«The buyer commits to buy» oder eben doch nicht … Aktenzeichen KMU_today_002: Die Kolumne von André Brunschweiler, Partner der Anwaltskanzlei Lalive in Zürich, gibt Antworten auf juristische Fragen, die Schweizer KMU beschäftigen können beziehungsweise beschäftigen sollten.

Aktenzeichen KMU_today_002: Die Kolumne von André Brunschweiler, Partner der Anwaltskanzlei Lalive in Zürich, gibt Antworten auf juristische Fragen, die Schweizer KMU beschäftigen können beziehungsweise beschäftigen sollten.

André Brunschweiler, Partner der Anwaltskanzlei Lalive in Zürich. (Foto: PD)

«The buyer commits to buy from the seller an additional participation of 2,5% in the company at a purchase price of CHF 4,25 Mio.»: Ob diese Klausel in einem Aktienkaufvertrag eine Verpflichtung darstellt oder nur eine unverbindliche Kaufabsicht, beschäftigte die Schweizer Justiz während fünf Jahren über alle Instanzen bis zum Bundesgericht (siehe Urteil «4A_277/2023» vom 16. Januar 2024).

Was haben die Parteien beim Vertragsabschluss tatsächlich gewollt?

«Bei der Beurteilung eines Vertrages sowohl nach Form als nach Inhalt ist der übereinstimmende wirkliche Wille und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise zu beachten, die von den Parteien aus Irrtum oder in der Absicht gebraucht wird, die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verbergen», so steht es in Artikel 18 des Schweizer Obligationenrechts, kurz OR.

Art. 18 OR ist der Leitfaden jeder Vertragsauslegung. Streiten sich Parteien über den Inhalt eines Vertrags, muss das Gericht zunächst herausfinden, was dieser «übereinstimmende wirkliche Wille» der Vertragsparteien war. Die Leitfrage lautet: Was wollten die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses tatsächlich?

Dabei trägt jener die Beweislast, der für sich Ansprüche aus dem Vertrag ableitet. Im eingangs erwähnten Beispiel musste der Verkäufer gegen den Käufer beweisen, dass letzterer zusätzliche Aktien zum Preis von 4,25 Millionen Franken kaufen wollte.

In einer streitigen Situation ist oft schwierig nachzuweisen, was übereinstimmend und tatsächlich gewollt war: Die andere Partei behauptet das Gegenteil und üblicherweise fehlen die wesentlichen Beweise.

Wie durfte und musste die strittige Klausel verstanden werden?

Scheitert der Nachweis des übereinstimmend Gewollten, muss das Gericht versuchen, den mutmasslichen Willen der Parteien anhand der Frage festzustellen: Wie durfte und musste die strittige Klausel in guten Treuen verstanden werden?

Ausgangspunkt jeder Auslegung eines Vertrags ist stets der Wortlaut. Jedoch kann auch ein klarer Wortlaut auslegungsbedürftig sein, wie das Beispiel am Anfang zeigt. Der Wortlaut ist im Zusammenhang und nach Sinn und Zweck, aber auch im Gesamtkontext des Vertrags zu verstehen und wird vor dem Hintergrund der konkreten Umstände der Parteien bei Vertragsschluss betrachtet. Der Richter geht stets davon aus, dass die Parteien eine (objektiv) sachgerechte Lösung wollten.

Immerhin gilt: Wer ein Verständnis behauptet, das dem klaren Wortlaut widerspricht, muss dieses beweisen. Massgeblich ist dabei immer das Verständnis zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

Entwürfe und Korrespondenz helfen bei der Vertragsauslegung

In der Praxis sind Entwürfe oder Korrespondenz rund um den Vertragsabschluss sehr wichtige und oft unterschätzte Hilfsmittel für die Auslegung. Diese ermöglichen oftmals das Verständnis der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wiederzugeben.

Es empfiehlt sich deshalb, frühere Entwürfe und Mark-ups von Verträgen sowie die Korrespondenz während der Vertragsverhandlung aufzubewahren. Ebenfalls wichtig ist festzuhalten, wer die Verhandlungen geführt hat und wesentliche Punkte zu protokollieren. Diese Dokumente sind dabei mit Bedacht darauf zu verfassen, dass diese Unterlagen eben relevant sein können für die spätere Vertragsauslegung. Das ist einfach gesagt, in der Praxis aber oftmals schwierig umzusetzen.

Dies bestätigt auch das Beispiel am Anfang: Obschon der Wortlaut der Bestimmung sehr klar erscheint, konnte der Käufer die zweite Instanz des Gericht – trotz vermeintlich klaren Wortlauts – davon überzeugen, dass er nur eine unverbindliche Absichtserklärung abgeben wollte. So konnte er den Rechtsstreit über fünf Jahre hinweg in die Länge zu ziehen. Eine der Schwierigkeiten war, dass es weder (frühere) Vertragsentwürfe noch Korrespondenz zu den Vertragsverhandlungen gab, die es erlaubt hätten, die Absicht der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu beweisen.

Glücklicherweise behielt der Grundsatz «Was lange währt, kommt endlich gut» auch hier recht und der Verkäufer obsiegte letztlich vor Bundesgericht.

Lalive

Rechtsanwalt André Brunschweiler ist spezialisiert auf die Beratung und Vertretung von Klienten in (meist strittigen) wirtschaftsrechtlichen Angelegenheiten mit einem Fokus auf Vertrags- und Gesellschaftsrecht, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht sowie Arbeitsrecht. Er ist Partner bei der Wirtschaftskanzlei Lalive, die von den Standorten in Zürich, Genf und London aus Unternehmen, Behörden sowie Privatpersonen in komplexen, vorwiegend internationalen Sachverhalten und vor allem Streitigkeiten berät.

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