Was Arbeitgeber und Arbeitnehmende über variable Vergütungssysteme wissen sollten «Wenn Leistung nicht mehr belohnt wird, dann riskieren Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit»: Warum Firmen immer noch auf Boni-Systeme setzen.
«Wenn Leistung nicht mehr belohnt wird, dann riskieren Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit»: Warum Firmen immer noch auf Boni-Systeme setzen.
«Ich schäme mich fremd», schrieb der Mitte-Präsident Gerhard Pfister Anfang Februar auf Twitter. Er spielte auf seine Parteikollegen in der Führungsetage der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) an, die soeben beschlossen hatten, dass die SRG-Geschäftsleitungsmitglieder statt eines Fixlohns mit schwankendem Bonus ab dem 1. Januar 2023 einen deutlich höheren Fixlohn ohne Bonus erhalten. Es war eine von vielen harschen Reaktionen auf den Entscheid der SRG-Führung.
Variable Vergütungssysteme bescheren Unternehmen auch über zehn Jahre nach den Boni-Exzessen im Zuge der Finanzkrise immer noch Negativschlagzeilen, selbst wenn sie, wie nun die SRG, darauf verzichten. Auf wenig öffentliche Begeisterung stossen auch CEO, die den Aktienkurs ihres Unternehmens mehr oder weniger direkt manipulieren, damit ihre Optionen möglichst viel Gewinn abwerfen, oder private Banker, die Kundengelder aus fragwürdigen Quellen zur Maximierung ihres Bonus akquirieren.
Dennoch greifen bis heute viele Unternehmen und auch staatliche Behörden auf variable Lohnkomponenten zurück, um ihre Angestellten zu mehr Leistung zu motivieren.
Topmanager von Grossunternehmen haben den höchsten variablen Lohnanteil
Die bekannteste Form der kurzfristigen variablen Vergütungen ist der klassische Bonus. Unternehmen zahlen ihn direkt auf das Lohnkonto aus, wenn die Mitarbeiter, das Team oder das Unternehmen als Ganzes im Vorfeld definierte Ziele erreicht haben. Je nach Firma handelt sich dabei um etwa 10 bis 15 Prozent der gesamten Lohnsumme.
Als kurzfristig gelten auch sogenannte Gratifikationszahlungen bei gutem Geschäftslauf – beispielsweise 1000 Franken für jeden Angestellten – oder Prämien zur Belohnung einer besonderen Leistung. Im besten Fall führen kurzfristige variable Anreize zu besseren Leistungen, im schlechtesten Fall zu unfairen, schwer nachvollziehbaren Lohndifferenzen, die in der Belegschaft für Unruhe sorgen.
Einen anderen Zweck erfüllen langfristige variable Lohnkomponenten, wie sie meist mittlere und höhere Kader in Form von Aktien und Aktienoptionen erhalten: Sie sollen die finanziellen Interessen der Geschäftsleitung an jene der Aktionäre knüpfen.
Der Anteil der variablen Vergütung übersteigt bei den Topmanagern oft den Fixlohn und soll diese zu Höchstleistungen anspornen. In der Schweiz beträgt der variable Anteil bei Geschäftsleitungsmitgliedern von Unternehmen mit über 10000 Angestellten mehr als 50 Prozent.
In der Praxis funktioniert diese Anreizstruktur oft nicht, weil viele Kader in der Regel nur wenige Jahre im Unternehmen bleiben. Sie haben unter Umständen nur ein beschränktes Interesse daran, langfristige Investitionen in die Forschung und Entwicklung zu tätigen, wenn diese auf Kosten von kurzfristigen bonusrelevanten Gewinnen gehen und am Ende erst der Nachfolger im CEO-Büro profitiert.
