Im «Zoom der Zukunft» reden wir mit Hologrammen Lange dienten dreidimensionale Projektionen nur der Unterhaltungsindustrie, doch zunehmend entdeckt auch die Wirtschaft die Technologie für sich. Konferieren wir bald über Hologramme statt über Zoom?
Lange dienten dreidimensionale Projektionen nur der Unterhaltungsindustrie, doch zunehmend entdeckt auch die Wirtschaft die Technologie für sich. Konferieren wir bald über Hologramme statt über Zoom?
Für einmal steht Jimmy Kimmel allein im Aufnahmestudio, ohne die Zuschauer seiner Late-Night-Talkshow. «Wenn Sie dieses Hologramm sehen, dann bedeutet das, dass ich tot bin», sagt der amerikanische Entertainer in die Kamera. «Aber dieses dreidimensionale Video wird weiterlaufen, jede Nacht, jeden Tag, bis sich die Barmänner hier wünschen, sie wären ebenfalls tot.»
Der Produzent hinter der Kamera muss bei dem Witz schmunzeln, die Zuschauer werden später hoffentlich loslachen – und sich dann für ein Selfie mit Kimmel anstellen. Oder besser gesagt: ein Selfie mit seinem holografischen Ich. Dieses zeichnet der Entertainer an diesem Tag in Los Angeles auf, bald soll es ihn in seinem Comedy-Klub in Las Vegas vertreten, während er selbst Hunderte von Kilometern entfernt an anderen Produktionen arbeitet.
Startups und Tech-Riesen feilen an der Zukunft der virtuellen Kommunikation
Solche dreidimensionalen, fotorealistischen Darstellungen – im Volksmund Hologramme genannt – zählen zu den führenden Technologietrends in Hollywood und erreichen zunehmend die Wirtschaft. In den USA tüfteln zahlreiche Startups und Tech-Riesen wie Google und Microsoft an Produkten, die versprechen, virtuelle Kommunikation massiv zu verbessern. Firmen wie der Schweizer Uhrenhersteller IWC, der Modekonzern Louis Vuitton und der Software-Konzern Salesforce nutzen sie schon heute, um sich selbst oder ihre Produkte rund um den Globus zu beamen.
Besuche bei mehreren Firmen zeigen, wie gut die Technologie bereits funktioniert, auch dank den jüngsten Fortschritten in künstlicher Intelligenz. Die Frage steht im Raum, ob der Durchbruch auf dem Konsumentenmarkt bevorsteht – und wir alle schon bald mit dreidimensionalen Darstellungen unserer Gesprächspartner telefonieren.
Die Macher von «Star Wars» griffen Hologramme mit als Erste auf
3-D-Projektionen faszinieren Menschen bereits seit dem 19. Jahrhundert. Im Jahr 1862 gelang es dem englischen Wissenschafter John Henry Pepper, Personen hinter Glasscheiben in bestimmten Winkeln so zu beleuchten, dass sich optische Illusionen bildeten: Wie von Geisterhand schienen diese Personen aus dem Nichts in einem Nebenraum aufzutauchen – in Wahrheit standen sie versteckt hinter den Glasscheiben. Diesen «Pepper’s Ghost»-Trick nutzten bald Theater, Jahrmärkte und im 20. Jahrhundert auch Disneyland, um Besucher zu begeistern.
Ab 1947 erfand dann der britisch-ungarische Physiker Dennis Gabor die Holografie: Ihm gelang es, ein Wellenfeld so aufzuzeichnen und zu rekonstruieren, dass Objekte frei im Raum zu schweben scheinen und sich ein dreidimensionales Bild ergibt – ohne dass sich die Person in der Nähe versteckt. Zwanzig Jahre später erhielt er dafür den Nobelpreis in Physik.
Bald griffen die Produzenten der Sci-Fi-Saga «Star Wars» die Idee auf; im ersten Film von 1977 bittet eine holografische Projektion von Prinzessin Leia die Rebellenarmee um Hilfe.
Für weltweites Aufsehen sorgte auch, als die Organisatoren des kalifornischen Musikfestivals Coachella 2012 den Jahre zuvor erschossenen Rapper Tupac Shakur so wiederauferstehen liessen. Dahinter steckte letztlich der «Pepper’s Ghost»-Trick – in der Luft gespiegelte Videoaufnahmen des Künstlers, die Computer aus früheren Auftritten neu zusammengesetzt hatten.
Doch das Publikum reagierte so begeistert, dass pfiffige Unternehmer auf diese Weise auch andere verstorbene Sänger wie Michael Jackson und Whitney Houston auf Tour schickten. Hollywood-Studios nutzen die Technologie inzwischen ebenfalls als Spezialeffekt.
