«Hitze bedeutet Stress»: wie sich hohe Temperaturen auf die Psyche auswirken Die Hitzewelle belastet Menschen nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf. Besonders Personen mit psychischen Erkrankungen leiden.
Die Hitzewelle belastet Menschen nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf. Besonders Personen mit psychischen Erkrankungen leiden.
Überall ist es heiss: im Tram, in der Wohnung, im Büro. Wir schwitzen, und das ist anstrengend für den Körper und die Psyche. Dass Hitze die Gesundheit bedroht, ist medizinisch sehr gut erforscht. Die Gefahren einer Dehydration oder eines Hitzschlags sind bekannt. Welchen Einfluss die hohen Temperaturen auf die psychische Gesundheit haben, wird hingegen selten diskutiert.
Doch das Thema wird je länger, je relevanter. Laut wissenschaftlichen Berechnungen werden Hitzewellen in den kommenden Jahren in Westeuropa häufiger vorkommen. Und es wird immer mehr sogenannte Tropennächte geben, in denen die Temperaturen nicht unter 20 Grad fallen. Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben deshalb begonnen, die Auswirkungen des Klimawandels auf die menschliche Psyche zu untersuchen.
Hitze macht die Menschen aggressiv
Einer von ihnen ist der Arzt Sebastian Karl vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Karl ist Teil der Task-Force «Klima und Psyche» der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Die Task-Force wurde im vergangenen Jahr mit dem Ziel gegründet, den wissenschaftlichen Stand zusammenzufassen. Sebastian Karl sagt: «Hitze bedeutet Stress.»
Bei extremer Hitze den Alltag zu bewältigen, sei mühsam, sagt Karl weiter. Es koste viele kognitive Ressourcen, also Kapazitäten, die man brauche, um in stressigen Situationen ruhig zu bleiben. Das können Diskussionen im Büro, Auseinandersetzungen in der Familie oder der Heimweg im Feierabendverkehr sein. Wenn es heiss ist, ist man schneller genervt. Oder wie Karl sagt: «Dass eine Sicherung durchbrennt, ist wahrscheinlicher, wenn ich mit mehreren Stressfaktoren gleichzeitig konfrontiert bin.»
Zahlreiche Studien zeigen, dass Hitzewellen die Menschen aggressiv machen. In den USA haben Forscherinnen und Forscher in Chats und Tweets nach Beschimpfungen gesucht und festgestellt: Je heisser es ist, desto wütender sind die Menschen. Auch eine Untersuchung in psychiatrischen Kliniken in Deutschland hat gezeigt, dass sich Patientinnen und Patienten während Hitzewellen aggressiver verhalten. Und eine weitere Studie legt gar nahe, dass bei steigenden Temperaturen die Zahl der Gewalttaten zunimmt.
Mechanismen sind noch unerforscht
Was passiert im Kopf, wenn es heiss ist? Grundsätzlich sei das schwierig zu erforschen, sagt Karl. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, müsse man von jeder Einzelperson wissen, wie lange und wie stark sie der Hitze ausgesetzt gewesen sei. Man gehe davon aus, dass es ein Zusammenspiel verschiedener Mechanismen sei. So könne starke Hitze beispielsweise Nervenzellen schädigen oder kleine Entzündungen im Gehirn auslösen.
Weiter kursiert die Theorie, dass Hitze die sogenannte Barrierefunktion der Blut-Hirn-Schranke erschwert. Die Blut-Hirn-Schranke stellt sicher, dass keine Schadstoffe durchs Blut ins Hirn gelangen. Hohe Temperaturen führen möglicherweise dazu, dass diese Barriere nicht mehr richtig funktioniert – und Schadstoffe ins Gehirn lässt.
Menschen mit psychischen Erkrankungen leiden besonders
Dass Hitze die Psyche belaste, gelte für alle, sagt Karl. Doch klar ist auch: Nicht alle Menschen sind der Hitze gleichermassen ausgesetzt. Es komme darauf an, ob man bei 35 Grad auf einer Baustelle arbeite – oder in einem klimatisierten Büro vor dem Computer sitze.
Hinzu kommt, dass Menschen unterschiedlich auf die hohen Temperaturen reagieren. Suchtkranke, die ihren Körper mit dem Konsum von Alkohol oder Drogen ohnehin schon belasten, sind stärker gefährdet. Und Personen, die an Demenz oder Schizophrenie erkrankt sind, besitzen nicht die Fähigkeit, sich richtig gegen die Hitze zu schützen.
Allgemein sind Menschen, die bereits an psychischen Erkrankungen leiden, von Hitzewellen besonders betroffen. Es gibt Studien, die zeigen, dass an heissen Tagen mehr Menschen Suizid begehen. Und es gibt Zahlen, die belegen, dass bei anhaltender Hitze die Zahl psychiatrischer Notfälle steigt. An heissen Tagen melden sich mehr Menschen mit Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie im Spital.