufliche und persönliche Entwicklung der Mitarbeitenden förderlich seien.
Beim Universitätskinderspital Zürich liegt es im Ermessen der Vorgesetzten, welche Mitarbeitenden «eine gute Leistung» abgeliefert haben und daher basierend auf dem Lohnentwicklungsmodell Anspruch auf eine Lohnerhöhung haben. Bei der ZKB tauschen sich die Teamleiter auf gleicher Hierarchiestufe über ihre jeweils beabsichtigte Boni-Verteilung aus. Anschliessend müssen sie ihre Entscheide gegenüber dem direkten Vorgesetzten rechtfertigen.
Auch wenn die ZKB keine jährlichen Beurteilungsgespräche mehr durchführt und stattdessen einen kontinuierlichen Dialog zwischen Führungskräften und Teammitgliedern fördert, werden bestimmte Faktoren des früheren Mitarbeitergesprächs beibehalten. Da keine Jahresziele mehr vereinbart werden, müssen die Chefs auf andere Art und Weise den Strategietransfer sicherstellen und dafür sorgen, dass alle im Team wissen, welcher Beitrag von ihnen erwartet wird.
Ausserdem wird der laufende Dialog zwischen Vorgesetzten und Teammitgliedern durch verschiedene Instrumente und Leitfäden zur Gesprächsführung unterstützt. Festgehalten werden die Gespräche nicht mehr. Was passiert, wenn es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Vorgesetzten und dem Mitarbeitenden kommt? Die Beteiligten können bei grösseren Differenzen jederzeit einen HR-Vertreter hinzuziehen, der das Gespräch begleitet und gegebenenfalls dokumentiert.
«Wie und wie häufig der Austausch stattfindet, ist den Führungskräften überlassen», sagt Billing. Manche Vorgesetzte treffen sich alle zwei Wochen, andere wöchentlich mit ihren Mitarbeitenden. Im Vordergrund stehen Fragen wie «Wie läuft es?», «Wo kommst du nicht weiter?», «Wie kann ich dich unterstützen?». Im Idealfall finden mehrmals im Jahr Gespräche zu diesen und weiteren Themen statt, wie beispielsweise Karriereperspektiven und Potenzialentfaltung. «Alle Mitarbeitenden haben einen Entwicklungsplan», sagt Billing. Mit dem radikalen Systemwechsel sind die Vorgesetzten nicht weniger gefordert; vielmehr verlangt der kontinuierliche Dialog von ihnen mehr Sozial- und Führungskompetenzen.
Wie Feedback geben gelingt
Rund um das Thema Feedback bestehen viele Unsicherheiten, Vorurteile und Emotionen. Die Wirkung der Rückmeldung hängt davon ab, auf welche Art und Weise sie vermittelt wird und wie die Person das Feedback entgegennimmt und für sich verarbeitet. Folgende Grundsätze können im Umgang mit Feedback helfen:
- Konstruktiv und wertschätzend: Gutes Feedback zielt darauf ab, das Gegenüber in seiner Entwicklung zu unterstützen. Es ist dann wertvoll, wenn es der Person hilft, zu verstehen, was sie gut macht und wo sie sich verbessern sollte. Es wird empathisch, wertschätzend und auf Augenhöhe formuliert.
- Spezifisch und umsetzbar: «Ich bin nicht zufrieden mit deiner Leistung» – damit kann der Mitarbeitende wenig anfangen. Welche Ergebnisse sind nicht genügend? Die Rückmeldung sollte nicht nur spezifisch und konkret, sondern auch umsetzbar sein sowie realistische Verbesserungsvorschläge umfassen.
- Verhaltensbezogen: Ein Feedback sollte sich auf die Leistung und das Verhalten der Person beziehen, nicht auf deren Eigenschaften. Verallgemeinerungen sind kontraproduktiv. Anstatt «Du bist immer so langsam und unzuverlässig» könnte man sagen: «Du hast die Abgabefrist erneut verpasst. Wie schaffst du es, das Projekt das nächste Mal pünktlich abzuschliessen?»
- Zukunftsgerichtet: Beim Feedback geben geht es nicht darum, den Schuldigen für den Fehler zu finden und ihn dafür zu bestrafen, sondern den Fehler anzusprechen sowie Lösungen zu entwickeln, damit es künftig besser läuft.
- Ich-Botschaften: Jede und jeder hat einen eigenen Blick auf die Welt. Ein Feedback ist daher immer subjektiv und sollte nicht als objektive Wahrheit formuliert werden. Ich-Botschaften, wie «Das habe ich so wahrgenommen», helfen dabei.