Die Corona-Pandemie zeigt den Nutzen von Hologrammen für die Wirtschaft
Dass Hologramme nicht nur für die Unterhaltungsindustrie, sondern auch für die Wirtschaft attraktiv sein können, zeigte vor allem die Corona-Pandemie mit ihren monatelangen Reiserestriktionen. Der CEO des Schaffhauser Uhrenherstellers IWC, Christoph Grainger-Herr, etwa beamte sich 2021 auf diese Weise an die Uhrenmesse in Schanghai, gab Interviews und führte Produkte vor. Es sei ganz anders als ein einfacher Zoom-Call, sagte Grainger-Herr gegenüber der NZZ: «Die Erfahrung war so real, als würden sich alle Gesprächsteilnehmer im gleichen Raum befinden. Im Gegensatz zu einer herkömmlichen Videokonferenz kann man sich von Kopf bis Fuss sehen und austauschen, mit minimsten Verzögerungen.»
Grainger-Herr nutzte für seine virtuellen Auftritte das gleiche kalifornische Startup wie der Entertainer Jimmy Kimmel: Proto Hologram aus Los Angeles. Dieses hat seinen Sitz in einem unscheinbaren Flachbau im nördlichen Stadtteil Van Nuys. Der Vorführraum drinnen ist umso eindrücklicher: Das Model Paris Hilton winkt den Besuchern zu, Handtaschen des Designers Louis Vuitton drehen sich in der Luft, und die Musikerin Jewel spielt ein Konzert. Sie alle sind nicht wie Tupac Shakur frei in den Raum projiziert, sondern stecken in zwei Meter hohen Displays.
Diese Boxen namens «Proto Epic» sind das Hauptprodukt des Startups. Auch wenn sich Proto den Begriff Hologramm in den Namen schreibt, bietet die Firma genaugenommen keine Holografien an. Es sind zweidimensionale «volumetrische Projektionen in Echtzeit», wie der Gründer und CEO David Nussbaum es ausdrückt.
Proto spielt die Videoaufnahmen in ein Lichtdisplay in der Epic-Box, hauseigene Software legt dann einen Schatten dahinter – kombiniert ergibt sich ein verblüffend plastisches Bild. Man hat tatsächlich das Gefühl, Paris Hilton gegenüberzustehen – zumindest, solange man direkt vor der Box steht. Blickt man von der Seite darauf, wirkt die Projektion gleich weniger plastisch.
Mit ein paar Klicks auf seinem iPad kann Nussbaum den Inhalt jeder Epic-Box austauschen. Wo eben noch Paris Hilton stand, läuft auf einmal ein Model von H&M herum. Die Proto-Epic-Box kostet zurzeit stolze 65 000 Dollar, allerdings kann man sie auch mieten. Firmen auf der ganzen Welt nutzen sie inzwischen: Die Bekleidungsketten Louis Vuitton, Burberry und H&M haben mit ihnen die Mannequins in den Schaufenstern ausgewählter Filialen ersetzt. Das Auktionshaus Christie’s präsentiert in den Boxen seine zu versteigernden Kunstobjekte einer weltweiten Kundschaft, ohne diese für hohe Versicherungssummen um den Erdball fliegen zu müssen. Die Supermarktkette Walmart hat in einer Proto-Epic-Box ihren 1992 verstorbenen Erfinder Sam Walton «auferstehen» lassen, der nun Besucher im Konzern-Museum in Arkansas begrüsst. Am Firmensitz in Van Nuys steht neuerdings auch ein «Proto Bot», welcher der Sprach-KI Chat-GPT ein Gesicht verleihen soll.
Auch die University of Central Florida hat Proto-Boxen erworben, um ihren Medizinstudenten so Patienten vorzustellen, die an der Nervenkrankheit Huntington’s Disease leiden und nur schwer reisen können.
Googles «Starline» wirkt so plastisch, dass man seinem Gegenüber unwillkürlich einen Fistbump geben will
Was für einen Unterschied es jedoch macht, wenn man einer tatsächlich dreidimensionalen Projektion gegenübersteht, zeigt ein Besuch von Googles «Project Starline». Ich sitze in einem von Googles Büros im nordkalifornischen Sunnyvale, gegenüber sehe ich den Produktchef Andrew Nartker – oder besser gesagt: seine Projektion. Diese wirkt so plastisch, dass ich reflexartig meine Hand hebe, als Nartker mir seine Faust zum Fistbump entgegenstreckt. Seine Augen, die Uhr an seinem Handgelenk, sein Hemdkragen – alles wirkt so plastisch, als sitze er mir tatsächlich gegenüber und nicht in einem separaten Raum.
