Branchenreport: KMU stehen unvermittelt im Gegenwind Für die Schweizer KMU haben sich die Aussichten in den Sommermonaten rasch eingetrübt. Die Erwartungen sind mittlerweile ähnlich schlecht wie während der Coronapandemie. Doch die KMU werden auch diesen Rückschlag verdauen, sind Experten überzeugt.
Für die Schweizer KMU haben sich die Aussichten in den Sommermonaten rasch eingetrübt. Die Erwartungen sind mittlerweile ähnlich schlecht wie während der Coronapandemie. Doch die KMU werden auch diesen Rückschlag verdauen, sind Experten überzeugt.
Nein, dieses Mal ist es nicht vom Regen, sondern von der Sonne in die Traufe. Noch im Frühling herrschte bei den helvetischen KMU Optimismus pur. Dieser ist in den Sommermonaten weitgehend geschwunden. Kein Wunder, dass bei diesen Wechselbädern auch die Prognosen der Experten für die KMU auseinanderklaffen. Am sorgenvollsten äussert sich Raiffeisen-Ökonom Fredy Hasenmaile. Die KMU im Industriesektor hätten lange vom pandemiebedingten Güternachfrage-Boom profitiert, erklärt er: «Doch seit etwa einem Jahr stagniert ihre Geschäftslage und sie war jüngst sogar deutlich rückläufig. Das zeigt der Raiffeisen-KMU-PMI, der zuletzt drei Monate in Folge unter der wichtigen 50er-Marke notierte, die Wachstum von Kontraktion trennt.» Auch der Geschäftslageindikator der ETH-Konjunkturforschungsstelle (KOF), der das Tempo der Schweizer Wirtschaft misst, hat im Juli deutlich nachgegeben. Die Wirtschaft beurteilt ihre Geschäftslage so ungünstig wie seit zwei Jahren nicht mehr – das war zuzeiten der Coronapandemie. Und das sowohl für die grossen wie die kleinen Firmen.
Als Grund für den Stimmungsumschwung nennt Hasenmaile das schwierige globale Umfeld und die nachlassende Industrienachfrage. Diese sei durch die hartnäckig hohe Inflation und den Zinsanstieg belastet worden. «Der Gegenwind ist aktuell so stark, dass der Rückgang der Energiepreise und die Entspannung bei den Lieferengpässen nur wenig Impulse gebracht haben.»
Export schwächelt
Das Neugeschäft ist nach Beobachtungen von Hasenmaile vor allem bei den exportorientierten KMU unter Druck gekommen. Bei den inlandorientierten Betrieben sei die Auftragslage vielerorts noch stabil, aber auch hier nehme die Wachstumsdynamik ab. Zunächst habe die Wachstumsdelle die energieintensiven Branchen wie beispielsweise die Metall-, Papier- oder Keramikindustrie erfasst. Mittlerweile seien aber auch die meisten anderen Branchen unter Druck geraten, wie die Exportzahlen zeigten.
Es gibt nur wenige Ausnahmen, stellt der Raiffeisen-Ökonom fest: «Die krisenresistente Pharmabranche, die ihre Exporte auch im ersten Halbjahr steigern konnte, sowie die Uhrenbranche, deren Exporte im ersten Halbjahr sogar auf Rekordkurs liefen.»
SGV ist noch zuversichtlich
Deutlich weniger pessimistisch ist der Schweizerische Gewerbeverband (SGV). Er vernimmt unterschiedliche Signale von seinen Mitgliedfirmen. Auf der einen Seite sei die Verfassung des Schweizer Binnenmarktes gut bis sehr gut. Insbesondere Dienstleistungsbranchen freuten sich über eine gute Auslastung und steigende Margen. «Auf der anderen Seite sehen sich international orientierte Betriebe mit einer harzenden Nachfrage aus dem Ausland konfrontiert. Die hohen Inflationsraten ausserhalb der Schweiz sind ein weiteres Problem, das die Auslandsnachfrage dämpft», sagt Henrique Schneider, stellvertretender Direktor des SGV.
Ebenfalls zuversichtlich äussert sich Patrick Sulser, Leiter Corporate Finance bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB): «Einmal mehr bin ich beeindruckt von der Anpassungsfähigkeit unserer KMU. Sie meistern Herausforderungen wie die Lieferkettenengpässe, die Energiepreisentwicklung und den Personalmangel insgesamt sehr gut. Wobei dieser den Unternehmerinnen und Unternehmern quer durch alle Branchen aktuell die grössten Sorgen bereitet.»
Beim Problem der Lieferkettenengpässe ist in einzelnen Branchen nach Sulser eine teilweise Entspannung feststellbar. Die Lieferkette bleibe jedoch aus Sicht der KMU weiterhin ein fragiles Element im Wirtschaftskreislauf. Bei den exportorientierten Betrieben seien der starke Franken sowie die sich abkühlende wirtschaftliche Lage, insbesondere im umliegenden Ausland, spürbar.