Die Arbeitnehmerin und der Arbeitnehmer sollten sich schon bei der Wahl des Arbeitgebers fragen, wie viel Risiko er oder sie bei der Entlohnung in Kauf nehmen will. Der Familienvater mit zwei kleinen Kindern im Vorschulalter ist mit einem Fixlohn wahrscheinlich besser beraten, während sich ein Studienabgänger mit grossen Ambitionen einen höheren variablen Anteil mit allen damit verbundenen Risiken eher leisten kann.
«Boni sind eine Form der Kontrolle»
Angestellte wie auch Unternehmen sollten bei der Beurteilung von variablen Vergütungssystemen neben der ökonomischen auch die menschliche Komponente berücksichtigen – dann werden auch die Nachteile einer aggressiven Lohnpolitik sichtbar. Die Soziologieprofessorin Katja Rost von der Universität Zürich formuliert es ohne Umschweife: «Boni sind kein nettes Geschenk an die Angestellten, sondern eine Form der Kontrolle.»
In dieser Logik wälzen die Unternehmen einen Teil des Geschäftsrisikos auf die Angestellten ab. Gleichzeitig stellt die Aussicht, dank höherer Leistung am Ende einen höheren Geldbetrag zu erhalten, unglaublich starke, sogenannt extrinsische Motivation dar. In Berufen, bei denen die Angestellten im Akkordlohn am Fliessband arbeiten, kann dies laut Rost durchaus funktionieren, wenn gleichzeitig ein funktionierendes Qualitätsmanagement die Güte der produzierten Ware überprüft.
Problematischer wird es bei Berufen, bei denen die intrinsische Motivation eine grosse Rolle spielt. Studien in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass Krankenschwestern, die für die Anzahl der betreuten Patientinnen pro Stunde belohnt werden, die Freude an ihrer Tätigkeit verlieren – und die Qualität der Pflege abnimmt, was natürlich nicht das Ziel des Arbeitgebers sein kann.
Das grösste Potenzial für Fehlanreize bergen laut Rost Bonussysteme, die sich ausschliesslich an individuellen Zielen ausrichten und wie die sprichwörtliche Karotte vor der Nase funktionieren. «Wenn die Leute intrinsisch motiviert sind, braucht es keine Bonuszahlungen», sagt Rost. Wenn Unternehmen aufgrund des Wettbewerbs variable Vergütungen anbieten müssen, dann plädiert sie für Gewinnbeteiligungen, die der Neidkultur im Unternehmen entgegenwirkten.
In der Schweiz hat sich unter anderem die Zürcher Kantonalbank (ZKB) für dieses Modell entschieden. Der Noch-CEO Martin Scholl sagte kürzlich in einem Interview mit der NZZ, ein hoher variabler Lohnanteil sei sinnvoll. Aber nur, wenn das Anreizmodell vernünftig sei: «Niemand bei uns kann allein Erfolg haben. Jeder braucht den anderen.» Seit sechs Jahren hätten zudem weder Mitarbeiterbeurteilungen noch individuelle Zielsetzungen einen Einfluss auf die Entschädigung. «Viele meiner Kollegen in anderen Banken sagen mir, sie würden das auch gern so handhaben.»
Bei Bonuszielen soll die Leistung des Teams im Fokus stehen
Je einfacher das variable Vergütungssystem ausfällt, desto besser, sagt auch Urs Klingler, der mit seiner Firma in den vergangenen zehn Jahren über 1700 Unternehmen in Vergütungsfragen beraten hat. Er ist überzeugt vom Nutzen von Leistungslöhnen: «Es ist wie im Sport: Auf einem absoluten Spitzenniveau wollen die Leute Leistung erbringen und dafür auch eine Belohnung erhalten.»
Mit einem Händedruck und einem «Merci» sei es im Topmanagement nicht getan. Er betrachte es mit Sorge, wenn sich Unternehmen aus der variablen Vergütung verabschiedeten. «Wenn Leistung nicht mehr belohnt wird und die Selbstzufriedenheit in der Geschäftsleitung überhandnimmt, dann riskieren Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt.»
