Mythen, Macht und Meritokratie: Der Rotary Club Zürich wird 100 Jahre alt Eine Einladung in den ersten und grössten Rotary Club der Schweiz gilt als Ritterschlag. Doch nicht alle Angefragten sagen zu.
Eine Einladung in den ersten und grössten Rotary Club der Schweiz gilt als Ritterschlag. Doch nicht alle Angefragten sagen zu.
Zürich, 5. Mai 1924. Im Hotel Carlton Elite kommen 30 Männer zusammen, die mehrere Eigenschaften teilen. Sie sind Unternehmer und Wirtschaftsführer, viele sind Mitglied der «Swiss Friends of the United States of America». Und alle sind sie daran interessiert, eine neuartige Idee aus den USA zu importieren – Rotary.
Vor 100 Jahren gründeten sie den heute wohl renommiertesten Serviceklub der Schweiz, den Rotary Club Zürich. Mit dem Zweck, wie es in der NZZ damals hiess, «der gegenseitigen Unterstützung und Belehrung». Für die Gründung Pate stand der kaum ältere Klub in Paris.
Die neue Niederlassung war nicht nur für das hiesige Establishment wichtig, sondern auch für die noch keine zwanzig Jahre alte Organisation aus Chicago. In Zürich, und nicht etwa in Berlin, Wien oder Hamburg, entstand der erste Rotary Club im deutschsprachigen Europa; zudem wurde Zürich ein Jahr später zum Sitz des europäischen Zentralbüros erklärt.
Heute gibt es in der Schweiz rund 225 Rotary Clubs mit über 13 000 Mitgliedern. Auch in der Stadt Zürich sind mehrere weitere aus der Taufe gehoben worden.
Der Beitritt zu Rotary ist meritokratisch geregelt. Als Mitglied für die Zürcher Ursektion infrage kommt, wer in der Stadt eine entscheidende Position in der bürgerlichen Gesellschaft einnimmt, in der Wirtschaft, der Politik, der Verwaltung, der Kultur, der Forschung, den Medien oder der Geistlichkeit. «Die Aufnahme», schrieb die NZZ vor einigen Jahren, «kommt einem Ritterschlag gleich.»
Ein «verschwörungstheoretischer Generalverdacht»
Zwei heutige Zürcher Rotarier, der emeritierte Philosophieprofessor Georg Kohler und der frühere Fraumünster-Pfarrer Niklaus Peter, sprechen in einem Buch zum Jubiläum von einem «hier und dort gepflegten leicht verschwörungstheoretischen Generalverdacht», unter dem Rotary und speziell der grosse Zürcher Klub stünden. Dass also die Elite bei Rotary zusammenkomme, um ihr Machtnetz über die Stadt und das Land zu spannen.
Wenn dem so wäre, dann wäre Monika Rühl, die Direktorin des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, die einflussreichste Rotarierin. Sie ist im Jubiläumsjahr die Präsidentin des Rotary Club Zürich.
Vom Vorwurf, dass ihr Klub eine mächtige klandestine Vereinigung sei, will sie nichts hören. «Nur weil wir die Öffentlichkeit nicht suchen, kaum Interviews geben und für uns keine Werbung machen, sind wir noch lange kein Geheimbund», sagt sie. Der Klub lade regelmässig externe Gäste ein und habe nichts zu verbergen.
Auch sein caritatives Engagement wird zwar nicht an die grosse Glocke gehängt, ist aber kein Geheimnis. Der Klub betreibt über einen Trägerverein seit 1963 ein Studenten- und Lehrlingsheim in der Stadt Zürich, dazu beteiligt er sich wie alle Sektionen an Sammelaktionen von Rotary.
Wie bei den meisten Vereinen ist auch bei Rotary Zürich die Mitgliederkartei nicht publik. Monika Rühl sagt einzig, dass der Klub anstrebe, alle wichtigen Zürcher Institutionen zu berücksichtigen. Derzeit sind 187 Personen Mitglied. Pro Jahr gibt es etwa vier bis sechs Eintritte.
Wichtige frühere Mitglieder der Zürcher Vereinigung waren unter anderem der Carlton-Elite-Hotelier (und Gründungspräsident) Hugo Prager, der Confiseur Hermann Sprüngli, der Flugpionier Walter Mittelholzer, der Bankier Hans Vontobel, der Roche- und Zurich-Manager Fritz Gerber, der Kabarettist Cés Keiser oder der Unternehmer und Politiker Ulrich Bremi. Ihnen allen ist im Jubiläumsbuch ein Porträt gewidmet.
Ist Rotary gut fürs Geschäft?
Monika Rühl ist die dritte Frau an der Spitze des Rotary Club Zürich, seit sich dieser im Jahr 2000 von seinem Dasein als Männerbund verabschiedet hat. Die Herren sind aber in der klaren Mehrheit geblieben; im Klub gibt es derzeit 28 Frauen und 159 Männer.
Rühl sagt, sie erlebe den Klub trotz den hochkarätigen Mitgliedern nicht als elitär. Im Vordergrund stünden der Austausch und die Freundschaft. Verpönt sei es insbesondere, an den Zusammenkünften Geschäftliches zu besprechen. Es ist ein Satz, den viele Rotarier routiniert fallen lassen.
