Mehr auf das Potenzial als auf die Erfahrung fokussieren Der Wiedereinstieg in den Beruf ist für viele Frauen eine Herausforderung – auch ohne Pandemie. Drei Frauen erklären, wie dieser gelingt und was Unternehmen dafür tun können.
Der Wiedereinstieg in den Beruf ist für viele Frauen eine Herausforderung – auch ohne Pandemie. Drei Frauen erklären, wie dieser gelingt und was Unternehmen dafür tun können.
Die Covid-19-Pandemie liess alte Muster aufbrechen. Gemäss diverser Studien waren Frauen bei Homeschooling oder der Betreuung von weiteren Familienangehörigen häufiger in der Pflicht. Folglich dürfte sich ihr beruflicher Wiedereinstieg ebenso erschwert haben. Doch ist das so? Nein, sagt Anja Knabenhans, Chief of Content beim Onlineportal «anyworkingmom», die einen einfacheren Wiedereinstieg bei Frauen beobachtet. «Zahlreiche Unternehmen realisierten durch die Pandemie, dass flexible Arbeitszeiten und Homeoffice die Arbeitsleistung nicht tangieren. Nun reagieren sie offener auf die Bedürfnisse von Eltern.»
Mehr Anfragen zum Wiederanstieg erhielt auch Patricia Widmer, Programme Director for Diversity and Management Programmes an der Universität St. Gallen und Verantwortliche für das Wiedereinsteiger-Programm «Women Back to Business»: «Viele Frauen haben sich während der Pandemie mehr Zeit genommen, um sich mit dem beruflichen Wiedereinstieg auseinanderzusetzen und sich über Weiterbildungen zu informieren.»
Tech-Branche besonders geeignet für flexibles Arbeiten
Ein starkes Interesse an Wiedereinstiegs-Programmen verzeichnet auch Vanessa Gentile, Channel & Alliance Director bei Salesforce und Initiantin des Programms «Bring Women back to Work», das Frauen den Einstieg in die Tech-Branche erleichtert. «Seit der Gründung vor drei Jahren haben sich über 50 Frauen beteiligt.» Über die Hälfte hätte dadurch eine Festanstellung bei einem Partnerunternehmen des Programms gefunden. «Firmen, die sich alle dazu bekennen, Teilzeitstellen zu schaffen und offen sind, branchenferne Kandidatinnen anzustellen.» Gerade die Tech-Branche eigne sich für flexibles Arbeiten. «Deshalb wollen wir Frauen für einen Einstieg in die Tech-Branche begeistern», sagt Gentile. Nebst der flexiblen Arbeitseinteilung sei auch Homeoffice möglich. «Damit verfolgen wir den Ansatz ‹Success from Anywhere›. Die Leistung zählt, nicht die Präsenz.»
Tun, was Freude macht
Um in den Beruf wieder einzusteigen, rät Anja Knabenhans Frauen, sich eine Tätigkeit zu suchen, die ihnen Freude bereitet. «Vielen fällt es zum Zeitpunkt des Wiedereinstiegs schwer, ihre Kinder in eine Betreuung zu geben. Es vereinfacht das Ablösung jedoch ungemein, wenn man sich auf die Arbeit freut.» Wichtig sei zudem, sich selbst dafür die nötige Zeit zu geben. «Viele Frauen haben den Wiedereinstieg schon vor Monaten geplant. Aber dann fühlt sich dieser nicht mehr richtig an. Es erfordert deshalb Mut, sich zu hinterfragen und die eigenen Bedürfnisse zu priorisieren.»
Meist sind es finanzielle Gründe, die Frauen gemäss Studie «Zurück im Beruf – Der berufliche Wiedereinstieg von Müttern» von der Universität Zürich am Wiedereinstieg hindern: Die Kosten für die externe Kinderbetreuung und die Heiratsstrafe machen einen Wiedereinstieg oft unattraktiv. Aber auch der organisatorische und emotionale Stress in der Familie. Hinzu käme Lücken im Lebenslauf, sagt Patricia Widmer: «Damit sind Ängste oder die Wahrnehmung verbunden, für den Arbeitsmarkt nicht mehr attraktiv zu sein. Es fehlt den Frauen an Selbstbewusstsein und an Selbstwertgefühl.» Ebenso hinderlich seien die gesellschaftlichen Erwartungen in der Schweiz sowie das Schulsystem. Damit einhergehend streben Frauen kleine Pensen an, die oft nicht für qualifizierte Positionen existieren. «75 Prozent aller Stellen werden zudem übers Netzwerk vergeben. Dieses müssen Frauen zuerst aufbauen. Genau hier setzt unser Programm an.»
Offenheit und Verständnis signalisieren
Unternehmen ihrerseits könnten den Wiedereinstieg erleichtern, indem sie die Sorgen der Frauen direkt ansprechen, Offenheit und Verständnisbereitschaft signalisieren, sagt Anja Knabenhans. «Auch, indem sie mehr Flexibilität bieten, beispielsweise durch Jobsharing und flexible Arbeitszeiten», ergänzt Patricia Widmer. Unternehmen und HRler sollten sich bei der Rekrutierung ausserdem mehr auf das Potenzial als auf die Erfahrung einer Person fokussieren. «In den Unternehmen muss allgemein ein Umdenken stattfinden, wenn wir Gleichberechtigung erreichen wollen», sagt Vanessa Gentile. In der dynamischen Arbeitswelt würden soziale und emotionale Fähigkeiten immer wichtiger. «Hier können Frauen punkten und Unternehmen einen Mehrwert bieten.» Auf HR- und Unternehmensseite müssten diese Skills deshalb anders gewichtet werden. «Das sollte schon in der Stellenausschreibung und der darin benutzten Sprache zur Geltung kommen.»
Findet dieser Wandel in den Unternehmen tatsächlich statt, wären Wiedereinstiegsprogramme künftig überflüssig. Etwas, dass sich Widmer und Gentile langfristig wünschen: «In zehn Jahren soll die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kein Thema mehr sei. Frauen sollten dann aufgrund ihrer Mutterschaft nicht mehr um ihren Job fürchten.»
Christine Bachmann die stellvertretende Chefredaktorin des Fachmagazins für Personalverantwortliche, HR Today.