Liechtensteins Wirtschaft findet nicht genügend Arbeitskräfte Regierung und Wirtschaftsverbände wollen mehr Frauen und ältere Arbeitskräfte mobilisieren.
Regierung und Wirtschaftsverbände wollen mehr Frauen und ältere Arbeitskräfte mobilisieren.
Der Wirtschaftsplatz Liechtenstein erfreut sich seit Jahren einer robusten Verfassung. Die erfreuliche Einschätzung wird allerdings durch den Umstand getrübt, dass die Unternehmen nicht genügend Arbeitskräfte finden. Aus dem schon vor einiger Zeit festgestellten Fachkräftemangel hat sich inzwischen ein Mangel an Arbeitskräften entwickelt, was die Regierung zum Handeln veranlasste.
Eine vom Ministerium für Wirtschaft im vergangenen Jahr eingesetzte Arbeitsgruppe mit Vertretern aus Politik, Wirtschaftsverbänden und Wissenschaft hat nun ihre Vorschläge veröffentlicht, wie der Fach- und Arbeitskräftemangel behoben oder zumindest abgemildert werden könnte. Den Schwerpunkt legt die Arbeitsgruppe auf Massnahmen zur Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials, insbesondere durch einen stärkeren Einbezug von Frauen und Anreize zur Weiterbeschäftigung älterer Arbeitskräfte. Als zentral wird aber auch die bessere Erreichbarkeit der Arbeitsplätze in Liechtenstein für die im Ausland wohnhaften Arbeitskräfte erachtet.
Derzeit seien rund 1000 offene Stellen bei den Behörden gemeldet, erklärt Markus Biedermann, Generalsekretär im Wirtschaftsministerium. Da es keine Meldepflicht gibt, könnten es aber durchaus mehr sein. Ende 2023 registrierte die Beschäftigungsstatistik insgesamt 43 060 Voll- und Teilzeitbeschäftigte, womit die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr um 1,3 Prozent angestiegen ist. Das ist aber nicht genug für die Nachfrage der Wirtschaft, denn laut Konjunkturumfrage bezeichnet jedes vierte Unternehmen den Arbeitskräftemangel als Leistungshemmnis. Ein Blick auf die Entwicklung der Bevölkerung zeigt, dass in den kommenden zehn Jahren mehr Erwerbstätige aus dem Arbeitsprozess ausscheiden, als im Inland ins Berufsleben eintreten werden.
Aus heutiger Sicht wird der Arbeitskräftemangel somit aus demografischen wie aus technologischen Gründen weiter anhalten. Im Unterschied zu den früheren Prognosen, betont der Bericht der Arbeitsgruppe «Arbeitskräftemangel», habe die technologische Entwicklung und die Digitalisierung nämlich nicht zu einem Verlust von Arbeitsplätzen geführt, sondern zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.
Vor diesem Hintergrund haben Studien der Zukunftsstiftung Liechtenstein schon auf die Notwendigkeit hingewiesen, bisher nicht genutztes Potenzial an Arbeitskräften verstärkt zu aktivieren. Die Arbeitsgruppe Arbeitskräftemangel hat diese Anregung aufgenommen. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen sei in Liechtenstein geringer als in der Schweiz, Österreich oder Deutschland. Um den Anteil der Frauen zu erhöhen, brauche es allerdings flexible Arbeitsmodelle mit Teilzeitangeboten oder Home-Office.
Ebenso schlägt die Arbeitsgruppe vor, die Attraktivität für den Verbleib von Arbeitskräften nach dem ordentlichen Pensionsalter zu erhöhen. Grundsätzlich kann die Pensionierung zwischen dem 60. und dem 70. Altersjahr stattfinden, was bei einem vorzeitigen Rentenbezug zu einer Kürzung, bei einem Aufschub zu einem Rentenzuschlag führt. Ein erheblicher Teil der älteren Arbeitnehmer wählt die vorzeitige Pensionierung, weil bisher die Frühpensionierung gefördert wurde. Diese Förderung sollte gestoppt werden, empfiehlt die Arbeitsgruppe und regt gleichzeitig die Überprüfung des ordentlichen Rentenalters mit 65 Jahren an.
Die Arbeitsgruppe ist sich allerdings bewusst, dass das Rekrutierungspotenzial der lokalen Bevölkerung nicht ausreichen wird, um die Nachfrage der Wirtschaft nach Arbeitskräften zu befriedigen. Schon jetzt sind die Unternehmen auf Grenzgänger aus der Schweiz, Österreich und dem deutschen Bodenseeraum angewiesen. Mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze werden derzeit von diesen Zupendlern besetzt. Würde dieser Zustrom aus der Nachbarschaft versiegen, weil dort ebenfalls attraktive Jobs angeboten werden, könnte die liechtensteinische Wirtschaft in arge Schwierigkeiten geraten. Eine verstärkte Zuwanderung steht aufgrund der Kleinheit des Landes nicht zur Diskussion.
An der restriktiven Zuwanderungspolitik möchte Liechtenstein derzeit nicht rütteln. Denn einerseits gilt seit Jahrzehnten die sogenannte Drittelbegrenzung, wonach der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung nicht mehr als ein Drittel der gesamten Einwohnerzahl ausmachen darf, andererseits möchte man die im EWR-Abkommen ausgehandelte Begrenzung der Personenfreizügigkeit nicht aufs Spiel setzen. Der Preis dafür wird mit der täglichen Verkehrsbelastung durch die über 20 000 Grenzgänger bezahlt, die regelmässig zu Verkehrsstauungen führt. Die Arbeitsgruppe kritisiert diese Situation und fordert eine rasche Umsetzung der Massnahmen des Mobilitätskonzepts 2030: Koordination des öffentlichen Verkehrs im Raum Vorarlberg – St. Gallen – Liechtenstein, direktere und sichere Radwege zu den Hauptzielen des Arbeitspendelverkehrs sowie betriebliches Mobilitätsmanagement inklusive Parkplatzbewirtschaftung.