Wie der Staat private Berufsberater aus dem Markt drängt Mit Millionen subventioniert der Bund die Berufsberatung für über 40-Jährige. Was gut gemeint ist, hilft den Falschen – und schadet der Privatwirtschaft. Ein Lehrstück des Staatsinterventionismus.
Mit Millionen subventioniert der Bund die Berufsberatung für über 40-Jährige. Was gut gemeint ist, hilft den Falschen – und schadet der Privatwirtschaft. Ein Lehrstück des Staatsinterventionismus.
Der Bankkadermann hat genug von seinem Job und möchte sich beruflich verändern. Bloss wie? Er vereinbart einen Termin mit dem Berufs- und Laufbahnberater Jürg Enderli – sagt dann aber kurzfristig wieder ab. Der Grund: Er hat von Viamia erfahren, einer kostenlosen Berufsberatung von Bund und Kantonen für über 40-Jährige. Da kann er sich die teure private Dienstleistung sparen.
«Mit seiner Kampagne treibt der Bund viele Kleinunternehmen in Existenznöte», sagt Enderli, der das Beispiel erzählt. Schon mehrere Kunden seien ihm wegen Viamia abgesprungen. Und er ist damit nicht allein. Der Co-Präsident des Berufsverbandes Laufbahnswiss, in welchem die privaten Laufbahnberatenden organisiert sind, hat eine Umfrage bei den Mitgliedern durchgeführt. Rund 90 Prozent berichten von einem starken oder moderaten Rückgang der über 40-jährigen Kundschaft wegen Viamia.
Enderli protestierte per E-Mail direkt bei Bundesrat Guy Parmelin, dessen Staatssekretariat für Forschung, Bildung und Innovation für die Kampagne verantwortlich ist. Parmelin schrieb zurück und betonte, dass Viamia die Privaten nicht konkurrieren solle. «Das tut es eben doch», sagt Enderli. Betroffen seien rund 300 private Berufsberater in der Schweiz.
Mit Giesskanne verteilt
Viamia wurde vom Bund als eine der vielen Antworten auf die vom Volk angenommene Masseneinwanderungsinitiative aus der Taufe gehoben, um das inländische Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen. Zielgruppe wären vor allem schlechter Qualifizierte, genutzt wird das Angebot indes mehrheitlich von Personen mit guten Arbeitsmarktchancen. 40 Millionen Franken gibt der Bund dafür 2020 bis 2024 aus. Danach sollen die Kantone schrittweise die Finanzierung übernehmen, wogegen sie sich wehren. Doch das ist wieder eine andere Geschichte.
«Da werden Steuergelder mit der Giesskanne verteilt», kritisiert Ständerat Ruedi Noser. Und Viamia sei nur ein Beispiel dafür, wie der Staat im Bereich der Berufs- und Laufbahnberatung zunehmend private Anbieter an den Rand dränge. «Die Berufsberatung hat sich zur staatsmonopolistischen Organisation entwickelt», sagt der FDP-Politiker. Das führe dazu, dass immer mehr Kantone solche Leistungen gratis anböten. Auch der Kanton Zürich zieht nach: Die Regierung will das ganze Grundangebot kostenlos machen.
An den Rand gedrängt fühlt sich zum Beispiel Reinhard Schmid, der in den 1970er Jahren eine Beratungsfirma gegründet hatte, die sich zu einem grösseren Institut entwickelte. Er ist Herausgeber diverser Laufbahn- und Berufsberatungslehrmittel. Ursprünglich hätten private und öffentliche Anbieter gut kooperiert, erzählt er. Doch: «Mit dem Berufsbildungsgesetz wurde die Verantwortung für die Berufsberatung abschliessend den Kantonen zugewiesen.» Seither hätten die Kantone «faktisch ein Monopol». Das spüre sein S-&-B-Institut, das er mittlerweile der nächsten Generation übergeben hat.
Was tun? Noser will die private Berufsberatung explizit im Berufsbildungsgesetz festschreiben. Dann wäre sie juristisch gleichberechtigt. Zudem soll die staatliche Berufsberatung nur für jene gratis sein, die weder Lehrabschluss noch Matura haben. Sonst gilt: «Entweder muss die Beratung für alle kostenpflichtig sein, oder dann soll der Staat alle Angebote, auch jene der Privaten, subventionieren.» Der Wettbewerb dürfe nicht verzerrt werden, argumentiert er. Demnächst wird seine entsprechende parlamentarische Initiative in der ständerätlichen Kommission behandelt.
Esoterische Beratungen
Dort kommt es zum Showdown zwischen öffentlichen und privaten Anbietern. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Berufs-, Studien- und Laufbahnberatungen (SK-BSLB) wehrt sich: «Die Initiative greift in die Autonomie der Kantone ein», sagt der Präsident Daniel Reumiller. Eine allgemeine Kostenpflicht lehnt er ab: Es sei eine Frage der Chancengleichheit, dass alle Zugang hätten zu diesen Angeboten – nicht nur solche, die es sich leisten könnten. Die andere Variante, dass der Staat auch private Beratungen finanziere, sei «aufwendig und kostspielig». Betreffend Viamia sei das Problem erkannt, man werbe nun gezielter um geringer Qualifizierte, sagt er.
Sandra Thüring ist im Vorstand des Fachverbands Profunda-Suisse, in dem vorab Berater der öffentlichen Anbieter zusammengeschlossen sind. Sie lehnt die gesetzliche Gleichstellung öffentlicher und privater Beratungen ebenfalls ab. «Wir fordern von unseren Mitgliedern eine einschlägige Ausbildung», erklärt sie. «Bei den Privaten gibt es auch Angebote, die unseren Vorgaben nicht entsprechen, wie spirituelle und esoterische Beratungen.» Im Gegensatz zu den Privaten stünden die Öffentlichen als Teil des Bildungssystems in der Verantwortung, die nationalen und kantonalen Bildungsziele zu verfolgen. Gegen eine punktuelle Zusammenarbeit habe sie hingegen nichts. «Das geschieht zum Teil auch heute schon.»
Der Konflikt bringt den Schweizerischen Gewerbeverband ins Dilemma. Im Rahmen der Berufsbildung sei man zwar froh um die gute Kooperation der öffentlichen Stellen mit dem Gewerbe, sagt der Co-Direktor Dieter Kläy. «Doch zeigt sich hier beispielhaft, wie der Staat immer weiter in die Privatwirtschaft vordringt und private Unternehmen an die Wand drängt.» Darum unterstütze der Verband die Initiative.
Im Ständerat hat die parlamentarische Initiative gute Chancen. Politiker von Mitte über FDP bis SVP haben sie unterzeichnet. Aber auch wenn sie durch beide Räte käme, dauerte es noch lange, bis sie umgesetzt wird. Für Enderli und viele andere private Berufsberatende heisst es so lange: Gürtel enger schnallen – oder die eigene berufliche Laufbahn überdenken.