Die wertvollste Firma der Welt betreibt ein Labor in Zürich: 200 Nvidia-Mitarbeiter forschen an der Europaallee an virtuellen Welten Der Anbieter von KI-Halbleitern ist diese Woche zur teuersten Firma der Welt geworden. Im diskreten Zürcher Büro arbeiten Forscher aber an Projekten, die gar nichts mit dem Kerngeschäft von Nvidia zu tun haben.
Der Anbieter von KI-Halbleitern ist diese Woche zur teuersten Firma der Welt geworden. Im diskreten Zürcher Büro arbeiten Forscher aber an Projekten, die gar nichts mit dem Kerngeschäft von Nvidia zu tun haben.
Von aussen deutet nichts darauf hin, dass in diesem unscheinbaren Gebäude eines der wertvollsten Unternehmen der Welt zu Hause ist. Im Gegenteil: An der Fassade prangt der Name einer anderen Firma, Leonteq. Wir befinden uns in der Europaallee, jenem Quartier, das die SBB am Zürcher Hauptbahnhof aus dem Boden gestampft haben.
Das Nvidia-Firmenlogo sieht erst, wer den Hauseingang betritt. Dabei beschäftigt Nvidia in der Schweiz bereits mehr als 200 Angestellte, wie ein Sprecher sagt. Es gibt keinen Zweifel: Nvidia tritt in Zürich bewusst diskret auf, und die Angestellten sollen auch nicht mit den Medien sprechen.
Aber natürlich kann die Präsenz von Nvidia nicht länger unter dem Radar bleiben – dafür hat das Unternehmen aus dem kalifornischen Santa Clara mittlerweile zu viel Profil.
Mehr als 3 Billionen Dollar Börsenwert
Diese Woche konnte es am Aktienmarkt erstmals alle anderen überrunden und war kurzzeitig das Unternehmen mit dem höchsten Börsenwert. Es bringt wie Apple und Microsoft mehr als 3 Billionen Dollar auf die Waage.
Auch einige Nvidia-Angestellte in Zürich haben es dem Vernehmen nach dank der rasanten Kursentwicklung zu Wohlstand gebracht. Noch vor ein paar Jahren mussten sie in ihrem persönlichen Umfeld erklären, wer ihr Arbeitgeber ist. Heute brauchen sie das nicht mehr zu tun. Nvidia hat in der Firmenwelt einen Superstarstatus erlangt.
Der amerikanische Konzern verkauft Goldgräbern Schaufeln: Wenn immer Google, Open-AI, Microsoft und Co. ihre Rechenzentren aufrüsten, damit dort grosse KI-Sprachmodelle laufen können, greifen sie auf die besonders leistungsfähigen Grafikkarten von Nvidia zurück.
Das war bei früheren Technologie-Hypes nicht anders. Auch Bitcoin-Miner oder Metaversum-Anbieter setzen auf den Goldstandard, die Nvidia-Halbleiter.
Schneller als das Gesetz erlaubt
Dabei hebelt Nvidia sogar Moore’s Law aus. Das ist eine Art Gesetzmässigkeit, wonach sich die Anzahl der Transistoren auf einem Computerchip alle ein bis zwei Jahre verdoppelt. Jüngst jedoch ist diese Entwicklung – die auch das Tempo der Digitalisierung vorgibt – an Grenzen gestossen.
Ausser bei Nvidia. Dessen Halbleiter der neusten Generation verfügt über 208 Milliarden Transistoren, das ist mehr als das 2,5-Fache des Vorgängermodells. «Erste Anzeichen deuten auf eine enorme Verbesserung der Rechenleistung und Effizienz für KI-Workloads hin und bestätigen, dass Nvidia schneller vorankommt als das traditionelle Mooresche Gesetz», bescheinigt Matthew Cioppa, Manager des Silicon-Valley-Anlagefonds Franklin Technology.
Obwohl Konkurrenten mit Hochdruck daran arbeiten, zu Nvidia aufzuschliessen, könnte dessen Dominanz im Bereich der KI-fähigen Halbleiter also noch zunehmen.
Doch das Unternehmen hat weit grössere Ambitionen, und diese sind auch der Grund für sein Forschungs- und Entwicklungszentrum an der Limmat. Hier tüftelt das Unternehmen nicht an Hard-, sondern an Software.
Seit 2008 in Zürich
Nach Zürich kam Nvidia bereits im Jahr 2008, als die Firma das an der ETH entstandene Jungunternehmen Novodex übernahm. Ein Mitgründer dieser Firma und ehemaliger ETH-Informatikstudent, Adam Moravanszky, leitet heute auch das Zürcher Büro von Nvidia. In Ungarn aufgewachsen und mit Games wie dem Microsoft-Flugsimulator sozialisiert, habe er eigentlich Computerspiele programmieren wollen, wie er vor kurzem dem Branchenblog O3DE schilderte.
