Die Schweizer Maschinenbauindustrie steckt seit zwei Jahren im Abschwung – jetzt geht es an die Substanz Industrieunternehmen in der Schweiz leben zunehmend von der Hand in den Mund. Es fehlt an Aufträgen. In der Branche stellt man sich auf eine Welle von Entlassungen ein.

Industrieunternehmen in der Schweiz leben zunehmend von der Hand in den Mund. Es fehlt an Aufträgen. In der Branche stellt man sich auf eine Welle von Entlassungen ein.

Feintool produziert Metallteile für Autos. Der Umsatz der Firma aus Lyss brach im ersten Semester um 13 Prozent ein. (Bild: PD)

Die Stimmung in der Maschinenbauindustrie, dem zweitgrössten Schweizer Exportsektor nach der Pharma- und Chemiebranche, liegt am Boden. Viele Unternehmen sind wegen der zunehmend schwachen Auftragslage stark verunsichert.

Die dicken Auftragspolster sind weg

Laut dem Branchenverband Swissmem, der neben den Interessen der Maschinenhersteller auch jene der Elektro- und Metallindustrie (MEM) vertritt, sind die Bestellungen seit zwei Jahren fast unablässig gefallen. Nur im vierten Quartal 2022 gab es eine leichte Zunahme.

Anfang dieses Jahres konnten viele Schweizer Industrieunternehmen ein letztes Mal vom dicken Auftragspolster zehren, das sie sich während der Pandemie zugelegt hatten. 2021 und auch noch im ersten Semester 2022 waren viele ihrer Kunden mit Bestellungen regelrecht überrannt worden.

Der Grund dafür war, dass während der Corona-Pandemie die Konsumenten, die nicht oder kaum noch das Haus verlassen durften, sehr viel Geld für Sachgüter wie Fahrzeuge, Elektronikartikel oder Haushaltgeräte ausgaben. Die Hersteller sahen sich gezwungen, ihre Produktionskapazitäten aufzurüsten und zusätzliche Maschinen anzuschaffen.

Mittlerweile sind fast alle der damaligen Bestellungen abgearbeitet. «Die Schweizer Industrieunternehmen stehen zunehmend vor leeren Auftragsbüchern», sagte Stefan Brupbacher, der Direktor von Swissmem, am Mittwoch bei der Präsentation der neusten Branchenzahlen.

Einkaufsmanager blasen fast weltweit Trübsal

Ende Februar, an der Jahreskonferenz des Verbands, hatte die Geschäftsführung noch versucht, Optimismus zu verbreiten. Sie stützte sich dabei auf leichte Verbesserungen bei den Einkaufsmanagerindizes und äusserte die Erwartung, dass die Talsohle Mitte 2024 erreicht werden könnte.

«Im Nachhinein betrachtet waren wir zu optimistisch gestimmt», musste Brupbacher nun einräumen. Die Einkaufsmanager, deren per Umfrage erhobene Stimmung als zentraler Indikator für die Geschäftsentwicklung von Industrieunternehmen gilt, blasen zurzeit fast weltweit Trübsal.

Werte der Einkaufsmanagerindizes unter 50 deuten an, dass sich die Aktivitäten zurückbilden. Besonders schwach entwickeln sich die Hauptmärkte der europäischen verarbeitenden Industrie. In Deutschland sackte der Einkaufsmanagerindex im Juli auf 43,2 ab. Ähnlich schlecht ist die Stimmung in der Schweiz und in Frankreich mit Werten von 43,5 beziehungsweise 44.

Doch auch ausserhalb von Europa gibt es klare Anzeichen für eine Kontraktion. So fiel der Einkaufsmanagerindex in den USA, wo die Stimmung bis vor kurzem noch deutlich besser war, jüngst auf unter 47. Auch China liegt unter 50.

Krise in Deutschland lässt Exporte einbrechen

Die miese Stimmung in Europa und vor allem in Deutschland belastet den Schweizer MEM-Sektor stark. Nach wie vor geht über die Hälfte der branchenweiten Ausfuhren in Mitgliedsstaaten der EU. Der Anteil Deutschlands liegt allein bei knapp einem Viertel.

