Manager auf Magic Mushrooms: «Psychedelic Leadership» ist im Trend Seminare, in denen Führungskräfte gemeinsam Pilze konsumieren, boomen. Zwei Teilnehmer und ein Veranstalter erzählen.
Seminare, in denen Führungskräfte gemeinsam Pilze konsumieren, boomen. Zwei Teilnehmer und ein Veranstalter erzählen.
«Es gab dunkle Momente, in denen ich mit dem Gefühl von Alleinsein konfrontiert wurde», erzählt Claudia*. «Aber es gab auch tolle Momente, in denen ich das Gefühl hatte, getragen und gehalten zu werden.»
Claudia erinnert sich noch gut an ihren Trip. Sie und die anderen lagen auf Matten auf dem Boden, die Augen verbunden. Im Hintergrund lief entspannende Musik. «Die erste Stunde war richtig hart», erzählt sie. «‹Worauf habe ich mich da eingelassen?›, habe ich mich gefragt. Ich habe dann mit einem Betreuer gesprochen und die Dosis gesteigert.»
Claudia ist 54 Jahre alt und hat eine eigene Agentur in Hamburg, über die sie Coachings für Führungskräfte anbietet. Mit ihren Kunden arbeitet sie an Themen wie Kommunikation, Führungsrollen und persönlichem Wachstum. Doch im September 2023 arbeitete sie an sich selbst. Gemeinsam mit anderen Führungskräften, Gründern und Selbständigen nahm sie an einem Retreat des Evolute-Instituts «für persönliche Transformation» teil. Alle gemeinsam konsumierten sie Psilocybin-haltige Pilze – auch bekannt als Magic Mushrooms.
Magic Mushrooms sind bei Führungskräften beliebt
Unter dem Namen «Psychedelic Leadership» haben psychedelische Drogen wie Pilze in den vergangenen Jahren Einzug in die Business-Welt gehalten. Therapeuten experimentieren seit Jahren mit Stoffen wie MDMA, Ketamin oder Psilocybin, in der Hoffnung, damit Depressionen und andere psychische Erkrankungen behandeln zu können. Für Führungskräfte sind die Substanzen aus anderen Gründen reizvoll: Sie versprechen sich davon, beruflich weiterzukommen, Blockaden zu lösen oder mehr Kreativität im Job zu entwickeln.
Er habe nie etwas mit Drogen am Hut gehabt, beteuert Ivan*. Doch vor zwei Jahren habe er in einer Krise gesteckt. Ivan ist Gründer von mehreren Unternehmen im Fintech- und Blockchain-Bereich. Doch nach der Pandemie liefen die Geschäfte schlechter, die Arbeit machte ihm keinen Spass, sein Alltag war von Unsicherheit und Ängsten geprägt. Aus seinem Umfeld habe er immer wieder von Psilocybin-Erfahrungen gehört. «In meinem Bekanntenkreis sind viele Unternehmer, mittlerweile kenne ich niemanden mehr, der das noch nie gemacht hat.» So wurde er auf Evolute aufmerksam, Ende 2022 nahm er an einem Seminar teil.
In einer Umfrage des Stockholmer Karolinska-Instituts unter 3150 Managern aus den USA und Grossbritannien gaben 18 Prozent an, schon Psychedelika genommen zu haben – meist, während sie in einer Führungsposition waren. Auch der Google-Gründer Sergey Brin soll Magic Mushrooms konsumieren, Steve Jobs mass seinen LSD-Erfahrungen grosse Bedeutung zu. Der deutsche Investor und Milliardär Christian Angermayer hat sich die chemische Formel für Psilocybin auf den Arm tätowieren lassen.
Psilocybin verändert Wahrnehmung und Denken
Der Stoff kommt in über 300 Pilzarten vor. Wird er eingenommen, wandelt er sich im Körper zu Psilocin um, welches chemisch dem «Glückshormon» Serotonin ähnelt. Psilocin dockt an die Serotoninrezeptoren im Gehirn an. Das führt zu hintereinander geschalteten Prozessen, welche die Hirnchemie beeinflussen.
Psilocybin verändert das Denken und die Wahrnehmung. Minuten können sich wie Stunden anfühlen und Stunden wie Minuten. Die Wirkung ist von Person zu Person anders, den meisten fällt es schwer, den Zustand in Worte zu fassen.
Viele Probanden beschreiben das Gefühl, in etwas Grösseres eingebettet zu sein, oft holt Psilocybin Erinnerungen hoch, zu denen sie sonst keinen Zugang haben. Ivan sagt, er sei auf einem Karussell gefahren, auf dem jeder Sitz eine andere Station seines Lebens repräsentiert habe. Claudia erinnert sich an ein Gefühl von umfassender Liebe und Verbundenheit.
In den Niederlanden ist der Konsum legal
In den meisten Ländern, so auch in der Schweiz und in Deutschland, ist die Substanz verboten. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) kann jedoch Ausnahmen für die medizinische Anwendung bewilligen. Mehrere hundert Patientinnen und Patienten werden in der Schweiz mit Psilocybin, LSD oder MDMA behandelt.
