Schweizer Firmen sprechen sich regelmässig über Löhne ab: Das gehört unterbunden – gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels Ob Banken, Versicherungen oder Pharma: Mit Absprachen über Löhne und Arbeitsbedingungen versuchen Firmen ihre Angestellten zu benachteiligen. Es ist gut, dass die Wettbewerbshüter die Arbeitnehmer jetzt besser schützen wollen.
Ob Banken, Versicherungen oder Pharma: Mit Absprachen über Löhne und Arbeitsbedingungen versuchen Firmen ihre Angestellten zu benachteiligen. Es ist gut, dass die Wettbewerbshüter die Arbeitnehmer jetzt besser schützen wollen.
Die Wettbewerbskommission (Weko) hat Brisantes an die Öffentlichkeit gebracht. Schweizer Unternehmen sprechen sich offenbar ziemlich häufig über die Löhne und Arbeitsbedingungen ihrer Angestellten ab. Die Weko hat in Vorabklärungen Hinweise darauf gefunden, dass über 200 Firmen aus verschiedenen Branchen über Jahre hinweg den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt auszuhebeln versuchten.
Maximallöhne und Abwerbeverbote
Die Unternehmen machen zum Beispiel ab, wie viel sie einem Angestellten eines bestimmten Typs höchstens bezahlen. Sie legen fest, wie stark sie die Löhne im nächsten Jahr erhöhen. Sie bestimmen Eckwerte für Boni. Sie tauschen Lohndaten aus.
Auch abseits der Bezahlung treffen sie Abreden. Firmen in einer Branche legen etwa Abwerbeverbote für Mitarbeiter fest. Oder sie tauschen sich darüber aus, wie viel Flexibilität bei den Arbeitszeiten man den Angestellten gewährt.
Die Weko scheint selbst überrascht gewesen zu sein, wie verbreitet diese Praktiken sind. Zunächst ging sie nur Hinweisen nach, dass sich Banken unzulässigerweise über Löhne absprechen. Doch im Laufe der Abklärungen zeigte sich, dass es in der ganzen Wirtschaft eine Vielfalt von Abreden gibt, die ausserhalb von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) stattfinden. Laut der Weko fanden sich Beispiele in folgenden Branchen: Versicherungen, Pharma, Chemie, Energie, Gesundheitswesen, Logistik, Luxusgüter oder Life-Sciences.
Schaden für Arbeitnehmer und Volkswirtschaft
Diese Abreden sind ein Problem. Zum einen schaden sie den Arbeitnehmern. Beispielsweise würden ihre Löhne stärker steigen, wenn Konkurrenten in einer Branche nicht einen verbindlichen Maximallohn festlegen würden.
Zum anderen ist es aus gesamtwirtschaftlicher Sicht schlecht, wenn der Wettbewerb um Arbeitskräfte nicht spielt. Angestellte sollten frei zu jenem Arbeitgeber wechseln können, wo sie am produktivsten sind und ihre Ideen bestmöglich verwirklichen können. Sie sollten nicht vom Gedanken abgehalten werden, dass sich das nicht lohnt, weil die Arbeitsbedingungen in der Branche ohnehin überall gleich sind.
Weko setzt auf Richtlinien
Es ist deshalb richtig, dass die Wettbewerbshüter die Arbeitnehmer jetzt stärker vor Abreden schützen wollen. Die Weko tut das nicht, indem sie Verfahren gegen einzelne Firmen eröffnet. Stattdessen erarbeitet sie zusammen mit den Sozialpartnern und anderen involvierten Kreisen Richtlinien, die womöglich schon ab kommendem Jahr gelten werden.
Das Vorgehen ist nachvollziehbar. Wettbewerbsverfahren ziehen sich oft über viele Jahre hin. Mit Richtlinien zur Best Practice wissen die Unternehmen schneller, was sie dürfen und was nicht. Klar ist bereits, dass das Lehrlingswesen ausgenommen werden soll, denn in der Berufsbildung kann es sinnvoll sein, wenn Firmen Vereinbarungen treffen. Aber in der übrigen Arbeitswelt dürfte künftig etwa für Lohnabsprachen kein Platz mehr sein.
Reaktion auf den Arbeitskräftemangel
Für die Weko handelt es sich um ein relativ neues Feld. Traditionell kümmert sie sich darum, die Konsumenten vor marktmächtigen Unternehmen zu schützen. Zwar sind die genannten Abreden auf dem Arbeitsmarkt unter dem Schweizer Kartellgesetz schon seit langem verboten. Aber ähnlich wie andere Wettbewerbsbehörden in der westlichen Welt beginnt sich die Weko erst allmählich um das Thema zu kümmern.
Ein Grund dafür dürfte sein, dass sich die Arbeitswelt in den letzten Jahren gewandelt hat. In vielen Ländern herrscht Arbeitskräftemangel. Das gibt den Angestellten mehr Macht, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu erwirken. Die Unternehmen sollten diesen schärferen Wettbewerb um Arbeitskräfte nicht einfach abwürgen können, indem sie heimlich Absprachen treffen. Wenn die Weko den Arbeitnehmern dabei nun Rückdeckung gibt, ist das zu begrüssen.
Auch Gesamtarbeitsverträge höhlen den Wettbewerb aus
Es geht dabei notabene um Abreden, die ausserhalb von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) oder anderen sozialpartnerschaftlichen Einigungen stattfinden. GAV sind gewissermassen legale Kartelle: Unternehmen und Gewerkschaften legen verbindliche Löhne und Arbeitsbedingungen für eine Branche fest.
Auch solche Absprachen sind problematisch, selbst wenn sie vom Gesetz geschützt sind. Die Gewerkschaften haben in den vergangenen 20 Jahren mit gütiger Mithilfe der Politik erwirkt, dass sich Gesamtarbeitsverträge in der Schweiz immer mehr verbreitet haben. Dies war als flankierende Massnahme gedacht, um die Folgen der EU-Personenfreizügigkeit abzufedern.
Tatsächlich schützen GAV die «Insider» – also jene, die bereits eine Arbeit haben – vor Lohndruck. Aber sie benachteiligen auch die «Outsider» – also jene, die gerne ihre Arbeit zu anderen, vielleicht günstigeren Konditionen anbieten würden.
Die flankierenden Massnahmen haben so die Freiheit und Dynamik am Schweizer Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend ausgehöhlt. Es galt einmal als ein Trumpf der Schweiz, einen liberalen Arbeitsmarkt zu haben. Aber diese Errungenschaft ist in Gefahr. Von daher ist es positiv, wenn die Weko nun wenigstens dafür sorgt, dass es nicht auch noch abseits der Gesamtarbeitsverträge Abreden gibt – und das Prinzip des freien Wettbewerbs hochhält.
Matthias Benz, «Neue Zürcher Zeitung»