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres fielen die Schweizer MEM-Exporte in den EU-Raum um 7 Prozent. Die Ausfuhren nach Deutschland schrumpften um 8 Prozent.

Der deutschen Industrie macht besonders die Absatzschwäche innerhalb der Automobilbranche zu schaffen. Doch auch der Chemiesektor befindet sich in Deutschland schon länger in der Krise, weil er wegen stark gestiegener Energiepreise deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat.

Textilmaschinen trifft es am härtesten

Wie Martin Hirzel, der Präsident von Swissmem, ausführte, setzt die Krise der deutschen Industrie in der Schweiz besonders Zulieferern der Automobilbranche zu. Aber auch Maschinen sind im nördlichen Nachbarland weniger gefragt. Dies zeigt sich vorab bei den Werkzeugmaschinen, die wegen ihres Einsatzes bei der Bearbeitung von Metallteilen traditionell stark im deutschen Autosektor abgesetzt werden. Im ersten Halbjahr schrumpften die Schweizer Ausfuhren dieses Segments weltweit um 12 Prozent.

Bei den Textilmaschinen betrug der Rückgang sogar 23 Prozent. Die globale Textilbranche steckt seit über eineinhalb Jahren in der Krise, was sich am augenfälligsten an den vielen Schliessungen von Kleidergeschäften in Innenstädten zeigt. Wegen der schwachen Nachfrage investieren Textilhersteller, deren Produktion grösstenteils in Asien stattfindet, kaum noch in die Erneuerung ihres Maschinenparks.

Erstaunlicherweise stiegen die Exporte der Schweizer MEM-Industrie nach China im ersten Halbjahr um 7 Prozent, obschon auch dort die Konjunktur ähnlich wie in Europa schwächelt. Swissmem führt dies auf einzelne hochpräzise Produkte zurück, in deren Herstellung Schweizer Industrieunternehmen führend sind. Es seien weniger Maschinen, sondern Instrumente, die vor allem in der Elektronikproduktion benötigt würden, sagte der Verbandspräsident Hirzel.

Zugleich absorbiert China noch immer weniger als 8 Prozent des gesamten Schweizer MEM-Exportvolumens. In die USA gehen knapp 15 Prozent.

Wann fasst die deutsche Industrie wieder Mut?

Angesichts der Flaute, die vorab im wichtigsten Absatzmarkt Deutschland herrscht, rechnet Swissmem erst später mit einer Erholung bei den Bestellungen. «Die deutsche Industrie muss erst wieder Mut fassen, damit es aufwärtsgehen kann», sagte Hirzel.

Derweil dürften sich die Ertragsprobleme vieler Schweizer Unternehmen verschärfen. Davon betroffen sind besonders KMU. Im zweiten Quartal seien die Margen bei mehr als 40 Prozent der befragten Mitgliedsfirmen gegenüber der Vorjahresperiode gesunken, berichtete vor einer Woche Swissmechanic. Der Schwesterverband von Swissmem hat in seinen Reihen eher kleinere Unternehmen.

Viele KMU scheinen zunehmend von der Hand in den Mund zu leben. Laut Swissmechanic verfügte rund ein Viertel der befragten Firmen jüngst nur noch über Aufträge, um maximal einen Monat lang die Produktion auszulasten.

In den vergangenen Monaten haben Industriefirmen in der Schweiz erst in wenigen Fällen im grossen Stil Personal abgebaut. Bei Swissmem stellt man sich aber auf eine Welle von Restrukturierungen ein. «Unsere Rechtsabteilung hat in den vergangenen zwei, drei Monaten signifikant mehr Anfragen zum Thema Entlassungen erhalten», sagte der Verbandsdirektor Brupbacher. «Das ist ein schlechtes Zeichen.»

Dominik Feldges, «Neue Zürcher Zeitung»

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