Zweiter Anlauf für Konzernverantwortung: Jetzt kommt die Durchsetzungsinitiative von Links Im Januar will die Allianz für Konzernverantwortung mit einer neuen Initiative erzwingen, dass die Schweiz die strengen Regeln der EU übernimmt. Dem Bundesrat und der Wirtschaft wirft sie Wortbruch vor.

Im Januar will die Allianz für Konzernverantwortung mit einer neuen Initiative erzwingen, dass die Schweiz die strengen Regeln der EU übernimmt. Dem Bundesrat und der Wirtschaft wirft sie Wortbruch vor.

Das emotionale Thema ist zurück auf der Agenda: Anfang Januar 2025 wird in Bern die neue Initiative für Konzernverantwortung lanciert. (PD)

Es war eine harte und äussert emotionale Politschlacht: Der Abstimmungskampf über die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) hielt die Schweiz monatelang in Atem. Die orangen Fahnen flatterten bis in die hinterste Ecke des Landes von den Balkonen und Kirchtürmen. Mit allergrösstem Einsatz haben Bundesrat und Wirtschaft das Volksbegehren versenkt. Schliesslich scheiterte die Initiative nur gerade am Ständemehr – ein paar tausend Stimmen gaben den Ausschlag.

Doch die Unterlegenen geben sich nicht geschlagen: Am 7. Januar wird in Bern eine neue Initiative für Konzernverantwortung präsentiert. «Das sehr knappe Nein war eine grosse Enttäuschung. Aber auch ein Neuanfang», sagt Dominique de Buman. Der ehemalige Mitte-Nationalrat ist Vorstandsmitglied der Koalition für Konzernverantwortung. Die notwendigen 100 000 Unterschriften für das neue Volksbegehren wollen die Initianten in einer Rekordzeit von nur 30 Tagen sammeln. Die sportliche Vorgabe zeigt: Das Komitee ist eine bestens geölte Kampagnenmaschine. Auch die neue Initiative wird mit viel Emotionen verkauft: «Schweizer Konzerne sollen nicht mehr von der Abholzung des Regenwaldes oder von der Vergiftung der Natur profitieren», sagt de Buman über das Ziel der Kovi 2.0.

Wie Recherchen der «NZZ am Sonntag» zeigen, fordert das Volksbegehren, dass die Schweiz die neuen Richtlinien für Konzern- und Lieferkettenverantwortung der EU (CSDDD) weitgehend übernimmt. Mit diesem Erlass will Brüssel die Konzerne zwingen, im Ausland Menschenrechts- und Umweltstandards einzuhalten. Dabei sollen diese Regeln auch für Tochterfirmen oder wichtige Zulieferbetriebe gelten. Und die Konzerne sollen rechtlich haften für Schäden im Ausland.

Diesen umstrittenen Punkt nimmt auch die neue Kovi auf. Wenn in Zukunft die Mine eines Schweizer Rohstoffkonzerns in Afrika oder Südamerika einen Fluss verschmutzt, dann soll der betroffene Fischer hierzulande auf Schadenersatz klagen können. Die neuen Regeln sollen für Firmen ab 450 Millionen Franken Umsatz und 1000 Mitarbeitern gelten.

Nach der äusserst knappen Niederlage wollen die Initianten beim zweiten Anlauf die Wirtschaft und den Bundesrat mit den eigenen Argumenten schlagen. Diese hatten nämlich im ersten Kovi-Abstimmungskampf stets argumentiert, dass die Schweiz keinen Alleingang machen dürfe und «international abgestimmt» vorgehen müsse.

Die grossen Versprechen im Abstimmungskampf

«Wir setzen im Gegenvorschlag auf eine Lösung, die international abgestimmt ist. Wir wollen die Richtlinien übernehmen, die im europäischen Raum gelten», sagte etwa Bundesrätin Karin Keller-Sutter damals in der «Abstimmungs-Arena» von SRF. Auch die Wirtschaft hatte stets betont, dass sich das Land an den Regeln der EU orientieren solle. «Schweizer Unternehmen sind auf gleich lange Spiesse wie ihre ausländischen Konkurrenten angewiesen», so Economiesuisse.