Google forscht seit gut sieben Jahren an der Technologie, erstmals stellte der CEO Sundar Pichai eine Starline-Box an der Entwicklerkonferenz 2021 vor. Auch Google verwendet keine Holografie für die dreidimensionale Darstellung: Strenggenommen schaue ich auf einen Monitor mit Nartkers Avatar, also seinem virtuellen Ebenbild – allerdings einem, das verblüffend real aussieht und sich in Echtzeit wie er verhält.
Technologisch ist das Ganze sehr komplex, vereinfacht ausgedrückt funktioniert es so: Kameras an Nartkers Starline-Monitor scannen ihn in Echtzeit und erstellen ein fotorealistisches, hochauflösendes 3-D-Modell. Dieses wird auf das Stereodisplay meiner Starline-Box projiziert. Im Hintergrund berechnen künstlich intelligente Algorithmen dieses 3-D-Modell ständig neu, während Nartker sich bewegt. «Das Ergebnis ist, dass das Display praktisch zu einem Fenster wird, durch das hindurch Sie mich anschauen können», sagt er.
Die Starline-Box ist vielleicht eineinhalb Meter breit und 70 Zentimeter hoch – so gross, dass der Oberkörper meines Gegenübers ähnlich gross erscheint, wie wenn wir an einem Konferenztisch sässen. Auch Google projiziert einen künstlichen Schatten dahinter als visuellen Trick.
Wann die Produkte von Starline auf den Markt kommen, kommuniziert Google nicht, ebenso wenig wie den anvisierten Preis. Man arbeite noch an einer Reihe von Anwendungsbereichen, etwa für Gruppenarbeiten an einem Dokument. Und es ist davon auszugehen, dass der Markteintritt eines Tech-Riesen wie Google die Technologie noch einmal massentauglicher machen wird. Bis jetzt jedoch ist Starline erst ausgewählten «Googlern» in den USA zugänglich sowie Mitarbeitern der Partnerfirmen WeWork, Salesforce und T-Mobile.
Die äussern sich durchaus positiv über die neue Form der Videotelefonie: Die Starline-Hologramme, so sagte 2021 etwa der Produktchef von WeWork, Hamid Mashemi, vermittelten bei Interaktionen ein natürlicheres Gefühl, als es die gängigen Videokonferenz-Programme täten. Denn bei denen sehe man die Körpersprache des anderen nicht und fange bisweilen gleichzeitig an zu reden. «Natürlich könnten wir Gespräche auch über Zoom führen, aber es wäre nicht so effektiv.»
Das zeigt auch eine von Google Research durchgeführte Studie: Demnach sind die Teilnehmer bei Starline aufmerksamer, erinnern sich an mehr Inhalte und erfassen mehr nonverbale Kommunikation als bei zweidimensionalen Videokonferenzsystemen. Allerdings waren alle Studienteilnehmer auch Mitarbeiter von Google, wenn auch nicht des Starline-Projekts.
Doch wird die Nachfrage nach solchen Projektionen bleiben, da doch die Corona-Pandemie vorbei ist und viele Menschen froh sind, sich wieder persönlich sehen zu können? «In einer globalisierten Welt arbeiten nach wie vor viele Teams geografisch verstreut, so wie auch meines», sagt Nartker. Er gibt sich überzeugt: «Wir brauchen bessere Kommunikationstechnologie, damit wir uns stärker verbunden fühlen und besser spüren können.»
Nartker glaubt auch, dass die Bildschirme den virtuellen Headsets überlegen seien, an denen der Konkurrent Microsoft mit seiner holografischen Brille Hololens arbeite – oder Apples neuer Vision Pro. «Ohne ein Headset fühlt man sich am Ende des Tages weniger erschöpft.»
Tatsächlich ist es schwer zu glauben, dass ich nicht den echten Nartker, sondern nur seinen Avatar anschaue. Nur bei ganz genauem Hinsehen flackern bisweilen Nartkers Hände merkwürdig auf. Der Algorithmus habe vor allem bei Fingern Probleme, die Konturen zu berechnen, erklärt Nartker. Er träumt davon, dass die Starline-Boxen eines Tages in jeder Wohnung stehen. Dafür müsse die Technologie aber nicht nur besser, sondern auch günstiger werden.
Auch David Nussbaum von Proto hofft, dass sich eines Tages der breite Konsumentenmarkt erschliesst. Er selbst telefoniere auf diese Weise bereits mit seinen Kindern, wenn er auf Dienstreise sei. Für Konsumenten werde die Technologie attraktiv, sobald die kleine Version seiner Epic-Box – zirka 60 Zentimeter hoch – einmal weniger als 1000 Dollar koste,glaubt er. Zurzeit sind es noch stolze 6900 Dollar.