Grosse Flexibilität hilft
Sulser geht davon aus, dass die kommenden Monate anspruchsvoll bleiben werden. «Unsere Unternehmerinnen und Unternehmer haben in den letzten Jahren jedoch bewiesen, wie flexibel und resilient sie sind. Dies, gepaart mit ihrem unermüdlichen Einsatz und Ideenreichtum, wird dafür sorgen, dass unsere KMU auch in Zukunft erfolgreich sein werden.»
Sehr differenziert beurteilt Alexander Fust vom Institut für KMU der Uni St. Gallen den Geschäftsgang der kleinen und mittleren Unternehmen. Je nach Branche und Kundenfokus präsentiere sich die Lage anders:
• «Die Industriefirmen stellen grosse Unterschiede in verschiedenen Ländern fest, z.B. Deutschland mit hoher Inflation und tieferer Konsumentenstimmung oder die USA mit hoher Inflation und robuster Wirtschaftslage. Firmen mit grosser Abhängigkeit vom Konjunkturzyklus merkten zusätzlich, dass es eine starke Volatilität der Auftragseingänge gab und gibt. Im Vergleich zum Vorjahr ist eine Abkühlung bei der Auftragslage erkennbar. Dies jedoch abhängig von den geografischen Märkten.»
• Zudem machen sich nach Fust auch die geopolitischen Spannungen bemerkbar, etwa zwischen den USA und China, die zunehmenden Druck bringen, sich für eine «Seite» zu entscheiden. Ähnliches gilt für Firmen mit Geschäftsbeziehungen nach Russland, die nach Alternativen suchen mussten.
• Firmen im Binnenmarkt hätten die relative Nachfragenstärke im nationalen Binnenmarkt festgestellt, auch wenn im Konsumgüterbereich die Auswirkungen der Inflation je nach Güterkategorie bemerkbar gewesen sei.
Was bringt die Zukunft?
«Alles in allem blicken die Schweizer KMU der Zukunft positiv entgegen, auch wenn für einige Betriebe die aktuelle Situation schwierig sein kann», fasst Fust zusammen. Viel hänge auch davon ab, wie stark die Branchen von etwaigem Wandel betroffen seien, etwa die Automobilzulieferer vom Wandel von Benzinern zur Elektromobilität.
Problem Nr.1: Fachkräftemangel
Konjunktursorgen hin oder her, über alle Branchen hinweg bleibt der Fachkräftemangel das grösste Problem der KMU, das besagt eine Studie der UBS und das sagt auch Henrique Schneider, stellvertretender SGV-Direktor: «Der Fachkräftemangel ist da und er wird bleiben.» Er hält ihn für ein gesellschaftliches Phänomen. Gerade deswegen reichten Massnahmen im Arbeitsmarkt nicht aus. «Um den Fachkräftemangel längerfristig zu lösen, brauchen wir eine gesellschaftliche Antwort. Diese muss alle Bereiche umfassen, etwa den Arbeitsmarkt, die Bildung oder auch die Wirtschaftspolitik. Und die entsprechende Botschaft ist einfach: Arbeit ist cool!», sagt Schneider plakativ.
ZKB-Ökonom Patrick Sulser beurteilt die Lage ähnlich: «Der Fach- beziehungsweise Arbeitskräftemangel gehört nach wie vor zu den grössten Sorgen der KMU, quer durch alle Branchen und Unternehmensgrössen. Auch auf dem Markt für temporäre Arbeitskräfte ist die Nachfrage im Vergleich zu den Vorjahren höher als das Angebot.»
Ein Universalrezept gegen den Arbeitskräftemangel gibt es nach Sulser nicht: «Entscheidend ist, dass sich KMU aktiv mit dem Thema Arbeitgeberattraktivität auseinandersetzen. Dabei geht es um das Gewinnen neuer Mitarbeitender, aber auch um das Halten und die Weiterentwickeln des bestehenden Personals.» Die ZKB unterstütze die KMU in diesem Bereich mit verschiedenen Angeboten, beispielsweise mit Praxisseminaren unter der Leitung von Expertinnen und Experten und einem regelmässigen Erfahrungsaustausch. Nach Ansicht von Alexander Fust hat sich der Fachkräftemangel bei den Firmen im Vergleich zum Vorjahr nicht weiter verschlechtert. Auch wenn er je nach Branche und Fachkraft unterschiedlich ausgeprägt sei. Zur Milderung des Problems schlägt er Investitionen in die Automatisierung von Prozessen vor. Daneben gelte es auch, die Ausbildung zu forcieren, auch jene von Quereinsteigern, und zwar auf allen Ebenen. Dies seien aber nicht kurzfristige, sondern mittel- bis langfristige Lösungen.