Jetzt hat die EU ihre Bestimmungen mit dem Lieferkettengesetz massiv verschärft – und nun ist in der Schweiz die Euphorie für eine europäische Lösung verflogen. «Unser Commitment im Abstimmungskampf hat sich auf die damals geltende Regulierung der EU bezogen», sagt Erich Herzog von Economiesuisse. «International abgestimmt meinte damals mangels Alternativen tatsächlich mit der EU koordiniert», räumt er ein. Die Regeln der EU seien damals «internationaler Goldstandard» gewesen – doch diese Zeiten seien vorbei.

Economiesuisse sieht die «ausufernde Nachhaltigkeitsregulierung» in der EU und damit auch die neuen CSDDD-Richtlinien äusserst kritisch. «Die Europäische Union hat übertrieben. Die stark ausgebauten Regeln sind keine gute Basis für eine Schweizer Gesetzgebung», so Herzog. Brüssel sei zu bürokratisch unterwegs und habe den Kontakt zur Realität verloren. «Wir müssen aufhören, solche Erlasse unkritisch zu übernehmen.»

Die neue Richtlinie der EU bringt den Bundesrat und die Wirtschaft in eine missliche Lage. Die Initianten pochen auf den Versprechungen des Abstimmungskampfes. Es habe immer geheissen, die Schweiz werde sich an der EU orientieren. Jetzt müsse die Schweiz nachziehen. So gesehen ist ihr Projekt eine Art Durchsetzungsinitiative von Links.

Doch die Welt hat sich seit 2020 verändert. Bundesrätin Karin-Keller Sutter hat das Departement gewechselt und ist nicht mehr zuständig. Und auch die politische Grosswetterlage ist eine andere. In Europa herrscht Krieg, Trump ist zurück, und die Welt ist chaotischer geworden.

Wie positioniert sich der globale Kleinstaat Schweiz?

Dabei stellt sich für die Schweiz die strategische Frage, wie sie sich als Kleinstaat mitten in Europa regulatorisch positionieren soll. Der Glanz der EU ist für viele erloschen. Brüssel gilt als überreguliert und wachstumsschwach. «Um weiterhin stark zu bleiben, muss die Schweiz Kompatibilität und Flexibilität unter einen Hut bringen», sagt Erich Herzog von Economiesuisse. Konkret wünscht sich der Verband folgenden Deal: Nur Unternehmen, die in der EU tätig sind, sollen sich an deren Regeln orientieren müssen. Für alle anderen soll es möglich sein, sich an globale Standards wie die OECD-Richtlinien zu halten.

Für den Wirtschaftsdachverband ist zudem alles andere als klar, ob die EU nicht bald selbst einen Kurswechsel macht. «Die EU hat bereits angekündigt, ihren Ansatz grundsätzlich zu überdenken und zu entbürokratisieren», so Herzog. Falls nächstes Jahr in Deutschland Friedrich Merz Bundeskanzler wird, hat dieser bereits heftigen Widerstand gegen die nationale und europäische Lieferkettenregulierung angekündigt.

«Wir wollen verhindern, dass die Schweiz das einzige Land in Europa ohne Regeln für Konzerne wird», sagt Dominique de Buman. Es sei nach den Versprechen im Abstimmungskampf unredlich, die neuen Vorgaben der EU nicht zu übernehmen. «Economiesuisse setzt auf eine Verzögerungstaktik.» Die EU habe die neuen Regeln mit deutlicher Mehrheit verabschiedet und es sei klar, dass die internationale Entwicklung in diese Richtung gehe. De Buman: «Economiesuisse hat die Zeichen der Zeit einmal mehr nicht erkannt.»

Der Ton ist damit gesetzt: Kovi 2.0 wird erneut ein hartes und emotionales Ringen.

Georg Humbel, «Neue Zürcher Zeitung»

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