Er habe aber feststellen müssen, dass es an der ETH keinen Studiengang für Game-Design gebe, und so entschied sich Moravanszky für das aus seiner Sicht nächstbeste Fach, Informatik mit einem Fokus auf Computergrafik.
Sein Startup Novodex entwickelte eine sogenannte Physik-Engine, die in Computerspielen, Simulationssoftware oder Filmstudios zur Anwendung kommt und dort für realitätsnahe Effekte sorgt.
2022 kaufte Nvidia ein weiteres ETH-Spin-off, die Firma Animatico, die interaktive Avatare entwickelte. Beiden Firmen ist gemein, dass sie aus dem renommierten ETH-Institut für Visual Computing hervorgingen.
Am Anfang steht die ETH
«Nvidia übernimmt viele unserer Absolventen», sagt Institutsleiter Markus Gross. «Wir pflegen enge Beziehungen zum Unternehmen.»
Nvidia hat in Zürich nicht nur einen Fokus. «In Forschungs- und Entwicklungszentren amerikanischer Konzerne arbeiten Mitarbeiter jeweils an verschiedensten Projekten, die sie in weltweit verteilten Teams vorantreiben. Sie können ihren Arbeitsort meist völlig unabhängig von ihrem Forschungsschwerpunkt wählen», erklärt Gross.
Ein Hauptaugenmerk des Zürcher Büros ist aber die Weiterentwicklung des sogenannten Omniverse, an der auch Büroleiter Moravanszky selbst arbeitet – falls er dazu überhaupt noch Zeit findet. Die von Animatico entwickelte Avatar-Technologie ist jetzt ebenfalls ein Teil von Omniverse – eine Cloud-Plattform, die Nvidia-Chef Jensen Huang sehr am Herzen liegt.
Huang, der die schwarze Lederjacke zu seinem Markenzeichen gemacht hat, will sich nicht mit der Rolle des Hardware-Zulieferers begnügen. Er hat früher als andere erkannt, dass die Zukunft der Computer dreidimensional ist, ganz so wie heute schon die virtuellen Lieblingsorte von Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Fortnite, Minecraft, Roblox und wie sie alle heissen. Oder das Metaversum von Meta. Der Apple-Konzern, der seine neue Datenbrille dieser Tage in Europa lanciert, nennt das «Spatial Computing».
«Das Omniverse ist eine Kollaborationsplattform für 3-D-Objekte, die offen für viele Dateiformate ist», sagt Christian Moser. Er ist Partner von Zühlke Engineering, einem Unternehmen, das im Kundenauftrag Innovationen entwickelt.
«Sie ermöglicht Firmen, ihre Produktionsprozesse mit KI zu optimieren: Sie können digitale Kopien ihrer Fabriken unterhalten, in die Echtzeitdaten der physischen Produktion einfliessen. Und mit denen dann auch verschiedene Szenarien simuliert werden können.» Solche digitalen Zwillinge – also zum Beispiel ein virtuelles Abbild einer realen Maschine – seien künftig unerlässlich für eine konkurrenzfähige Produktion, so Moser.
«Das Omniverse ist auch ein Ort, wo Roboter auf virtuellen Parcours trainieren und unendlich viele Versuche unternehmen können, ein definiertes Ziel zu erreichen. Da diese Physiksimulation der realen Welt ähnlich ist, lernen die Roboter rasch dazu. Das reduziert die Kosten und könnte in Zukunft zu grösseren Durchbrüchen in der Robotik führen», sagt Moser.
Das Gym für Roboter
Jensen Huang, der die grossen Auftritte liebt, bezeichnet die Omniverse-Cloud mitunter auch als «Robots Gym», als das Fitnessstudio für Roboter. Viele Investoren teilen seine Begeisterung.
Die Plattform von Nvidia finde grossen Zuspruch, da sie eine effiziente 3-D-Modellierung in verschiedenen Branchen ermögliche, sagt der Fondsmanager Matthew Cioppa. «Sie wird in Bereichen wie der Fabrikplanung, autonomen Fahrzeugen und der Entwicklung neuer Supercomputer eingesetzt. Wir erwarten ein starkes Wachstum im Bereich der Robotik, insbesondere jetzt, da KI als Enabler für das Training autonomer Roboter fungiert.»
Es ist gut möglich, dass Nvidia den Goldgräbern bald weniger Schaufeln verkaufen kann: Das Thema KI wirkt überhitzt, und die Zigmilliarden Investitionen in Hochleistungshalbleiter werden sich vielleicht nie rechnen. Nvidias zweites Standbein jedoch, das auf räumliches Computing und Simulation setzt, scheint im Vergleich noch unterschätzt. Und das ist auch für Zürich eine grosse Chance.
Markus Städeli, «Neue Zürcher Zeitung»