Raiffeisen-Ökonom Fredy Hasenmaile sieht eine leichte Entspannung des Problems: «Die Unternehmen beurteilen den Fachkräftemangel seit Mitte des vergangenen Jahres insgesamt als doch etwas weniger ausgeprägt.» Dies wahrscheinlich, weil sich die Industriekonjunktur und damit auch die Nachfrage nach neuem Personal abgeschwächt habe.
«Im Vergleich zu vor der Pandemie sind die Rekrutierungsschwierigkeiten jedoch nach wie vor gross und für viele Unternehmen bleibt der Personalmangel klar das Hauptproblem. In der Industrie ist es beispielsweise immer noch schwierig, spezialisierte Mitarbeitende zu finden», sagt Hasenmaile.
Zuwanderung als Trumpf
Der wichtigste Hebel gegen den Fachkräftemangel bleibt nach seiner Ansicht die Zuwanderung. Ohne sie würde die Schweiz einen grossen Vorteil gegenüber anderen Ländern verlieren, die generell noch stärker vom Fachkräftemangel betroffen seien.
Daneben gibt es nach Hasenmaile noch einige weitere Ansatzpunkte, den Fachkräftemangel zu mildern, wie beispielsweise die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen. «Mit der Pandemie hat Remote Work deutlich an Bedeutung gewonnen. Im Unterschied zum Homeoffice hat der Arbeitnehmer hier lediglich einen Arbeitsauftrag und kann Arbeitszeiten und Arbeitsplätze selbst festlegen.» Vor allem im IT-Sektor bestünden so Chancen, neues Fachpersonal zu rekrutieren. Eine weitere Möglichkeit, den Personalmangel zu mildern, sei die Reaktivierung von älteren Mitarbeitenden oder von Müttern, die nach einer Pause wieder in ihren angestammten Beruf zurückkehrten.
Künstliche Intelligenz: Chance oder Risiko?
ZKB-Experte Patrick Sulser hat in Gesprächen mit Unternehmerinnen und Unternehmern die Erfahrung gemacht, dass sie dem Thema künstliche Intelligenz (KI) durchaus offen gegenüberstünden. Sie sähen Chancen dank Effizienzgewinnen, Automatisierung, Optimierung der Analyse und der Bewirtschaftung von Daten, in der Kundenansprache, im Marketing oder in der Betrugserkennung. «Die grössten Befürchtungen liegen im Bereich des Datenschutzes, der Cybersicherheit, der Informationssicherheit, der Transparenz und der Quellensicherheit. Auch neue Abhängigkeiten, das Handling der Komplexität sowie die Nachvollziehbarkeit machen vielen KMU Sorgen. Schliesslich werden auch neue regulatorische Anforderungen und Zusatzinvestitionen kritisch betrachtet.»
«Die KMU erhoffen sich durch KI schlicht Effizienzsteigerungen, Kosteneinsparungen und mehr Umsatzwachstum», sagt Raiffeisen-Ökonom Fredy Hasenmaile. Überall, wo grosse Datenmengen anfielen, könnten KI-Systeme verwendet werden, um die Daten zu analysieren, Muster zu erkennen und Vorhersagen zu treffen. So könnten zum Beispiel in Personenwagen frühzeitig potenzielle Störungen im Getriebe erkannt werden. KI komme aber auch bei administrativen Aufgaben zum Einsatz, wie etwa in der Buchhaltung.
Künstliche Intelligenz: Chance oder Risiko?
ZKB-Experte Patrick Sulser hat in Gesprächen mit Unternehmerinnen und Unternehmern die Erfahrung gemacht, dass sie dem Thema künstliche Intelligenz (KI) durchaus offen gegenüberstünden. Sie sähen Chancen dank Effizienzgewinnen, Automatisierung, Optimierung der Analyse und der Bewirtschaftung von Daten, in der Kundenansprache, im Marketing oder in der Betrugserkennung. «Die grössten Befürchtungen liegen im Bereich des Datenschutzes, der Cybersicherheit, der Informationssicherheit, der Transparenz und der Quellensicherheit. Auch neue Abhängigkeiten, das Handling der Komplexität sowie die Nachvollziehbarkeit machen vielen KMU Sorgen. Schliesslich werden auch neue regulatorische Anforderungen und Zusatzinvestitionen kritisch betrachtet.»
«Die KMU erhoffen sich durch KI schlicht Effizienzsteigerungen, Kosteneinsparungen und mehr Umsatzwachstum», sagt Raiffeisen-Ökonom Fredy Hasenmaile. Überall, wo grosse Datenmengen anfielen, könnten KI-Systeme verwendet werden, um die Daten zu analysieren, Muster zu erkennen und Vorhersagen zu treffen. So könnten zum Beispiel in Personenwagen frühzeitig potenzielle Störungen im Getriebe erkannt werden. KI komme aber auch bei administrativen Aufgaben zum Einsatz, wie etwa in der Buchhaltung.
Autor: Fredy Gilgen