Schweizer Ökonomen haben einen Linksdrall – und das prägt ihre Arbeit Schulden, Wettbewerb, Verteilung: Schweizer Ökonomen beurteilen zentrale Themen je nach politischer Gesinnung unterschiedlich. Eine Umfrage der Konjunkturforschungsstelle (KOF) und der NZZ zeigt, dass linke Ansichten häufiger vertreten sind als rechte.

Schulden, Wettbewerb, Verteilung: Schweizer Ökonomen beurteilen zentrale Themen je nach politischer Gesinnung unterschiedlich. Eine Umfrage der Konjunkturforschungsstelle (KOF) und der NZZ zeigt, dass linke Ansichten häufiger vertreten sind als rechte.

Wie kommt Reichtum – etwa im rasch wachsenden Zürich – zustande? Die Antwort hängt auch davon ab, durch welche politische Brille man blickt. (Adobe Stock)

Bei Schweizer Journalistinnen und Journalisten ist die Sache klar: Die Vertreter der vierten Gewalt berichten mehrheitlich mit linkem Gedankengut über die anderen drei Gewalten. Das ist keine Behauptung, sondern spiegelt das Resultat einer im November veröffentlichten Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Darin ordnen sich 76 Prozent der befragten Journalisten als links ein – unabhängig davon, ob sie bei privaten oder öffentlichen Medien arbeiten.

Junge und Frauen ticken stärker links

Wie sieht es bei den von Journalisten oft zitierten Wissenschaftern aus, etwa bei den Ökonomen? Vieles deutet darauf hin, dass auch bei den Ökonomen das linke Lager grösser ist als das rechte. Auch das ist keine Behauptung, sondern das Resultat einer von der NZZ zusammen mit der Konjunkturforschungsstelle (KOF) durchgeführten Umfrage. Dabei wurden Ökonomen zu grundsätzlichen wirtschaftlichen Aussagen befragt. Untersucht wurde dabei auch, wie stark die politische Orientierung die Meinungen prägt.

Angeschrieben wurden 854 akademisch forschende Ökonominnen und Ökonomen aus öffentlichen Einrichtungen oder Hochschulen. Von ihnen haben 177 geantwortet. Über vier Fünftel der Antworten stammen von Männern, was darauf hindeutet, dass die Ökonomie noch immer eine Männerdomäne ist. Die Hälfte der Antwortenden ist jünger als 45 Jahre, die andere Hälfte älter. Am stärksten vertreten ist die Altersgruppe zwischen 36 und 45 Jahren, es folgen die über 56-Jährigen.

Wie deklarieren sich die Wissenschafter nun bezüglich ihrer politischen Ausrichtung? Nicht ganz überraschend reiht sich die grösste Gruppe (44 Prozent) in der politischen Mitte ein – eine Position, mit der man sich wohl akademisch am wenigsten angreifbar macht. Derweil deklarieren sich 7 Prozent als links und 29 Prozent als eher links, beziehungsweise 1 Prozent als rechts und 19 Prozent als eher rechts. Dabei gilt: Weibliche und jüngere Wissenschafter tendieren eher zu linken Positionen.

36 Prozent der Schweizer Ökonomen tendieren politisch zu linken und nur 20 Prozent zu rechten Positionen

Einem 36 Prozent grossen «Linkslager» steht ein «Rechtslager» gegenüber, das mit 20 Prozent deutlich kleiner ist. Ist dieses Ungleichgewicht ein Problem für eine Wissenschaftsdisziplin? Nicht zwingend, wenn die akademische Arbeit davon nicht betroffen ist. Ob ein Physiker mit sozialistischer oder libertärer Neigung die Umlaufbahn der Erde berechnet, ist unbedeutend, weil es am Schluss nur ein einziges korrektes Resultat gibt – unabhängig von der eigenen Ideologie.

Die politische Haltung prägt die Meinung

Doch die Ökonomie ist keine Natur-, sondern eine Sozialwissenschaft. Sie untersucht das Verhalten des Menschen, das mit grosser Unschärfe verbunden ist. Denn der Mensch ist ein launiges, oft irrationales und kulturell geprägtes Wesen, das schwer abschätzbar ist. Die Forschung kann deshalb davon abhängen, von welchen Normen und Werten sich Forscher leiten lassen. Ob jemand rechts oder links steht, hat in der Ökonomie weitreichendere Folgen als in der Naturwissenschaft.

Die Bedeutung der politischen Gesinnung von Ökonomen für ihre Urteile in ihrem Fachgebiet wird in der Umfrage deutlich. So mussten die Befragten ihre Meinung zu 19 zentralen ökonomischen Aussagen äussern; da ging es um Zölle, Ungleichheit, Verschuldung, Klimapolitik, Bankenregulierung und vieles mehr. Mit statistischen Methoden konnte dabei nachgewiesen werden, dass bei 13 dieser 19 Fragen die politische Orientierung einen signifikanten Einfluss auf die Antwort hatte.