In den Niederlanden ist der Konsum von Psilocybin-haltigen Pilzen jedoch erlaubt. Unternehmen für psychedelisch gestützte Coachings schiessen dort seit einigen Jahren aus dem Boden wie die Pilze selbst. Eines davon ist Evolute.
Das Startup wurde 2022 von den Unternehmern Dmitrij Achelrod und Christopher Kabakis gegründet. Für beide ist es laut eigenen Angaben ein Herzensprojekt, eigentlich sind sie in anderen Bereichen tätig. Kabakis leitet ein Beratungs- und Coachingunternehmen, Achelrod hat über Gesundheitsökonomie promoviert und zuletzt bei einem Startup für Data Science gearbeitet.
Psychedelische Trips als Herzensprojekt
Achelrod und Kabakis sehen ihre Arbeit als einen Weg, die Wirtschaftswelt und damit die gesamte Gesellschaft ein Stück zu verbessern. Das grosse Geschäft, betonen sie, sei mit psychedelisch gestützten Coachingformaten nicht zu machen, mehr als eine Aufwandsentschädigung springe für sie dabei nicht heraus.
Das Programm EvoLEAD, das sich laut Website speziell an Unternehmer, Führungskräfte und «andere Pioniergeister» wendet, soll den Teilnehmern unter anderem helfen, «ihre kreativen Kräfte freizusetzen und ihre innerste Bestimmung zu finden». Wie viel sie dafür zahlen möchten, entscheiden die Teilnehmer selbst, der Mindestbetrag liegt jedoch bei 3500 Euro.
Vor- und Nachbereitung sind besonders wichtig
Dabei umfasst das Programm weit mehr als den Psilocybin-Trip selbst. Zwei bis drei Monate lang arbeiten die Teilnehmer an sich selbst. In einer mehrwöchigen Vorbereitungsphase werden in Einzel- und Gruppengesprächen zunächst die Themen definiert, die den einzelnen Personen wichtig sind und sie unter Umständen blockieren. Zudem werden die Teilnehmer über Herausforderungen und Risiken eines psychedelischen Trips aufgeklärt und lernen, wie sie mit möglichen negativen Erlebnissen umgehen können.
Die Vorgespräche finden online statt, zum Seminar geht es dann für vier Tage in die Niederlande. «Meistens beginnt der Tag um halb acht und endet um 21 Uhr», erzählt Dmitrij Achelrod. Meditation, Yoga, Einzel- und Gruppengespräche, Atemarbeit und Zeit in der Natur sollen den Teilnehmern helfen, mehr über ihr inneres Selbst zu lernen und einen Vorgeschmack auf die kommende psychedelische Erfahrung zu erleben. Die «Trüffel-Reise», wie Evolute den Psilocybin-Trp nennt, soll die Klimax des Treffens bilden. Doch damit ist der Weg zum neuen Selbst noch nicht abgeschlossen. In einer anschliessenden zweimonatigen Integrationsphase sollen die Teilnehmer in weiteren Einzel- und Gruppengesprächen ihre Erfahrung verarbeiten und Wege finden, ihre gewonnene Erkenntnis in ihrem Alltag zu integrieren.
Claudia sagt, das Retreat habe für sie «auf ganz tiefer Ebene» etwas geändert: «Ich fühle mich entschlossener in meinem Auftreten und in dem, was ich tue. Viele meiner Blockaden haben sich gelöst.» Im Alltag habe sie kaum je die Zeit, sich mit wichtigen Themen zu befassen.
Führungskräften fehlt die Zeit
Das könnte dann auch eine Erklärung für den grossen Erfolg solcher Psilocybin-Trips bei Führungskräften sein. Ein Gesundheitsexperte des Harvard-Spitals McLean erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg, vielen Managern fehle wegen ihrer langen Arbeitszeiten der Ausgleich im Privaten, um abzuschalten und Themen zu verarbeiten. Wer keine Zeit habe, etwa regelmässig Sport zu treiben oder Freunde und Familie zu treffen, sehne sich oftmals nach einer schnellen, vermeintlich unkomplizierten Lösung, um mit Problemen umzugehen.
Zudem, so der Experte, werde von Führungskräften meist erwartet, dass sie ihre Probleme selbständig und ohne grosse Umstände lösten. Das führe dazu, dass man eher bereit sei, neue Substanzen auszuprobieren, als Aufgaben abzugeben oder Schwäche einzugestehen. Eine langfristige Lösung sei dies aber nicht, zumindest, wenn man nicht in eine Abhängigkeit geraten wolle.
Ivan sagt, er habe durch das Psilocybin mehr zu sich selbst gefunden und sei wieder bereit, für sich einzustehen. «Ich vergleiche mich weniger mit anderen und habe gleichzeitig mehr Verständnis für sie. Zum Beispiel rege ich mich heute nicht mehr über Taxifahrer auf.» Nach dem Retreat habe er sich vorgenommen, mehr Verantwortung zu übernehmen und auch wieder Risiken einzugehen. Dass er in naher Zukunft nochmals auf einen Trip gehen werde, glaubt er zurzeit nicht.
* Name geändert.