Von wegen Fachkräftemangel: Selbst Informatiker finden wieder schwerer Arbeit Am Schweizer Arbeitsmarkt sorgt künstliche Intelligenz laut einer Studie für erste Umbrüche – besonders in der IT. Ältere Mitarbeiter haben häufiger das Nachsehen.
Am Schweizer Arbeitsmarkt sorgt künstliche Intelligenz laut einer Studie für erste Umbrüche – besonders in der IT. Ältere Mitarbeiter haben häufiger das Nachsehen.
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Wann nimmt die künstliche Intelligenz (KI) mir endlich meinen Job ab? Bei diesem Gedanken erwischt man sich, wenn der Tag im Büro wieder einmal besonders lästig war. Dass es wirklich so weit kommt, wünschen sich allerdings die wenigsten – und bisher sah es auch nicht so aus, als hätten Chat-GPT und Co. zu grossen Jobverlusten geführt.
Eine Auswertung des Outplacement-Beraters von Rundstedt zeigt jedoch, dass die Zeiten, in denen Arbeitnehmer entspannt die Füsse hochlegen und Forderungen stellen konnten, erst einmal vorbei sein dürften. «Wir sehen eine Normalisierung im Arbeitsmarkt», sagt der CEO Pascal Scheiwiller. «Der grosse Fachkräftemangel hat sich beruhigt.»
Wieder mehr Kündigungen in der Schweiz
Von Rundstedt muss es wissen, schliesslich betreut die Firma andere Unternehmen bei Kündigungen und unterstützt Betroffene bei der Stellensuche. Und Kündigungen hat es in der Schweiz im vergangenen Jahr wieder mehr gegeben, wie das am Donnerstag publizierte Arbeitsmarkt-Barometer zeigt. Von Rundstedt hat hierzu mit 2700 Menschen gesprochen, die von einer Kündigung betroffen waren, sowie mit 340 Unternehmen, die eine solche aussprechen mussten.
2024 seien relativ viele Konsultationsverfahren eröffnet und Massenentlassungen angekündigt worden, so der Report. Von Rundstedt spricht mit Hinblick auf die Zeit vor der Corona-Pandemie von einer Rückkehr zur Normalität: Die Unternehmen hätten nicht nur Überkapazitäten abgebaut, sondern auch bestehende Strukturen optimiert und sich neu ausgerichtet.
Man müsse unterscheiden zwischen einem konjunkturellen, einem strukturellen und einem demografisch bedingten Fachkräftemangel, so Scheiwiller. «Den demografischen Wandel hat die Schweiz bisher dank der Zuwanderung gut auffangen können. Und konjunkturell gesehen hat sich der Fach- und Arbeitskräftemangel, der besonders nach der Pandemie aufgetreten ist, wieder abgeschwächt.»
Auch in der IT hat sich die Situation entspannt
Einen strukturellen Arbeitskräftemangel gebe es in spezifischen Berufsfeldern nach wie vor, etwa in der Pflege oder bei Ingenieuren. Doch gerade in der Branche, die am lautesten über das Fehlen von Fachkräften klagt, haben die Kündigungen zugenommen: in der IT.
Während die Branche Informatik und Digital im Jahr 2023 noch 8 Prozent aller Kündigungen ausmachte, waren es 2024 bereits 12 Prozent. Damit hat die IT den Handel und die produzierende Industrie überholt. Beim funktionalen Vergleich, der die Aufgabenbereiche der gekündigten Arbeitnehmer betrachtet, stieg der Anteil des Bereichs Informatik und Logistik von 10 auf 16 Prozent.
Für Scheiwiller ist die Ursache dafür klar: künstliche Intelligenz. «Der KI-Hype hat viel Dynamik in die Branche gebracht, viele Betriebe verändern sich. Es werden neue Profile gesucht, und andere passen nicht mehr.» Das zeige sich daran, dass es in der Branche zwar mehr Entlassungen gebe, aber auch mehr Neueinstellungen. «Für einige bedeutet das einfach eine Änderung in ihrem Stellenprofil. Aber gerade für ältere Mitarbeiter kann das eine Herausforderung sein.»
Ältere haben es schwerer
So zeigt die Auswertung auch, dass die Stellensuche für Mitarbeiter über 50 schwieriger geworden ist. Bei ihnen hat sich die durchschnittliche Dauer der Arbeitssuche im Jahresvergleich von 6,6 auf 7,4 Monate erhöht. Bei den 30- bis 40-Jährigen ist sie hingegen von 5,6 auf 4,2 Monate gesunken.
Eine grösser werdende Angst vor Jobverlust bemerkt auch der Personaldienstleister Adecco. Laut dem «Global Workforce of the Future Report», einer Befragung unter mehr als 80 000 Angestellten, haben 40 Prozent der Arbeitnehmer Angst, dass KI ihren Job bedroht.
Zwar gebe es nur wenige Tätigkeiten, die vollständig von einer KI gemacht werden könnten, glaubt der CEO Denis Machuel. «Aber viele fragen sich: Wenn die Hälfte meiner Aufgaben wegfällt, weil sie automatisiert werden können, was passiert dann mit meiner Stelle?»
Mitarbeiter umschulen – oder doch lieber ersetzen
Die Schätzungen dazu, welche Auswirkungen KI auf die Arbeitswelt haben wird, gehen weit auseinander. «In Wirklichkeit weiss es niemand genau», glaubt Machuel. «Was man heute für wahr hält, kann sich drei Monate später als Irrtum herausstellen.» Doch nicht nur unter Arbeitnehmern ist die Unsicherheit gross: In der Befragung von Adecco gaben nur 46 Prozent an, dass ihre Führungskräfte in der Lage seien, mit den Herausforderungen durch KI umzugehen. «Das ist beängstigend», findet Machuel. «Wir erwarten von Führungskräften, dass sie über diese Themen umfassend informiert sind.»
Nur wer als Führungskraft gut Bescheid wisse, könne auch dafür sorgen, dass die eigenen Mitarbeiter im Umgang mit der Technologie entsprechend weitergebildet würden und neue Aufgaben wahrnehmen könnten. «Wir setzen uns für nachhaltige Arbeitsverhältnisse ein. Das bedeutet nicht eine Anstellung fürs ganze Leben. Aber es bedeutet, sicherzustellen, dass Arbeitnehmer relevant sind, egal, was kommt.»
Pascal Scheiwiller gibt zu bedenken, dass die Umschulung eines Mitarbeiters zeitintensiv, teuer und auch riskant sei. «Der Anreiz oder auch Druck, interne Mobilität zu fördern und in Umschulungen zu investieren, ist häufig nur vorhanden, wenn es nicht genügend Fachkräfte gibt.» Das sei derzeit aber nicht der Fall: «Gegenwärtig sind genug Leute verfügbar, daher ist es oft einfacher, den Mitarbeiter zu ersetzen.»
Auch hier gilt: Ältere Mitarbeiter haben meist das Nachsehen. KI bringt vielleicht nicht den befürchteten Stellenabbau – aber sie öffnet die Schere zwischen Jung und Alt weiter.