Ein unumstössliches globales Prinzip scheint dies nicht zu sein. Vor zwei Jahren sprach die damalige Präsidentin von Rotary International in einem Interview mit der «Handelszeitung» offen darüber, dass im Serviceklub Karrieren gemacht und Deals getätigt würden. Dafür brauche man sich nicht zu entschuldigen, sagte die Kanadierin.
In der Schweiz, sagt Rühl, erlebe sie es etwas anders. «In Nordamerika geht man mit dieser Frage vielleicht etwas ungezwungener um als bei uns im zwinglianischen Zürich. Wir kommen nicht zusammen, um Geschäfte zu machen. Unsere Mitglieder verfügen ausserhalb von Rotary über beste Kontakte, sie brauchen den Klub für ihr Business nicht.»
Zeno Staub beurteilt es gleich. Er war als CEO der Bank Vontobel bis vor kurzem Chef einer jener grossen Zürcher Institutionen, die traditionellerweise bei Rotary vertreten sind. Beim Zürcher Klub ist Staub seit gut zehn Jahren dabei. «In dieser Zeit wurde mir nicht ein einziges Mal ein Deal angeboten, und ich habe auch noch nie ein Geschäft vorgeschlagen», sagt er.
Der Zeitmangel ist ein Problem
Die Durchmischung der Berufe ist ein zentrales Element von Rotary. Jedes Mitglied wird aufgrund seines beruflichen Hintergrundes in eine Gruppe eingeteilt, die Klassifikation. In jeder Klassifikation darf es höchstens fünf Personen geben. «Das heisst», sagt die Präsidentin Monika Rühl, «dass auch auf dem Finanzplatz Zürich nicht einfach zwei Dutzend Top-Kader von Banken bei uns Mitglied sein können.»
Die wollen das allerdings gar nicht unbedingt alle. Manche Talente verzichten auf den rotarischen Ritterschlag. «Wir erhalten auch Absagen», sagt die Präsidentin. «Wie bei vielen anderen Engagements ist der Zeitmangel ein Problem.» Bei Rotary ist die Präsenz ein Kernelement, über An- und Abwesenheiten wird genau Buch geführt.
Speziell Jüngere zwischen 30 und 40 seien vielbeschäftigt, sagt Rühl. «Sie müssen ihre Karriere aufbauen, haben vielleicht gerade eine Familie gegründet oder sind in der Politik oder ehrenamtlich tätig.» Erst später hätten sie Zeit für weitere Betätigungsfelder. Das Durchschnittsalter im Rotary Club Zürich liegt bei 68 Jahren.
Auch Tilla Theus überlegte sich den Beitritt gut. Die bekannte Zürcher Architektin gehörte im Jahr 2000 zu den ersten drei Frauen, die in die Gemeinschaft aufgenommen wurden. «Ich wurde von der Anfrage völlig überrascht», erzählt sie. Auch ihr Vater sei Rotarier gewesen, und sie habe sich noch genau an seine Präsenzprobleme erinnert. «So fragte ich um eine Bedenkzeit von 14 Tagen, damit ich meine Agenda prüfen könne, wie ich mir das einrichten könnte.»
Von ihrem Bruder, einem Lions-Mitglied, sei sie deswegen gescholten worden. «Er stufte mein Verhalten als völlig unpassend ein und meinte, diese Anfrage bedeute eine grosse Ehre.»
Zeno Staub sagt, dass die meisten Rotarier bei der Aufnahme zwischen 45 und 55 Jahre alt seien. Zu spät sei das nicht. «Mit der heutigen Lebenserwartung kann auch ein Neumitglied damit rechnen, mehrere Jahrzehnte am Klubleben teilzunehmen.»
Seit der ersten Zusammenkunft damals im Mai 1924 hat sich im Rotary Club Zürich vieles verändert. Geblieben aber sind die Exklusivität und die Prominenz der Mitglieder – die übrigens im internationalen Vergleich so prominent dann doch wieder nicht sind. Im Rotary Club Buenos Aires etwa ist Papst Franziskus Ehrenmitglied. Und im Rotary Club Banchory-Ternan in Schottland König Charles III.
Georg Kohler, Niklaus Peter (Hrsg.): Über die Schwierigkeit, das Gute zu tun. 100 Jahre Service, Business, Freundschaft. Rüffer & Rub, Zürich 2024. 176 S., Fr. 34.–.
Rotary im Jubiläumsjahr
Der Rotary Club Zürich begeht sein 100-Jahr-Jubiläum im Mai. Im Juni folgt dann ein nationaler Festakt in Bern zum 100-Jahr-Jubiläum von Rotary Schweiz-Liechtenstein. Der Zentenar-Festreigen geht in den nächsten Jahren in erhöhter Kadenz weiter, denn bis 1929 entstanden in der Schweiz 20 Klubs. Allein 1925 wurden Ableger in Basel, Bern, Genf, Luzern und St. Gallen gegründet, sie alle feiern nächstes Jahr also ebenfalls ihren grossen runden Geburtstag.