- Zeitnah und regelmässig: Führt die Chefin den Mitarbeitenden einmal im Jahr vor Augen, mit welchen Leistungen sie nicht zufrieden war, können die Angestellten nicht zeitnah daraus lernen. Regelmässiges Feedback ist vielversprechender. Es steigert nicht nur die Motivation, sondern stärkt auch die Beziehung zwischen der Vorgesetzten und den Mitarbeitenden.
- Positives Feedback: Ein knallhartes und dennoch wertschätzendes Feedback kann bei einer Person viel bewegen und zu neuen Erkenntnissen führen. Führungskräfte sollten aber nicht nur Rückmeldungen geben, wenn es etwas zu kritisieren gibt. Im Gegenteil: Ernstgemeintes Lob ist wichtig und hilft den Angestellten, ihre Stärken auszubauen.
- Unter vier Augen: Damit der Gesprächspartner sein Gesicht wahren kann, sollte die kritische Rückmeldung nicht vor den Arbeitskollegen erfolgen. In einem Vieraugengespräch ohne Zeitdruck und Ablenkung gelingt dies viel besser.
- Reflektieren: Wer ein negatives Feedback erhält, sollte dieses nicht als persönlichen Angriff werten, auch wenn dies nicht immer einfach ist. Vielmehr geht es darum, sich zu versichern, dass man das Feedback richtig verstanden hat, und danach zu überlegen, ob und in welcher Form man es annehmen und sich künftig anders verhalten will.
- Aktiv einfordern: Anstatt Feedbacks nur entgegenzunehmen, kann man sie auch aktiv einfordern, um frühzeitig daraus zu lernen. Es bietet sich an, mehrere Kolleginnen und Kollegen zu fragen, um unterschiedliche Perspektiven auf das Thema zu erhalten.
- Vertrauensvolles Umfeld: Feedback zu geben, ist für viele nicht einfach. Der Teamkollege will seine Kollegin nicht verletzen oder es sich nicht mit ihr verscherzen. Oder er schreckt davor zurück, seinem Vorgesetzten ein ehrliches Feedback zu geben, weil ein Abhängigkeitsverhältnis besteht und er negative Konsequenzen für seine Karriere befürchtet. Daher ist es zentral, dass der Chef auf eine Vertrauenskultur hinwirkt sowie alle Teammitglieder ihren Beitrag zu einem guten Klima leisten, so dass ein respektvoller Austausch möglich ist.
Heikle Rückmeldung an die Chefin
In einem von Vertrauen und Wertschätzung geprägten Arbeitsumfeld trauen sich die Angestellten eher, Lob und Kritik anzubringen, ohne negative Folgen für ihren Status oder ihre Karriereaussichten befürchten zu müssen. Die Vorgesetzten sollten dabei mit gutem Beispiel vorangehen, kritisches Feedback nicht persönlich nehmen und ein aktives Verhalten einfordern. Der Chef oder die Chefin sagt zum Beispiel: «Ich habe Schwierigkeiten, Dinge zu delegieren. Was ist deine Meinung dazu?» Und: «Wodurch könnte sich unsere Zusammenarbeit verbessern?»
Gerade für Vorgesetzte sind ehrliche Rückmeldungen bedeutsam, weil diese selten sind. Bekommen sie wertvolle Rückmeldungen aus dem Team, sollten sie diese auch umsetzen – sonst untergraben sie das Vertrauen.
Feedback-Kultur verankern
Bei der ZKB ist die Hürde für ein Feedback tief angesetzt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben ein Instant-Feedback in Form von Emojis, wenn sie beispielsweise die Arbeitskollegin für die gelungene Präsentation loben wollen. Zudem können alle Angestellten die Arbeitskollegen ihrer Wahl im gesamten Unternehmen in einem automatisierten Prozess jederzeit nach einem Feedback fragen. Der Mitarbeitende erhält einen Fragebogen mit Standardfragen und drei Fragen, die er individuell ergänzen kann. Danach wird der Fragebogen an die gewünschten Feedback-Geber versandt.
Die Rückmeldungen bespricht der Mitarbeitende mit der Person seiner Wahl. Workshops sind eine weitere Möglichkeit, um Feedbacks zu erhalten. Zusätzlich können mit dem sogenannten Teambarometer Rückmeldungen anonym auf Teamebene eingeholt und anschliessend in der Gruppe besprochen werden.
Mit all diesen Massnahmen, welche die Entwicklung der Angestellten fördern, wolle man die Feedback-Kultur weiter verankern, so führt Billing aus. Die Abschaffung der Jahresgespräche sei dafür zentral gewesen. Seither habe sich die Feedback-Kultur in der Bank deutlich verbessert.