Bei über zwei Drittel aller Fragen spielt also die politische Einstellung eine wichtige Rolle. Entsprechend wenige Themen gibt es, bei denen die Ansichten über die ideologischen Lager hinweg sehr ähnlich sind. Zu diesen quasi «apolitischen» Themen zählen etwa Eigenkapitalregeln für Schweizer Banken, die «Too-big-to-fail»-Regulierung, das Potenzial neuer Technologien und Lenkungssteuern in der Umweltpolitik und das Verhältnis zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit.

Die wichtigsten Streitpunkte

Bei welchen grundsätzlichen ökonomischen Fragen zeigt sich nun aber ein tiefer Graben zwischen den Meinungen von (eher) linken und (eher) rechten Ökonomen? Die folgenden Themen stechen heraus:

  • Einkommens- und Vermögensverteilung: Bei der Beurteilung der Ungleichheit in der Schweiz unterscheiden sich die Antworten je nach politischem Standpunkt erheblich. So stimmen von den (eher) Linksorientierten 71 Prozent der Aussage zu, dass die Einkommen gleichmässiger verteilt sein sollten; von den (eher) Rechtsorientierten lehnt hingegen der gleich grosse Anteil die Aussage ab. Mit Blick auf die Vermögen finden 88 Prozent der Antwortenden aus dem (eher) linken Spektrum, diese müssten gleicher verteilt sein, im (eher) rechten Spektrum lehnt 75 Prozent diese Forderung ab.
  • Schuldenbremse und Staatsquote: Dass linke Ökonomen ein eher unverkrampftes Verhältnis zu Staatsausgaben haben, zeigt sich bei der Frage, ob die Schweizer Schuldenbremse gelockert werden sollte. Von den (eher) linksorientierten Wissenschaftern lehnen nur 34 Prozent eine Lockerung ab, von den (eher) rechten Ökonomen jedoch 71 Prozent. Die Aussage, die Staatsquote in der Schweiz sei zu hoch, wird derweil zwar von zwei Dritteln aller Befragten abgelehnt; während der Anteil auf der rechten Seite aber nur bei 48 Prozent liegt, ist er auf linker Seite mit 90 Prozent fast doppelt so hoch.
  • Wettbewerb und Regulierungen: Zwar plädieren beide Lager für wenig Markteingriffe und Regulierungen. So finden 71 Prozent der Befragten, dass Mietzinskontrollen die Quantität oder Qualität des Wohnungsangebots (eher) verringert. Doch während das rechte Lager dieser Aussage mit 93 Prozent zustimmt, liegt die Quote im linken Lager nur bei 51 Prozent. Unterschiedlich beurteilt wird auch die Aussage, ob ein bindender Mindestlohn die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen und Ungelernten erhöht: Die Aussage wird von einer Mehrheit von 72 Prozent der (eher) Rechtsorientierten bejaht, jedoch von 60 Prozent der (eher) Linksorientierten abgelehnt.
  • Industriesubventionen und Umweltpolitik: Die Frage, ob die Umstellung auf grüne Technologien in der Schweiz durch Industriesubventionen gefördert werden soll, spaltet die Zunft: 45 Prozent sind (eher) dafür, 41 Prozent (eher) dagegen. Dabei ist die politische Ausrichtung zentral: So werden Industriesubventionen von 71 Prozent der (eher) rechten Ökonomen abgelehnt, während 65 Prozent der (eher) Linksdenkenden dies befürworten. Eine knappe Mehrheit (53 Prozent) im Linkslager ist auch für die Aufnahme eines Klimaziels ins Mandat der Nationalbank, während im Rechtslager eine solche Mandatserweiterung klar (86 Prozent) abgelehnt wird.

Die Umfrage macht deutlich: Die objektive Wahrheit ist ein knappes Gut in der Ökonomie. Was Wirtschaftswissenschafter empfehlen, spiegelt immer auch deren Werte und Überzeugungen. Politiker wissen das, und sie geben Gutachten vorzugsweise bei jenen Ökonomen und Instituten in Auftrag, deren politische Gesinnung sie teilen. Entsprechend gibt es für fast jedes von Ökonomen propagiertes Argument auch ein von anderen Ökonomen verfochtenes Gegenargument.

Ist die Ökonomie wertlos, wenn sie für Kernfragen selten eindeutige Antworten parat hält? Nein, denn unterschiedliche Meinungen gehören zu freien Gesellschaften, die Konkurrenz von Ideen belebt das Forschen. Dass dabei linke Ideen im Wissenschaftsbetrieb eher zahlreicher sind als rechte, ist nicht neu: Schon 1982 kam eine Studie von Bruno S. Frey et al. zu dem Resultat, dass Schweizer Ökonomen «am ehesten als gemässigte Keynesianer» zu bezeichnen seien, also als gemässigte Linke. An dieser politischen Schlagseite scheint sich seither wenig verändert zu haben.

Thomas Fuster, «Neue Zürcher Zeitung»

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