Wie überlebt man als kleiner Schweizer Schokoladehersteller, Herr Bloch? Im Zweiten Weltkrieg erfand Camille Bloch den Ragusa-Riegel und sparte dank Zugabe von Haselnüssen knappen Kakao. Heute fragt sich sein Enkel Daniel, wie die Rechnung für das Familienunternehmen trotz drastisch gestiegenen Rohstoffpreisen aufgehen kann. Ein Besuch im Berner Jura.
Im Zweiten Weltkrieg erfand Camille Bloch den Ragusa-Riegel und sparte dank Zugabe von Haselnüssen knappen Kakao. Heute fragt sich sein Enkel Daniel, wie die Rechnung für das Familienunternehmen trotz drastisch gestiegenen Rohstoffpreisen aufgehen kann. Ein Besuch im Berner Jura.
Es gibt besser gelegene Industriestandorte als Courtelary im Berner Jura. Von Biel aus ist das Dorf im Vallon de St-Imier nur über eine steile Anfahrt hinauf durch enge Täler erreichbar. Doch hier fand 1934 der Schokoladefabrikant Camille Bloch aus Bern, was er brauchte: bezahlbares Land (eine alte Papierfabrik) und Personal (arbeitslose Uhrenarbeiter).
Bloch schlängelt sich zwischen Fliessbändern, Walzen, Roboterarmen und Verpackungsmaschinen durch. Erklärt auf Berndeutsch geduldig, was gerade produziert wird. Fragt bei den Angestellten nach, wenn ihm etwas auffällt.
Kakaopreis auf Rekordhoch
Es sind schwierige Zeiten für Schokoladehersteller. Der Kakaopreis ist so hoch wie noch nie. Allein seit Jahresbeginn hat er sich ungefähr verdoppelt. Schuld ist eine Kombination aus schlechtem Wetter in den beiden Hauptanbauländern Côte d’Ivoire und Ghana, Krankheiten, die die Kakaobäume befallen, und Spekulation. Da die Bauern kaum höhere Preise erhalten, fehlt der Anreiz, Investitionen zu tätigen. Das Unterangebot treibt den Preis.
«Es ist eine aussergewöhnliche Situation», sagt Bloch.
Aus der Not heraus ist in Courtelary einst das bis heute wichtigste Produkt der Firma entstanden: Ragusa. Als während des Zweiten Weltkriegs der Kakao knapp war, suchte Camille Bloch wie viele andere Fabrikanten nach Ersatz für den Rohstoff. So entstand der Schokoladeriegel mit einer Haselnusspaste und Nüssen drin.
«So schlimm wie damals im Krieg ist es noch nicht», relativiert Bloch. Doch die Mehrkosten für das KMU sind beachtlich. Er rechnet vor: Sowohl beim Kakao als auch bei der Kakaobutter hat sich der Preis mehr als verdoppelt. Camille Bloch zahlt allein für diese beiden wichtigen Zutaten rund 6 Millionen Franken mehr als vor zwei Jahren. 6 Millionen bei einem Umsatz von 60 Millionen Franken – das fällt ins Gewicht.
Stellenabbau ist kein Thema
Die Kakao-Krise macht auch vor Riesen wie Barry Callebaut nicht halt. Der Zürcher Konzern (Umsatz: 8,5 Milliarden Franken), ein Zulieferer für Schokoladehersteller, Nahrungsmittelindustrie, Confiseure und Gastronomie, ist zudem mit einem Grossumbau beschäftigt. Diesem soll ein Fünftel der Arbeitsplätze zum Opfer fallen.
Bei Camille Bloch und ihren 180 Angestellten ist ein Stellenabbau kein Thema. «Wir haben nie jemanden entlassen, als das Geschäft einmal weniger gut lief», sagt Bloch.
Dafür macht man sich anderweitig Gedanken. Preiserhöhungen seien gegenüber Detailhändlern zwar einfacher zu erklären, wenn man sie mit externen Faktoren wie dem Kakaopreis erklären könne. Dennoch möchte Bloch dies in einem Umfeld, in dem die Konsumenten überall höhere Preise antreffen, nicht ausreizen. Lieber verzichte man in einem ersten Schritt auf Rabattaktionen, statt am Preis zu schrauben. Aber es ist klar: «Wir können damit nicht alle gestiegenen Kosten kompensieren.»
Mit den grossen Schweizer Detailhändlern steht Camille Bloch einer geballten Nachfragemacht gegenüber. «Die Diskussionen werden härter, doch bis jetzt sind unsere Kunden stets verantwortungsvoll mit der Situation umgegangen – sonst gäbe es uns ja nicht mehr», sagt Bloch.
Das Schweizer Schoggi-Kartell
Ein Schokoladekartell kennt man heute allenfalls aus dem Hollywood-Film über den Chocolatier Willy Wonka. Tatsächlich legten aber in der Schweiz die Hersteller über Jahrzehnte im Rahmen der «Convention chocolatière suisse» für die ganze Branche Margen, Rabatte und Marketingaktionen fest.
Aufgelöst wurde dieses Kartell erst 1994, ungefähr zu der Zeit, als Daniel Bloch in die Familienfirma eintrat. Fortan musste jeder Produzent selber mit den Detailhändlern feilschen, was die Verhandlungsposition der kleineren Firmen wie Camille Bloch nicht verbesserte.