Für Klingler sollten Boni und andere variable Vergütungsformen die Leistung des Teams abbilden. Neben Kosten- und Profitabilitätszielen sollten auch qualitative Faktoren eine Rolle spielen: Wenn eine Firma laufend Reputationsprobleme hat und in der Presse mit Skandalen von sich reden macht, soll sich dies in der variablen Vergütung niederschlagen. Es lohnt sich auch, statt die absolute die relative Veränderung gegenüber dem Vorjahr zu honorieren.
Eine direkte Anknüpfung der variablen Komponente an die individuelle Leistung hält er aber wie die Soziologin Rost für wenig zielführend. «Dann führen die Mitarbeiter nur noch die Tätigkeiten aus, die ihnen am meisten Geld einbringen.» Ganz abzuraten von leistungsabhängigen Boni jeglicher Art ist bei Funktionen mit Aufsichtscharakter, also im Bereich Compliance und im Qualitätsmanagement, aber auch im Verwaltungsrat.
Auf Stufe des Topmanagements werden die Vergütungssysteme meist komplexer. Für mindestens drei Jahre gesperrte Aktienpakete haben gegenüber dem klassischen Cash-Bonus den Vorteil, dass der Empfänger für jedes Jahr einen Steuerrabatt von 6 Prozent erhält.
Trotzdem darf laut Klingler nicht vergessen werden, dass das volkswirtschaftliche und das geopolitische Umfeld einen grossen Einfluss auf den Aktienkurs eines kotierten Unternehmens ausüben: Wenn die Inflation ausser Kontrolle gerät, der Krieg in der Ukraine weiter eskaliert oder Lockdowns in China die weltweiten Lieferketten aus dem Gefüge bringen, hat dies wenig bis gar nichts mit der Leistung des CEO und der Geschäftsleitung zu tun.
Bei Aktienoptionen kann ein starker Einbruch des Kurses je nach Ausübungspreis gar die Folge haben, dass das betreffende Geschäftsleitungsmitglied leer ausgeht. Gleichzeitig kann es im gegenteiligen Fall bei einem starken Kursanstieg einen enormen Gewinn erzielen. «Diese Vor- und Nachteile gilt es gegeneinander abzuwägen. Aktien- und Optionspakete sollten aber in jedem Fall nur einen Teil der variablen Vergütung des Topkaders darstellen», sagt Klingler.
Transparenz über den Geschäftsverlauf schon während des Jahrs
Optionen sind auch dann kein geeignetes Instrument, wenn die Mitarbeiter, die sie erhalten, den Mechanismus dahinter nur beschränkt oder gar nicht nachvollziehen können. «Optionen beziehen sich oft auf das Gesamtgeschäftsergebnis, worauf die Mitarbeitenden teilweise kaum oder nur einen geringen Einfluss haben. Es ist deshalb wichtig, dass die relevanten Messgrössen klar kommuniziert und erklärt werden», sagt Erhard Lüthi, Unternehmensberater und emeritierter HR-Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Es sei entscheidend, dass sich die Mitarbeiter am Ende des Geschäftsjahres fair behandelt fühlten. Dafür sei vor allem die Transparenz entscheidend.
Es gibt Unternehmen, die unter dem Jahr intern über den aktuellen Stand der massgebenden Kennzahlen informieren, damit die Mitarbeiter wissen, wie hoch ihr variabler Lohnanteil Ende Jahr ausfallen dürfte. Das verhindert auch, dass Angestellte in finanzielle Probleme geraten, wenn sie ihren Bonus als gegeben betrachten und diesen zur Bezahlung ihrer Steuerrechnung einsetzen wollen.
«Fast jeder Mitarbeiter versteht, dass der Bonus in einem schlechten Jahr tiefer ausfällt. Aber das bedingt, dass die Angestellten Vertrauen in die Geschäftsführung und in die Berechnung der variablen Lohnbestandteile haben», sagt Lüthi.