Dass es für Schweizer Fabrikanten nicht einfacher geworden ist, zeigt der seit Jahren abnehmende Konsum inländischer Schokolade. Heute liegt ihr Anteil unter 60 Prozent. Zu Beginn des Jahrtausends waren es noch 80 Prozent.
Für diesen Rückgang verantwortlich sind einerseits internationale Konkurrenten wie Ferrero mit ihren starken Marken, anderseits produzieren auch grosse Schweizer Konzerne ihre Produkte zum Teil in ihren Werken im Ausland. Der Grund: Der Vorteil der tieferen Herstellungskosten überwiegt den Nachteil, dass man die Ware dann nicht mehr als Schweizer Schokolade verkaufen darf.
Für Camille Bloch, die ausschliesslich im Berner Jura und fast nur für den Schweizer Markt produziert (Exportanteil: 15 Prozent), ist das momentan keine Option. «Wir sind ein Schweizer Produkt. Darum wollen wir hier produzieren – mit Zucker und Milch aus der Schweiz», sagt Bloch. Und fügt an: «Solange wir uns das leisten können.»
Noch muss in die Schweiz importierte Schokolade verzollt werden. Doch mache dieser Grenzschutz den Nachteil der Produzenten im Inland nicht vollständig wett, sagt Bloch. Diese zahlten deutlich mehr für Zucker und Milch als die Konkurrenz im Ausland. Zudem mache die EU Druck für eine Reduktion oder Abschaffung der Zölle.
Ärgernis Zuckerpreise
Besonders beim Zucker ist für Bloch unverständlich, warum an der Grenze noch immer ein Zuschlag von 70 Franken pro Tonne erhoben wird. Dieser Zoll wurde 2019 eingeführt, um die Schweizer Zuckerproduzenten zu schützen, was die Inlandpreise hoch hält.
Aber mittlerweile seien die Zuckerpreise in der EU gestiegen, die Schweizer Bauern brauchten keinen speziellen Schutz mehr, meint Bloch. Dazu komme, dass die Schweizer Schokoladeproduzenten auch viel für die einheimische Milch zahlen müssten.
Der Unternehmer ist überzeugt: «Es ist den Schweizer Bauern ja auch nicht geholfen, wenn die Preisdifferenz zu gross ist und die Industrie die Produktion ins Ausland verschiebt.»
Als wären der hohe Kakaopreis und die teuren inländischen Rohstoffe nicht schon Herausforderung genug, ist die Schokoladeindustrie stärker als andere Branchen mit neuen Umwelt- und Sozialstandards konfrontiert. Sei es das Entwaldungsgesetz in der EU mit Vorschriften über die Herkunft der Rohstoffe, für dessen Umsetzung noch viele Fragen offen sind.
Kakao aus Peru statt aus Ghana
Oder sei es das Dauerthema Kinderarbeit im Kakaoanbau. Auf Letzteres hat Camille Bloch mit einer Verschiebung der Beschaffung reagiert. Statt aus Westafrika, wo der Missstand verbreitet ist, bezieht die Firma heute sämtlichen Kakao aus Peru. «Auch wenn damit die Probleme in Ghana natürlich nicht gelöst sind», ergänzt der Unternehmer.
Doch weder die Nachhaltigkeitsfragen bringen Daniel Bloch aus der Ruhe noch der allgemeine Gesundheitswahn, der Süsswaren wie Schokolade als Dick- und Krankmacher unter Generalverdacht stellt. «Genussartikel werden immer gefragt sein.»
Ist die Zukunft von Camille Bloch als Familienunternehmen gesichert, oder wäre auch ein Verkauf denkbar? «Wenn niemand aus der Familie die Firma übernimmt, bleibt mir nichts anderes übrig, als eine andere Lösung zu finden», sagt der 60-jährige Patron. «Doch das wäre dann nicht allein meine Entscheidung.»
Er könne sich aber gut vorstellen, dass es den einen oder anderen Vertreter der vierten Generation ins Unternehmen ziehe. Daniel Bloch und seine beiden Geschwister haben insgesamt zehn Kinder. Und auch er selber ist nicht direkt bei seinem Vater Rolf in die Firma eingestiegen, sondern hat zunächst Jus studiert und als Anwalt gearbeitet.
Eine gewisse Sicherheit für die Zukunft geben ihm die Marken. Ohne die Hauptprodukte Ragusa und Torino sähe es für die Firma anders aus. «Aber auch Marken sind keine Garantie für den Erfolg. Man muss sie pflegen und weiterentwickeln.»
Neue Experimente mit Haselnüssen
Mit den Mandel- und Haselnuss-Snacks «So Nuts» mit weniger Zucker hat Bloch vor ein paar Jahren ein neues Produkt lanciert. Ob es ein Erfolg werde, lasse sich heute noch nicht sagen. Doch: «Man muss Dinge ausprobieren, um die Leute im Betrieb fit zu halten.»
Erfahrungen sammeln über das Vallon de St-Imier hinaus will Camille Bloch beim Thema Haselnüsse. In Georgien hat das Unternehmen 650 Hektaren Land für eine Plantage gekauft. Das Fernziel ist, zumindest bei diesem wichtigen Rohstoff nicht völlig dem Weltmarktpreis oder der Schweizer Agrarbürokratie ausgeliefert zu sein.
Dieter Bachmann, Matthias Benzt, Courtelary, «Neue Zürcher Zeitung»